Tagung in Wuppertal Schule zwischen Überlastung und Anpassungsdruck
Wuppertal · Lehrerinnen und Lehrer stöhnen heute oft über Überlastung: Unterricht und Erziehung würden immer anspruchsvoller und schwieriger. Viele Lehrpersonen fühlen sich durch Reformmaßnahmen nicht unterstützt, sondern noch mehr wie „im Hamsterrad“. Eine so betitelte Tagung an der Bergischen Universität Wuppertal fragte genauer nach.
Was geht vor in den Schulen? Helfen bildungspolitische Maßnahmen, Schule zu verbessern, oder werden hier gegen die pädagogische Freiheit im Kern kontraproduktive Maßnahmen durchgesetzt? Auf Einladung von Dr. Jochen Krautz, Professor für Kunstpädagogik an der Bergischen Universität und Vorsitzender der Gesellschaft für Bildung und Wissen, kamen rund 400 Vertreterinnen und Vertreter aus Schule, Wissenschaft und Schulverwaltungen sowie interessierte Eltern und Ärzte an die Wuppertaler Hochschule.
„Teilnehmende aus ganz Deutschland, der Schweiz und Österreich diskutierten bedenkliche Entwicklungen in Bildungspolitik, Schulpraxis und Wissenschaft, die pädagogische und wissenschaftliche Freiheit schleichend einschränken, um mit subtilen Steuerungsmaßnahmen Lehrpersonen und auch Wissenschaft auf einen gewünschten Kurs zu bringen“, erklärt Prof. Krautz. So fragte er selbst in seinem einleitenden Vortrag kritisch, ob die empfundene Überlastung von Lehrerinnen und Lehrern tatsächlich allein an den größeren Herausforderungen in Bildung und Erziehung liege, oder ob sie nicht auch gezielt gefördert werde, um Lehrpersonen in ihren Überzeugungen aufzubrechen und bereit für bestimmte Reformmaßnahmen zu machen.
Vor diesem Hintergrund beleuchteten weitere Referate grundsätzliche Fragen und beispielhafte Phänomene: „Sie gaben immer auch konstruktive Ausblicke auf Bildungsarbeit und Schulführung, die nicht auf Drangsalierung und manipulatives ‚Change Management‘ setzt, sondern Lehrerinnen und Lehrer in ihrem pädagogischen Ethos und ihrer pädagogischen Freiheit ernstnimmt und unterstützt,“ betont Krautz.
So zeigte Prof. Dr. Silja Graupe, Cusanus Hochschule (Bernkastel-Kues), auf, dass und wie Überlastung die Zeitwahrnehmung beschleunigt und dabei als Machtinstrument benutzt wird. Dr. Claudia Schadt-Krämer (Gesamtschule Emschertal, Duisburg) machte deutlich, dass und wie trotz dieser Probleme bildender Unterricht möglich ist. Das Steuerungsarsenal der sogenannten „Schulentwicklung“ entfaltete Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln: Gewachsene Strukturen von Kollegialität und Vertrauen würden durch Mittel managerialer Steuerung ersetzt. Dagegen plädierte Prof. Dr. Carl Bossard aus der Schweiz für pädagogische Freiheit und Verantwortung als Elixier lebendiger Pädagogik.
Dass dabei die Kontrolle durch umstrittene „Schulinspektionen“ wenig helfe, sondern eher weitere kontraproduktive Bürokratie produziere, betonte Prof. Dr. Karl-Heinz Dammer von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Und Michael Rudolph machte aus seiner Erfahrung als Schulleiter einer Berliner Brennpunktschule klar, dass und wie Erziehung und Unterricht im Mittelpunkt von Schulführung zu stehen haben und wie Schulleiter die Kollegien dabei unterstützen können. Abschließend analysierte Prof. Dr. Volker Ladenthin, Universität Bonn, dass und wie mittlerweile vorgefasste Normierungen von internationalen Organisationen die Wissenschafts- und Lehrfreiheit im Lehramtsstudium unterlaufen und künftige Lehrerinnen und Lehrer immer weniger lernen, wissenschaftlich zu denken und eigenständig zu urteilen.
Prof. Krautz resümierte, dass Schule nicht Gängelung, sondern Freiheit bräuchte, damit Lehrerinnen und Lehrern der ihnen anvertrauten heranwachsenden Jugend möglichst optimal gerecht werden können. Ein Bildungswesen in der Demokratie könne nicht durch sachwidrige Reglementierung und Kontrolle gesteuert werden, sondern müsse Lehrpersonen das gewähren, worauf Unterricht zielt: Selbstbestimmung in Verantwortung.
Die Tagung „Time for Change?“ soll mit einem dritten Teil fortgesetzt werden, der sich der Frage des Unterrichts widmet.