Kirchen in neuer Nutzung Neues Leben in alten Steinen
Wuppertal · Seit 1984 wurden 27 evangelische Kirchen in Wuppertal aufgegeben. Manche wurden abgerissen, manche verkauft, andere umgebaut. Was ist heute an Orten, wo früher Gott zu Hause war?
Ein Halleluja erfüllt die Trinitatiskirche. Die Töne sind für eine Orgel sehr weich und leise, sie hallen nicht, sondern wehen ganz sanft durch den Kirchraum. Und dort, wo einst Menschen in den Bänken saßen, stehen nun stumm und groß weitere Orgeln. Riesige Instrumente aus Italien, England und dem Ruhrgebiet hören der kleinen Orgel zu. Nach Wuppertal, in die Trinitatiskirche am Arrenberg, wurden sie alle von Andreas Ladach geholt. Und von dort geht es weiter in die Welt.
Das Halleluja spielt ein italienischer Organist, der eigens für die kleine Orgel angereist ist. 2.300 Euro soll sie kosten, sagt Andreas Ladach. Vor 15 Jahren hat der Orgelbauer die Kirche gekauft und sie zur Herberge für Dutzende Instrumente gemacht, die ihr Dach über dem Kopf verloren haben.
Während in Deutschland Kirchen schließen, werden anderenorts neue Kirchen gebaut. In Kasachstan, Polen, Italien oder in Südamerika, erzählt Andreas Ladach, bekommen seine Orgeln ein zweites Leben. Wenn Ladach eine Kirche besichtigt, die geschlossen werden soll, stimmt das den gläubigen Katholik nachdenklich. "Aber während hier der Glaube den Bach runter geht, blüht er anderswo auf." Und mit ihm ziehen die Orgelklänge.
Orgelwerkstatt, Tanzschule, Wohnraum, Kindergarten. Werner Jacken kennt all die 27 aus dem Kirchendienst entlassenen Gotteshäuser in Wuppertal und weiß, was heute an ihrer Stelle steht. "Neues Leben in alten Steinen", ist die Tabelle überschrieben, die der Pfarrer für den evangelischen Kirchenkreis führt. "Wir müssen lernen, mit leichterem Gepäck unterwegs zu sein", zitiert er Präses Manfred Rekowski. Wenn eine Kirche geschlossen wird, seien die Menschen im Stadtteil oft trauriger als die Gemeinde selbst. "Wer nur seine Trauung oder eine Taufe mit der Kirche verbindet, hat eine andere Perspektive. Die Gemeinde selbst weiß um die leeren Kirchenbänke und somit um die Notwendigkeit einer Veränderung."
Gerade durch die Zusammenlegung von reformierten und lutherischen Gemeinden habe es Kirchen und Gemeindehäuser oft doppelt in nächster Nachbarschaft gegeben. In dieser Situation wurden profanere Bauwerke zugunsten stadtbildprägender Kirchen aufgegeben. Das bedeutet: Verkauf, Umbau, Abriss. "Was passiert, bestimmt die Gemeinde", erklärt Werner Jacken. So ist die Trennung von jeder Kirche in einem basisdemokratischen Prozess entschieden worden — und somit leichter zu ertragen.
Malte und Rosanna Reiter besichtigten 2014 ein solches nicht mehr rentables, ehemaliges Gemeindehaus am Uellendahl. Das Ehepaar, er Fotograf und sie Kosmetikerin, waren auf der Suche nach einem besonderen Ort, an dem sie beide leben und arbeiten konnten. "Das Gemeindehaus kommt nicht infrage", erklärte Malte Reiter dem Makler damals und schaute auf das benachbarte Grundstück. "Aber was ist nebenan mit der Kirche?"
Mit viel Ärger, aber mit noch viel mehr Liebe ist aus der Kirche mit der dunklen Holzdecke aus dem Jahr 1962 ein helles Foto- und Kosmetikstudio entstanden. Eine eingezogene Decke ermöglicht, dass das Ehepaar auf einer zweiten Etage wohnen kann. Der Umbau, geprägt durch Zwistigkeiten mit Baufirma und Architekt, hat die Reiters auf eine harte Probe gestellt. "Hätten wir das damals gewusst, hätten wir es nicht gewagt", sagt er. "Zum Glück wussten wir es nicht." Der Umbau der Kirche zum Wohn- und Arbeitsparadies — war "jede Sorge wert." Heute erzählt fast nur noch der Glockenturm vor der Haustür von dem vorherigen Leben des Hauses. Ist Gott geblieben? "Für mich hängt Glaube nicht an einem Haus", sagt sie.
"Wenn ich Menschen in die Kirche hole, um ihnen Gott nahe zu bringen, verliere ich sie genau in diesem Moment." Der Theologe Erhard Ufermann sitzt in der Citykirche am Elberfelder Kirchplatz, als er das sagt, eine Kirche "mit der ältesten Geschichte und dem neusten Konzept." Nur 900 Meter von den City-Arkaden entfernt, befindet sich ein Altarraum, der um 900 gebaut wurde. Seit über 1.000 Jahren stehen diese Steine genau auf diesem Fleckchen Erde. Der Rest um sie wurde abgebrannt, wiederaufgebaut, dann im Bombenhagel weggefetzt. Am wohl ältesten Ort Wuppertals ist eine neue Kirche gewachsen, und der evangelische Kirchenkreis hat ihr 1999 ein neues Gewand gegeben.
Unter dem Label "Citykirche" haben hier heute Glaube, Kultur, Begegnung Platz. Und politische Diskussion. Erst neulich kamen Dutzende Flüchtlinge, Aktivisten aus der linken Szene und viele Andere in die Kirche. Im Chorraum, eben jenem uralten Stück Kirchengeschichte, stand statt eines Pfarrers ein Mann, der auf Farsi übersetzte. Neben ihm Politiker, die diskutierten und sich vor dem kritischen Publikum rechtfertigten.
Und wenn hier Gottesdienst gefeiert wird, entspricht auch der einem "neuen Geist." Die Citykirche, als einzige evangelische Kirche in Wuppertal ohne eigene Gemeinde, muss Menschen dazu bewegen, bewusst zu kommen. Politische Abendgebete, Themengottesdienste — Erhard Ufermann hat viele Ideen. Und sonst? Sonst soll die Kirche Gastraum für jeden Wuppertaler sein. Während oben der CVJM regiert, soll im Vorraum im nächsten Jahr wieder eine Gastronomie eröffnen. Keine Bekehrung, nur Begegnung, verspricht Ufermann. "Und wenn Gott dann doch da ist, ist das noch schöner", sagt Werner Jacken.
Wie lange wird seine Liste "Neues Leben in alten Steinen" wohl noch werden? "Ja, es werden weitere Kirchen geschlossen werden", sagt der Pfarrer. Angst mache ihm das aber nicht. Er erinnert sich an den Umbau der Gemarker Kirche — das Pendant der Citykirche in Barmen. Ein Mann, der mit Leib und Seele die Bänke retten wollte, sei nun einer ihrer glühendsten Verfechter. "Gott bringt sich selbst", sagt Werner Jacken. Und: "Veränderung hat noch nie geschadet."