Abstimmung Seilbahn: Jahrhundertprojekt oder ein überflüssiges Millionengrab?
Wuppertal · Stellen wir zunächst einmal die „Fronten“ vor: Für die Seilbahn sind die Wuppertaler Stadtwerke, die Universität und die Initiative „Pro Seilbahn“, dagegen spricht sich die Initiative „Seilbahnfreies Wuppertal“ aus. Die jeweilige Haltung der im Rat vertretenen Parteien und Gruppen lassen sich in der Info-Broschüre ablesen, die in den verschickten Unterlagen zur Bürgerabstimmung enthalten sind. Und nun an die Inhalte.
Hervorgegangen ist das Seilbahnprojekt aus einem Katalog von Visionen für Wuppertal 2025. Im Jahr 2012 kam die Idee auf den Tisch, viele sahen und sehen darin einen Meilenstein für die Stadtentwicklung. Ein echtes Zukunftsmodell nach Jahren der Stagnation.
Ein innovativer Baustein eines umweltfreundlichen Öffentlichen Personennahverkehrs – zugleich eine spektakuläre Ergänzung für die einzigartige Schwebebahn. Ein Magnet für Touristen in dieser an Attraktionen sonst eher armen Stadt. Vor allem aber eine wegweisende Mobilitätslösung für einen reibungslosen Transport von Studenten vom Bahnhof zur Universität. Keine andere große Universitätsstadt komme ohne eine schienengebundene Andienung aus. In Wuppertal aber, so moniert die Uni, kämen Studenten momentan immer wieder zu spät zu den Veranstaltungen.
Das Verkehrsmittel der Studenten?
Stopp, sagen die Kritiker, das jetzige Konzept mit zusätzlichen Einsatzbussen reiche vollständig aus. Mehr als das: So würden die Busse sogar den Transport von 4.400 Studenten pro Stunde gewährleisten, während die 35 Menschen fassenden 44 Kabinen bei dem vorgesehenen 32-Sekunden-Takt lediglich 3.500 Personen zur Uni bringen könnten. Wie groß das Fahrgastaufkommen insgesamt vom Döppersberg auf die Cronenberger Südhöhen ist, lässt sich derzeit schwer sagen, da die WSW diese Zahl als Betriebsgeheimnis werten – Mitbewerber könnten anhand dessen ablesen, wie lukrativ einzelne Linien betrieben werden könnten.
Der neue Weg nach Cronenberg
Doch auch mit Seilbahn würden Busse weiterhin von Cronenberg nach Elberfeld fahren. Die CE-„Schnellbusse“ endeten allerdings zum Umstieg an der „Bergstation“ am Schulzentrum Süd. Die Linie 645 würde gestrichen, andere auf einen halbstündigen Takt reduziert. Dies ist eine wichtige Ersparnis im Betriebs- und Investitionskostenbereich, um überhaupt an Fördergelder zu kommen. Die Cronenberger Bezirksvertretung hat sich angesichts dieser Einschränkungen mehrheitlich gegen die Seilbahn ausgesprochen, andere Stimmen befürchten im Zuge der Umsetzung eine Zunahme des Pkw-Verkehrs und damit der Emissionen.
Ein Plus für die Ökobilanz?
Die Seilbahn fährt elektrisch und somit ohne den direkten Ausstoß von Schadstoffen. Das Gutachten der WSW verweist auf eine zu erwartende Reduzierung von Abgasen und Lärm durch wegfallenden Pkw- und Busverkehr und bewertet das volkswirtschaftlich umgerechnet mit 270.000 Euro im Jahr. Die Gegenseite führt hier eine ganz andere WSW-Initiative ins Feld: Auf Korzert werden noch in diesem Jahr die ersten mit Wasserstoff angetriebenen Busse betankt – diese Energieform gilt als noch umweltfreundlicher als die E-Mobilität.
Die große Frage der Kosten
Kommen wir also zu den Kosten der Seilbahn. Die liegen bei der Investition nach der augenblicklichen Schätzung bei 88,9 Millionen. Ob sie da auch bleiben, bezweifeln die „Contras“, schließlich gibt es genügend Beispiele von nachträglichen Verteuerungen – allerdings auch Bauten, bei denen die bewilligten Gelder ausreichten. Jedenfalls dürfen sie nach Ratsbeschluss nur im Rahmen des Baukostenindexes steigen. Auszugehen ist von einer 75-prozentigen Förderung durch das Land – 22,3 Millionen müssten die WSW voraussichtlich selbst aufbringen. Immer ganz wichtig zu betonen: Dieses Geld stünde ausschließlich für eine Seilbahn zur Verfügung, man kann damit keine Kitas bauen, Straßen ausbessern oder Fahrpreise reduzieren! Jährlich rechnen die WSW mit Betriebskosten in Höhe von 1,6 Millionen Euro, auf das Personal entfallen dabei 800.000 Euro, auf Material- und Stromkosten jeweils 400.000 Euro. Dafür aber fielen im Busbetrieb insgesamt 1,8 Millionen weg – unter dem Strich arbeite man also wirtschaftlicher. Freilich bezweifeln die Seilbahngegner angesichts der starken Beanspruchung gegenüber beispielsweise der Seilbahn in Koblenz die niedrigen Wartungskosten und vermissen zudem einen Posten für Aufzugwartung. Dafür ziehen sie Vergleichszahlen anderer städtischer Seilbahnprojekte heran: In Düsseldorf-Hubbelrath plant man mit Betriebskosten von 3,6 Millionen Euro jährlich – mehr als doppelt so viel.
