Transgender Wie Louis zum Mann wird
Wuppertal · „Stay true“ steht quer über Louis Rychels Brust geschrieben. Ein Tattoo, das die Richtung seines Lebens vorgibt. Bis vor kurzem war der Wuppertaler noch eine Frau, zumindest biologisch und dem Gesetz nach. Und ein bisschen ist er das auch immer noch.
Wie eine Frau gefühlt hat sich der 27-jährige Wuppertaler allerdings noch nie. Bis ihm bewusst wurde, dass er im falschen Körper steckt, hat es ein paar Jahre gedauert. 22 Jahre um genau zu sein. Eine Zeit, in der Louis Rychel sich lieber zu Hause verkrochen hat anstatt mit Freunden zu spielen. In der er die Schule schwänzte, weil er sich in seiner Haut nicht wohl fühlte.
Louis ist transsexuell, ein Trans-Mann. Sein Äußeres wirkt maskulin. Zum Interview trägt er Jeans und ein T-Shirt mit weitem Halsausschnitt. Breite Schultern, Bartschatten, tiefe Stimme. Würde ich es nicht besser wissen, würde ich davon ausgehen, er wäre als Mann geboren.
Das ist er aber nicht. Zwischen seinen Beinen fehlt etwas. Im September bekommt der 27-Jährige seinen Penis. Fünf Jahre hat er darauf gewartet. Jetzt kann er es kaum erwarten.
„Mit 22“, erzählt Louis mir, „habe ich von Transsexualität erfahren. Ich habe recherchiert und mir wurde klar, dass ich nicht als Frau leben möchte, dass ich falsch bin in dem Körper und dass ich meinen Weg als Mann gehen möchte.“
Das klingt so locker bei dir, sage ich ihm. Er zuckt mit den Schultern. „Für mich war es der richtige Weg. Ich hatte vorher nie etwas von Transsexualität gehört, und plötzlich hatte ich die Lösung für meine Probleme.“
Seine Mutter gab den Anstoß zu Louis Angleichung (So wird der Prozess von Transsexuellen bezeichnet). Sie konnte nicht mit ansehen, wie ihr Kind sich quälte und lud eine Freundin ein, die ihren transsexuellen Sohn mitbrachte. Von ihm erfuhr Louis, dass es Menschen gibt, die genauso fühlen wie er.
Um den linken Arm trägt der junge Trans-Mann einen Verband. Darunter sitzt der Spacer, ein Plastikröhrchen, dass in seinem Arm steckt und mit dessen Hilfe sein Penis modelliert wird. Der Spacer hält den Platz frei für die Harnröhre. Aus der Haut um den Spacer herum wird der „Penoid“ geformt und im September zwischen Louis Beinen angenäht.
Sechs Monate lang saß das Röhrchen dann im Arm, auf der Innenseite, wo die Haut schön weich ist. Von der täglichen Reinigung des Spacers hat der 27-Jährige ein Video erstellt und es auf YouTube hochgeladen. „Es ist etwas, das man sonst nicht sieht“, sagt er. Deshalb zeigt er es. Auf Instagram können seine Follower die Angleichung des Tans-Mannes unter dem Namen „ftmxtransgender“ mitverfolgen.
Fünf anstrengende Jahre hast du hinter dir. 2014 und 2015 Therapie und Hormonbehandlung, 2016 die Entfernung deiner Brüste, 2017 die Hysterektomie, die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken, 2018 eine Korrektur der Brust. Was kommt 2019?
„Da ziehe ich es komplett durch. Spacer, Penoid, Hoden, Erektionsprotese und Eichelform. Dann bin ich fertig.“
Wie fühlt es sich für dich an, zu beobachten, wie sich dein Körper völlig verändert?
„Das ist schön. Der Körper passt sich dem Gefühl an. Das ist das, was ich immer wollte. Über jede Veränderung bin ich glücklich.“
Erzähl mir von den Veränderungen an dir.
„Als erstes kam in den Stimmbruch, meine Stimme wurde heiser, tiefer und kratzte, mir wuchsen an komischen Stellen Haare, zum Beispiel am Rücken, die weiblichen Hüften verschwanden und das Fett wanderte zum Bauch. Auf den Bartwuchs musste ich am längsten warten, fast zwei Jahre.“
Fünf Namen standen auf Louis Liste. Er stellte sich vor den Spiegel und probierte aus, welcher am besten zu ihm passt. Jetzt steht in seinem Ausweis und Reisepass „Louis Rychel“, Geschlecht „männlich“. Für das „Männlich“ musste er einen Antrag stellen, der beim Gericht geprüft wurde.
Louis, stehst du auf Frauen oder auf Männer?
„Ich bin ganz normal hetero und stehe auf Frauen. Immer schon.“
Warst du noch als Frau bereits mit einer Frau zusammen?
„Ja, mit 19 Jahren hatte ich meine erste feste Freundin. Ein Jahr hat das gehalten.“
War das komisch für dich?
„Ein bisschen. Ich habe mich anfangs nicht anfassen lassen.“
Bist du jetzt mit jemandem zusammen?
„Nein, aber das stört mich nicht. Ich möchte erstmal in Ruhe meinen Weg gehen und nicht erklären müssen, warum ich wie ein Mann aussehe und unten herum eine Frau bin.“
Mitte September steht für den 27-Jährigen die nächste Operation im Kalender. Dann bekommt Louis Rychel seinen Penis. Damit das männliche Geschlecht auch seine Funktion erfüllt, kann er zwischen zwei Modellen wählen. Einem Knickstab, der, in den Penis gesetzt, zum Geschlechtsverkehr nach oben geknickt wird, oder eine Pumpe, die durch das Drücken eines Knopfes am Hoden den Penis in Position bringt. Louis hat sich für die Pumpe entschieden. In Abständen von drei Monaten kommen vier Operationen, die den Penis mit Hoden, der Erektionsprotese und der Eichelform vervollständigen.
Louis, wie sieht es bei dir und deiner Mutter zu Hause aus? Stehen Kinderfotos von dir im Regal?
„Nein, sie sind alle weg. Meine Mutter hat sie in Kisten gesteckt. Ich möchte sie nicht sehen.“
Gibt es noch Puppen und Barbies aus deiner Kindheit?
„Ich habe immer nur mit den Jungs mit Autos gespielt, und Fußball. Das mache ich heute noch gerne.“
Was gefällt dir heute sonst noch?
„Fotografie. Wenn ich etwas Schönes sehe, dann muss ich ein Foto davon machen.“
Als schön empfindet Louis seinen männlichen Körper. Sein Instagram-Profil besteht fast nur aus Selbstporträts. Der „neue Louis“ ist mutig. „Er strahlt!“ Der 27-Jährige hat nicht nur seine äußere Hülle verändert. Er hat die Person, die er früher war, vollständig hinter sich gelassen. Innerlich und äußerlich ist er ganz neu.