Selbstversuch von Milka Vidovic Müngsten: Weiche Knie, eiserne Brücke

Wuppertal · Mit jeder erklommenen Stufe schlägt das Herz ein bisschen schneller. Die Knie werden mit jedem Höhenmeter weicher. Die Schweißperlen im Gesicht sprechen Bände: Der Aufstieg auf die höchste Eisenbahnbrücke Deutschlands ist Adrenalin pur. Wer das imposante Stahlbauwerk der Müngstener Brücke in Solingen erklettern möchte, kann ab sofort hinaufsteigen. Die Wuppertaler Rundschau hat sich den Klettergurt umgeschnallt und die neue Attraktion im Brückenpark getestet.

Rundschau-Redakteurin Milka Vidovic in 100 Metern Höhe auf der Müngstener Brücke.

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

107 Meter hoch, 465 Meter lang, verbaute Stahlprofile mit einem Gesamtgewicht von 5.000 Tonnen und 950.000 eingeschlagene Niete – die Müngstener Brücke ist wahrlich ein Koloss. Das 1897 fertiggestellte Bauwerk, das damals noch Kaiser-Wilhelm-Brücke hieß, beeindruckt auch 124 Jahre später durch seine Bauweise und vor allem Höhe. Apropos Höhe: Die kann man ab sofort am eigenen Leib spüren. Seit dem 1. August ist der socgenannte Brückensteig eröffnet. Die Wuppertaler Betreiberfirma Deepwood hatte rund zehn Jahre mit der Deutschen Bahn (Eigentümerin der denkmalgeschützten Brücke) über die Mitnutzung des Bauwerks als Klettererlebnis verhandelt.

Ohne zu zögern, erkläre ich mich vor meinen Redaktionskollegen mutig dazu bereit, den Brückensteig zu erklimmen. Höhenangst kenne ich nicht. Und die paar Hundert Stufen werden ja wohl einfach zu bezwingen sein. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich allerdings noch nichts von dem Balken, über dem man von der einen Brückenseite zur anderen balanciert ... Genaugenomen umfasst die zweieinhalb Stunden lange Tour 777 Stufen. Sie startet im Haus Müngsten, direkt unter der Brücke, wo meine sieben Mitstreiter und ich von Kletter-Guide Marc Brindl empfangen, mit Helm und Sicherheitsgurt ausgestattet werden. Mit dem Equipment geht es nach draußen. Und während wir im Schatten der Brücke in das Sicherungssystem schlüpfen und die Gurte festzurren, wird mir beim Anblick der 100 Meter hoch liegenden Plattform, die wir gemeinsam erreichen wollen, doch ein wenig flau im Magen.

Ich lasse mir natürlich nichts anmerken, denn selbstverständlich habe ich auch innerhalb meiner Klettergruppe damit angegeben, dass ich keine Höhenangst habe. Ich horche nach links, schaue nach rechts und habe das Gefühl, dass auch die anderen Teilnehmer ein wenig aufgeregt sind. Die Aufregung nimmt uns Brücken-Guide Marc Brindl. Professionell erklärt er das Sicherungssystem und den Ablauf der Tour, hilft beim Anlegen der Gurte, geht auf Fragen ein. Wir fassen Vertrauen und sind uns alle sicher: Falls wir abstürzen und im Gurt hängend an der Brücke baumeln – dieser Mann wird uns retten!

Brückensteig in Solingen. Müngstener Brücke

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

Mit diesem guten Gefühl starten wir. Am Fundament angekommen, klinken wir uns mit einem Handgriff in das Sicherungssystem ein und der Aufstieg beginnt. Es entsteht eine beeindruckende Dynamik. Mit jeder erklommenen Stufe wächst die Gruppe immer mehr zusammen. Alle geben auf einander acht, helfen sich gegenseitig, schauen, dass niemand zurückbleibt.

Brückensteig in Solingen. Müngstener Brücke

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

Mit jedem Schritt entfaltet sich das atemberaubende Ausmaß des Bauwerks. Unterwegs legen wir Stopps für Fotos und Selfies ein. Die machen wir mit dem eigenen Handy (Sicherheitshülle stellt der Brückensteig), aber auch Marc Brindl macht Bilder von uns. Die gibt es im Anschluss an die Tour als kostenlosen Download. Marc Brindl weiß über die Brücke Bescheid. Mit einer Mischung aus geschichtlichen Fakten und lustigen Anekdoten führt er über den Brückenbogen.

Marc Brindl.

Foto: Wuppertaler Rundschau/mivi

Ganz oben kommt die Tour zu ihrem spektakulären Höhepunkt. Hier müssen wir eine nervenaufreibende Entscheidung treffen: Laufen wir in 100 Metern Höhe von einem Brückenbogen zum anderen über eine breite, mit einem Geländer bestückte Plattform oder balancieren wir über einen schmalen Balken ohne Balustrade?

Andreas balanciert über den Balken in 100 Metern Höhe. Der ehemalige Lokführer fuhr etliche Züge über die Müngstener Brücke.

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

Getrieben von meinem Adrenalinschub stachele ich die Gruppe dazu an, den Balken zu passieren. Ich ernte zunächst böse Blicke. Doch nachdem wir diese Hürde meistern, sind wir froh, uns dieser Herausforderung gestellt zu haben. Alle sind sich einig: „Das war ein atemberaubendes Gefühl“.

Ein Abschlussfoto mit der Brücke als Kulisse.

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

Der erste Foto-Stopp beim Aufstieg.

Foto: Brückensteig/Marc Brindl

Nach einer Verschnaufpause und einem Gruppenfoto geht es wieder hinab. Unten angekommen legen wir die Kletterausrüstung ab und verweilen noch gemeinsam bei Kaffee und Kuchen im Haus Müngsten und lassen vor der Kulisse der Müngstener Brücke die Eindrücke der Tour auf uns wirken.