Verkehrsmittel der Zukunft
Tatsächlich sind Seilbahnen im ÖPNV weltweit inzwischen eine ernsthaft geplante oder bereits umgesetzte Alternative. Dafür stehen Projekte in Medellin, Mexiko-Stadt, Ankara, La Paz oder Toulouse. Auch in München und Würzburg gibt es dazu Überlegungen. Freilich sind die deutschen Planungs- und Genehmigungsverfahren bekanntlich besonders umfänglich und zeitaufwendig. Auch von daher blicken Verkehrsplaner in ganz Deutschland aufmerksam auf die Entwicklung in Wuppertal.
Die Sicht der Anwohner
Etwa, was die Belange und Proteste von Anwohnern angeht: Schon in einem sehr frühen Stadium formierte sich Widerstand von Bürgern, die sich nicht in die Gärten, Balkons oder Fenster schauen lassen wollen. Die daraus entstandene „Initiative Seilbahnfreies Wuppertal“ beauftragte eine spezialisierte Anwaltskanzlei mit einem Rechtsgutachten, das den Bau der Seilbahn als rechtlich unzulässig einstufte. Es sieht elementare Grundrechte wie den Schutz auf Privatsphäre und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung berührt. Rund 100 Grundstückseigentümer würden quasi enteignet. In der Tat konnten die Betroffenen bei Anschaffung ihrer Immobilie nicht damit rechnen, dass eines Tages eine Seilbahn – wenn auch geräuscharm – ständig über sie hinwegschwebt. Allerdings fahren die Kabinen im Schnitt 35 Meter über der bestehenden Bebauung und ihre Fenster könnten durch spezielle Technik zum Teil verpixelt werden, wenn sie an Wohnhäusern vorbeifahren. Nicht wegdiskutieren lassen sich hingegen die optischen Beeinträchtigungen durch die mächtigen Pfeiler. Dementsprechend wird ein Baubeschluss in jedem Fall Entschädigungsforderungen und Rechtsstreitigkeiten nach sich ziehen. Wohl auch mit den darunter liegenden Kleingärtnern der beiden Anlagen an der Hatzenbeck.
Die Leistungsfähigkeit
Wo wir gerade bei den schwebenden Gondeln waren: Wie schnell, wie sicher sind eigentlich die 44 Kabinen? Der Hersteller Doppelmayr, der auch zahlreiche Seilbahnen in den Alpen gebaut hat, gibt die Spitzengeschwindigkeit mit 7,5 Metern pro Sekunde an. Die Fahrzeit von der Talstation bis zur Universität beträgt voraussichtlich drei Minuten, die bis zum Küllenhahn neun Minuten. Letzteres ist dieselbe Zeit, die der Schnellbus für die gleiche Strecke benötigt. Was die Teilstrecke bis zur Uni angeht, ist die Seilbahn fünf bis zehn Minuten schneller als der Bus. Allerdings verweisen die Seilbahn-Kritiker auf die zusätzlichen Transferzeiten – zum Beispiel den Fußweg von der Mittelstation zur Uni und mögliche Wartezeiten an den Kabinen.
Sichere Fortbewegung
Weniger kontrovers wird die Sicherheitslage diskutiert: Das Verkehrsmittel gilt heute als sicher. Moderne Anlagen verfügen über Notantriebe, die die Gondeln bei Defekten in den nächsten Bahnhof bringen, so dass Evakuierungen kaum mehr nötig sind. Demgegenüber setzt die von den WSW in Auftrag gegebene Nutzen-Kosten-Untersuchung sogar eine volkswirtschaftliche Ersparnis von 370.000 Euro im Jahr an, die ansonsten durch Straßenunfälle entstünden. Und: Erst bei Windgeschwindigkeiten von über 100 km/h muss der Betrieb eingestellt werden, so gesehen rechnen die Betreiber nur mit wenigen Ausfallstunden im Jahr. Wie viele Fahrgäste bei Stürmen unterhalb der fast erreichten Orkan-Dimension einsteigen, müssen sie indes selbst entscheiden.
Ja oder nein?
Womit wir beim Thema Entscheidung angekommen wären. Im Rat der Stadt hat man Anfang des Jahres mehrheitlich beschlossen, dass vor der politischen Genehmigung die Wuppertaler Bürger ihre Meinung zum Ausdruck bringen sollen. Und zwar in einer rechtlich unverbindlichen Befragung, die jetzt schriftlich erhoben und parallel zur Europawahl am 26. Mai ausgezählt wird. Teilnehmen dürfen alle Wuppertaler, die am Wahltag die deutsche oder eine andere EU-Staatsangehörigkeit besitzen und mindestens 16 Jahre alt sind – insgesamt rund 270.000 Menschen.
Aus Reihen des AStA wird bemängelt, dass dadurch fast 14.000 auswärtige Studenten und Uni-Mitarbeiter vom Votum ausgeschlossen werden, obwohl sie von der Seilbahn-Entscheidung sehr wohl betroffen seien.
Doch auch hier gibt es eine Retourkutsche: Sollte es 2025 tatsächlich eine Seilbahn in Wuppertal geben, wäre die Mehrzahl dieser Studenten nicht mehr an der Uni ...