Landtagswahl 2017 in Wuppertal Von Gratis-Kitas und "Talentschulen"
Wuppertal · Die NRW-Landtagswahl am Sonntag (14. Mai 2017) steht sozusagen schon vor der Tür. In einer ersten Wuppertaler Kandidatenrunde waren Dietmar Bell (SPD), Björn Brick (CDU), Claudia Schmidt (Grüne) und Marcel Hafke (FDP) zu Gast in der Rundschau-Redaktion.
Sie alle treten im Wahlkreis I an, der den größten Teil des Wuppertaler Ostens sowie Ronsdorf umfasst.
Die Bildung sieht Dietmar Bell als deutlichen SPD-Schwerpunkt: Bei den Kitas müsse noch spürbar mehr Geld ins System gegeben werden, um Qualität zu sichern und die Träger, die (siehe Diakonie) scharf protestieren, zu stärken. Bells Ziel: Gebührenfreie Kitas und die freie Entscheidung älterer Schüler, ob sie das Abitur nach 12 oder 13 Jahren (Stichwort "G8" oder "G9") machen wollen. 7.000 Lehrer mehr als noch 2010 gebe es heute, bilanziert Bell. Sein Fazit: "Zusammen mit 8,4 Milliarden für die Unis kann man sagen, dass in NRW jeder dritte Euro in die Bildung fließt."
Marcel Hafke setzt beim Thema Lehrerzahl nach: Gegen den "ständigen" Unterrichtsausfall müssten noch weitere 3.500 Lehrer her. Außerdem brauche es in sozialen Brennpunkten "Talentschulen", die das übliche Schulsystem aufbrechen und flexibler agieren können. Seine Grundposition: Für zeitgemäße Technik & Co.-Ausstattung sowie Betreuung sind 1.000 Euro pro Schüler im Jahr nötig. Da müsse der Bund helfen: Dass das Thema Schule immer nur Landes(finanzierungs)sache ist, gehört für Hafke in die Vergangenheitsschublade. Zurück möchte er allerdings zu den Studiengebühren.
Apropos Geld: Die FDP konstatiert 16.000 fehlende Kita-Erzieherinnen in NRW. Für gebührenfreie Kitas sieht er erst dann den Weg frei, wenn die Kinderbetreuung wirklich auf flächendeckend hoher Qualität angekommen ist. Kleine Polit-Überraschung: Claudia Schmidt (Grüne) stimmt dem zu: "Qualität geht vor Aufbewahrung", sagt sie. Dietmar Bell traut seiner SPD das Doppel zu: "Wir stehen in Sachen Kitas für Qualität plus Gebührenfreiheit. Das ist echte Familienfreundlichkeit."
CDU-Nachwuchsmann Björn Brick, bei dem die Schulzeit noch nicht allzu lang her ist, fordert deutlich mehr Lehrer — und angesichts seiner Erfahrungen an Real- und Gesamtschulen eine Stoffvermittlung, die mehr mit der echten (beispielsweise wirtschaftlichen) Lebenswirklichkeit zu tun habe. Brick selbst übrigens ist gegen Studiengebühren, obwohl seine Partei für deren Wiedereinführung plädiert.
Aus Sicht der Grünen Claudia Schmidt ist im Bildungssektor die Sprache und der Zugang zum Lernen der Sprache der "echte Schwerpunkt jeder Integration". Wie die SPD auch setzen die Grünen in Sachen Abitur auf die freie Entscheidung der Schüler, ob sie den Weg von "G8" oder "G9" gehen wollen: "Damit nehmen wir den Druck von den Schulen und stärken die Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler", so Schmidt im Rundschau-Gespräch.
Der Wuppertaler Osten mit dem von vielen Bürgern als Problemzone definierten Berliner Platz und seinem Umfeld gehört zum Wahlkreis aller vier Kandidaten. Björn Brick (CDU) will "mehr aktive Polizisten vor Ort, damit wir die Quartiere einen Tacken sicherer machen". Videoüberwachung bringe wenig, regelmäßige Überprüfung von bestimmten Plätzen deutlich mehr. Brick: "Wir müssen den Menschen zeigen, dass wir uns kümmern, dann lassen sich bestimmte Stimmungslagen auffangen." Wahr sei aber: "Der Osten ist das Wuppertaler Stiefkind, das keiner haben will. Politik muss auf jeden Fall alle Stadtteile im Blick haben."
