Vor Gericht Angeklagter ist Dauergast am Eiland
Wuppertal · Erst klaut er eine Dose „Mezzo Mix“. Dann steht er eine Stunde später im selben Kiosk, um sich ein Feuerzeug in die Tasche zu stecken. Am Ende muss der Kioskbesitzer mit einer schweren Gesichtsfraktur ins Krankenhaus eingeliefert werden. Und wieder hatten etliche Polizeibeamte ihre liebe Mühe, um den Angeklagten zu bändigen.
Bei Gericht ist der längst kein Unbekannter mehr – man kann nach einem Jahrzehnt voller Prozesstermine schon fast von einem „Drehtüreffekt“ sprechen. Nun sitzt der 33-Jährige dort schon wieder auf der Anklagebank. Und die Justiz hat sich mit der Frage zu befassen, wie man ihn von weiteren Straftaten abhalten kann. Seit langem balanciert der Wuppertaler, der sich schon wieder vor dem Landgericht wegen Raubes und wegen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verantworten muss, juristisch auf einem „dünnen Seil“.
Bereits vor zehn Jahren hatte der psychiatrische Sachverständige das erste von mittlerweile drei Gutachten erstellt, das die Schuldfähigkeit des Angeklagten in Zweifel gezogen hatte. Schon damals standen die geringen Schäden durch die Diebstähle in keinem Verhältnis zu den Problemen, die sich während der Festnahmen durch ungebremste Gewalteskalation entwickelten. Das Verhalten des Angeklagten wechselte von unauffällig bis hin zu extrem auffällig - inmitten psychotischer Schübe sollen ihn Stimmen zu den Taten gedrängt haben.
Nun gibt es also weitere neun Straftaten, die er zwischen Februar 2017 und Oktober 2018 begangen haben soll. Es ging los, so die Anklage, mit einem Diebstahl bei einem Discounter (Wert 8 Euro) und gewalttätigen Ausrastern bei der Festnahme mit Verletzungen mehrerer Beteiligter. Ein weiterer Diebstahl beim selben Discounter ließ ihn bei der Festnahme die gestohlene Weinflasche als Waffe verwenden. Kurzfristige Einweisungen in die Psychiatrie halfen nicht weiter, weil ein Gutachten fehlte und er nach Gewalt gegen einen Mitbewohner entlassen werden musste. So richtig kümmern - könnte man meinen - wollte sich wohl niemand.
Es folgten Diebstähle in einem Kiosk an der Schloßstraße - beim ersten Mal mit der Beute von vier Packungen Zigaretten, beim zweiten Mal dazu noch mit einer Wodka- und einer Jägermeister-Flasche. „Er bewegte sich wie ein Roboter“, war von der verängstigten Kioskbetreiberin zu hören. Da sie nach dem Überfall auch meinte, ein Messer beim Angeklagten gesehen zu haben, gab es Großalarm. Zwei Polizisten stellten ihn mit gezogenen Waffen im Eingang des Mehrfamilienhauses, in dem er wohnte. Da sie den Mann im Streit nicht bändigen und ruhig stellen konnten, mussten weitere Einsatzkräfte helfen - ein Messer fanden sie allerdings nicht. Am Ende waren sieben Polizisten damit beschäftigt, den verwahrlosten Betrunkenen zu fesseln und auf die Wache zu bringen. Sein einziger Kommentar, so einer der Polizisten, sei gewesen: „Das deutsche Gesetz interessiert mich nicht!“
Als er später an der Tankstelle gegenüber dem Polizeipräsidium ein paar Kleinigkeiten mitgehen lassen wollte, startete alles von vorn: erst Haft, dann Psychiatrie - und von dort die Entlassung. Sein Versuch, im Oktober 2018 ohne Fahrkarte nach Warschau zu gelangen, endete in Lüdenscheid in einer Fahrscheinkontrolle. Die handgreifliche Weigerung gegenüber den Polizeibeamten, die ihn hatten mitnehmen wollen, führte zum Einsatz von Pfefferspray und der erneuten Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Das Fass zum Überlaufen brachte besagte Begegnung mit dem Kioskbesitzer in der Rollingwerth. Ein Kühlschrank vor dem Laden verlockte den Angeklagten zur Selbstbedienung, die Mezzo-Mix-Dose war schnell gegriffen - der irritierte Ladenbesitzer verzichtete auf die Verfolgung. Eine Stunde später tauchte dann dort - zwischen den empörten Kunden - erneut seine Hand auf, mit langen Fingern griff er ein kleines lila Feuerzeug im Wert von 2,80 Euro und rannte davon.
Diesmal ließ der Kioskbesitzer das nicht auf sich sitzen und verfolgte ihn die Straße hinunter. Mit unverhältnismäßiger Brutalität schlug der Angeklagte offenbar auf den Mann ein. Eine Fraktur unter dem rechten Auge beeinträchtigt noch immer die Sehfähigkeit des Opfers, schlimmer seien allerdings die psychischen Folgen. Als Zeuge vernommen, gestand der Kioskbesitzer, dass er die Menschen in seiner Umgebung seither misstrauischer beobachte: „Da bekommt man Angst, wenn man sieht, was in Barmen so für Gestalten rumlaufen!“
Der Angeklagte sitzt seither in Haft - und das Gericht wird sich nun erneut mit der Frage befassen müssen, ob er dauerhaft in die Psychiatrie eingewiesen werden sollte.