Veränderung der Arbeit durch die Digitalisierung Wer gewinnt und wer wird verlieren?
Wuppertal · Der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete Dietmar Bell leitet in den kommenden zwei Jahren die NRW-Enquetekommission "Transformation der Arbeit durch Digitalisierung". 13 Parlamentarier aus allen Parteien sollen handfeste und praxistaugliche Instrumente entwickeln, die der Wirklichkeit gerecht werden — und mit denen alle leben können.
Dass die Digitalisierung die Arbeitswelt verändert beziehungsweise in vielen Bereichen längst schon stark verändert hat, ist eine Binsenweisheit. Aber wie soll unsere Gesellschaft mit dieser Tatsache umgehen? Wie kann die Politik dafür sorgen, dass es durch die Digitalisierung nicht massenweise Arbeitsplatzverlierer gibt?
Das sind nur zwei Fragen, mit denen sich die neue Enquetekommission des NRW-Landtages in den kommenden zwei Jahren auseinandersetzen wird. Dass Dietmar Bell, langjähriger Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordneter, den Vorsitz dieses Gremiums bekommen hat, empfindet er "als Ehre und als große Herausforderung".
Für Bell ist klar: "Der Strukturwandel, der früher auf einzelne Regionen begrenzbar war, findet durch die Digitalisierung jetzt sozusagen grenzenlos statt. Und er betrifft fast alle beruflichen Sektoren. Darauf müssen wir mit forcierter Qualifikation der Menschen reagieren, den Begriff vom 'Lebenslangen Lernen' endlich mit Leben füllen."
Bell nennt Zahlen des Institutes Bundesagentur für Arbeit: Dessen Berechnungen zufolge wird die Digitalisierung bis 2025 anderthalb Millionen Jobs überflüssig machen, andererseits aber auch 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Das Problem: Die, deren Arbeit verloren geht, sind nicht die, die für die neuen Aufgaben gebraucht werden. Eine Frage, die die Kommission intensiv beleuchten muss, ist also: Wer werden die Verlierer, wer die Gewinner der Digitalisierung sein — und wie kann ein drohender Riss durch die Gesellschaft vermieden beziehungsweise sozial abgefedert werden?
Darüber, welche Branchen in Sachen Digitalisierung betroffen sein werden, lässt sich bereits einiges sagen. Dietmar Bell: "Erziehung und Pflege bleiben weitgehend unberührt. Diese Von-Mensch-zu-Mensch-Arbeit kann man gar nicht oder kaum digitalisieren. Aber all das, was etwa Versicherungssachbearbeiter bei standardisierten Anträgen bearbeiten, lässt sich durch Digitalisierung erledigen."
Doch Bell warnt auch davor, das Thema Digitalisierung — so wie es zurzeit fast immer geschieht — zu sehr auf die Technik-Dimension zu reduzieren. "Die begleitenden, sozialen Aspekte sehe ich als die entscheidende Herausforderung an die Arbeit der Enquetekommission." Das Ziel: Die Kommission soll in zwei Jahren Handlungsempfehlungen auf den Tisch legen. Und zwar welche, die auch in der Realität greifen. Dietmar Bell: "Es geht darum, das zu tun, wofür Politik da ist, einen Konsens für eine große Herausforderung zu finden. Wir dürfen das Thema Digitalisierung nicht einfach laufen lassen und sagen, der Markt werde das schon regeln. Das führt zu gefährlichem Sprengstoff. Wir Politiker müssen das in die Hand nehmen und gestalten."
Im Blick behalten muss die Kommission dabei etwa die sehr großen regionalen Unterschiede in NRW. In Ostwestfalen beispielsweise ist die Digitalisierung schon weit fortgeschritten — und zahlreiche dortige Firmen spielen längst vorne mit. Anderswo im Land sieht das ganz anders aus.
Außerdem wichtig: Die Frage, wie sich die Hochschulen verändern soll(t)en. Müssten sie nicht mehr anbieten, als "nur" ein Studium, das irgendwann abgeschlossen ist — und damit basta? Müsste ein Studium nicht etwas sein, dass die Berufe der Zukunft ständig begleitet?
Oder: Was tun, wenn das autonome Fahren auch den Nahverkehr erfasst? Welche Zukunft gibt es dann für die bisherigen Busfahrer? Dietmar Bell, der auch im Aufsichtsrat der WSW sitzt: "Das ist eine klassische Digitalisierungsfrage unter dem Motto 'Wer gewinnt, wer verliert?'"
Noch größere Dimensionen hat die Frage nach den nötigen Veränderungen in der Arbeitslosen- und Rentenversicherung: Dietmar Bells Auffassung nach muss sich die Arbeitslosenversicherung zu einer "Erwerbsversicherung" wandeln, die die Dimension der Weiterqualifikation deutlich in den Vordergrund rückt. Und angesichts zahlloser freiberuflicher Tätigkeiten in Sachen Digitalisierung muss das Thema Rente, so Bell, "schnell und wirksam auf die Tagesordnung, denn sonst droht einer ganz großen Gruppe von heute jungen und voll digitalisierten Menschen in hippen Berufen schwere Altersarmut."
"Die Enquetekommission ist", so Bell, "kein Spaziergang. Da muss man sich engagieren. Und das muss man wollen." Dass das klappen kann, zeigen zwei Enquetekommissionen, an die sich Bell gut erinnert: Die jeweils zweijährige Gremienarbeit zur Zukunft der chemischen Industrie und zur Zukunft des Handels hätten, so der Wuppertaler Politiker, sehr konkrete, sehr praxisbezogene, sehr konsensfähige und teilweise auch sehr überraschende Handlungsempfehlungen gebracht. Etwas ähnliches stellt sich Bell auch für "seine" Enquetekommission vor.
Ist es nicht aber schon zu spät, jetzt (noch) den Hochgeschwindigkeitszug der Digitalisierung (um-)steuern zu wollen? Dietmar Bell: "Unsere Chancen stehen 50:50, dass das Thema nicht in die Hände des freien Marktes fällt. Angst habe ich trotzdem keine, denn Politik kann viel tun. Gefragt sind aber auch die Menschen selbst, denn es muss allen klar sein, dass Digitalisierung nicht nur Technik ist, sondern auch ganz viel mit Lebenskultur zu tun hat."
+++++ Fakten +++++
Eine Enquetekommission (von französisch enquête = Untersuchung) ist eine vom Bundestag oder von einem Landesparlament eingesetzte überfraktionelle Arbeitsgruppe, die langfristige Fragestellungen lösen soll, bei denen juristische, ökonomische, soziale oder ethische Aspekte abgewogen werden müssen.
In einer Enquetekommission soll eine gemeinsame Position erarbeitet werden. Ziel ist es, bei Problemen zu einer Lösung zu kommen, die von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung (auch von denen, die sich nicht durch die jeweilige Mehrheit vertreten fühlen) mitgetragen werden kann.
Quelle: Wikipedia