Frage an Marcel Hafke: Gibt es "No-go-Bereiche" in Wuppertal? Der FDP-Landtagsabgeordnete: "In gewissen Stadtteilen ja ..." Die Polizei sei völlig überlastet — und Innenminister Jäger (SPD) müsse sich fragen lassen, was wichtiger sei: plakative Aktionen wie der "Blitzer-Marathon" oder echte Ermittlungsarbeit gegen gewaltbereite Salafisten. Außerdem: Wenn der Polizistenberuf auch für Realschüler offen wäre, könne erheblich mehr Personal gewonnen werden.
Dietmar Bell kontert, stellt sich vor "seinen" Innenminister: Der sei hoch engagiert — und von der Opposition zum "Zerrbild" gemacht worden. Gerade erst sei NRW wieder auf dem Polizeipersonalstand von 2005, als CDU und FDP das Land regiert hatten. Bell: "Wir setzen auf Polizei plus Ordnungspartnerschaften und Quartiersmanagement. Die Bewohnerstruktur im Wuppertaler Osten hat sich sehr stark verändert, das bringt bestimmte subjektive Wahrnehmungen mit sich, die aber nicht zwingend etwas mit objektiven Sicherheitsproblemen zu tun haben müssen." Extrem wichtig für Bell: Moderne Stadtentwicklung — die allerdings nicht von heute auf morgen greift.
Claudia Schmidt schließt sich hier an: Eine Stadt könne (beispielsweise durch ihre Hartz-IV-Mieterverteilungspolitik) dafür sorgen, dass es nicht zu "Ghettobildungen" kommt. Wichtig sei eine kluge und gleichmäßige Mischung in allen (!) Stadtteilen. Mit Videoüberwachung können die Grünen nichts anfangen: "Das bringt keine echte Sicherheit und verhindert keine Taten." Viel wichtiger: Präventionsarbeit in Schulen und anderswo, damit junge Leute gar nicht erst zu Straftätern werden. Was muss also sein? "Genug Geld für offene Kinder- und Jugendarbeit sowie Hilfen für das ehrenamtliche Engagement."
Wie läuft‘s in Sachen Verkehr? Björn Brick, der Berufspendler ist, zieht über den Landesbetrieb "Straßen.NRW" vom Leder: "Die kriegen nichts hin, man muss dieses ganze Konstrukt aufbrechen." Dass es viele Baustellen gibt, weiß auch Dietmar Bell: "Zurzeit fließt das meiste NRW-Geld in den Straßenausbau, denn der Bedarf ist hier riesig. Wir nehmen uns dessen an, deswegen wird NRW in den nächsten zehn Jahren Baustellenland bleiben." Doch auch Radwege & Co. seien forciert im Fokus. In Sachen "Straßen NRW" wünscht sich Bell, dass alle bergischen Abgeordneten initiativ werden, um die Organisation des Landesbetriebes so umzugestalten, dass es in Zukunft für die Region einen Ansprechpartner und nicht mehr drei verschiedene gibt.
Dafür gibt‘s Zustimmung bei allen Rundschau-Gesprächsteilnehmern. Marcel Hafke wünscht sich 24-Stunden- und Sieben-Wochentage-Baustellen wie etwa in Holland: "Das bringt richtig was gegen Staus." Zumal er sicher ist, dass der Autoverkehr noch deutlich wachsen wird. Das sieht Claudia Schmidt ganz anders: "Zukünftig wird es ein anderes Unterwegs-Sein geben. Und wir müssen weg vom Verbrennungsmotor."
Beim Straßennetz wollen die Grünen nur in das investieren, was es schon gibt, zum Neubau heißt es "Nein". In Wuppertal wird die L 419 in Ronsdorf viel diskutiert: Dietmar Bell will ihren Ausbau — um die A 46 zu entlasten, Marcel Hafke ebenfalls, Claudia Schmidt dagegen sieht "die Sechsspurigkeit auf den Südhöhen wegen Luftqualität und Lärm sehr kritisch".