Neuer Wuppertaler OB fast 100 Tage im Amt Muckes Start: Die Bilanz
Wuppertal · Nächste Woche ist Oberbürgermeister Andreas Mucke 100 Tage im Amt. Nachdem er beim Start im Oktober gleich mit eigenen Akzenten punkten konnte, ist es — von außen betrachtet — etwas ruhig geworden, sieht man den 49-Jährigen vor allem auf vielen jener Repräsentationstermine, die er eigentlich zugunsten der Arbeit am Schreibtisch reduzieren wollte.
Mit der Rundschau sprach der SPD-Politiker über einen fremdbestimmten Terminkalender, seine ersten Impulse in Verwaltung und Politik — und dicke Bretter.
"Wir haben verstanden." Mit diesem Slogan hat ein Automobilhersteller vor einigen Jahren für sich geworben. Ein Satz, der auch ausgezeichnet funktioniert, um Andreas Mucke und seinen Ansatz zu beschreiben, das Amt des Oberbürgermeisters zu gestalten. Seine Maxime: "Es ist wichtig, aus Fehlern zu lernen. Am besten aus den Fehlern der anderen", sagt er. Und da hat der Sozialdemokrat bei seinem Amtsvorgänger Peter Jung (CDU) ganz genau hingesehen.
Mehr Geld und vor allem Fürsorge für die Kultur, mehr Bürgerbeteiligung, Chef der Verwaltung sein und ein politischer Oberbürgermeister. Und vor allem: ein Ansprechpartner auf Augenhöhe — "für ein konstruktives, vertrauensvolles Miteinander im Rat und auch draußen in der Stadt". Kurzum: Vieles, was Bürger und Politiker in den vergangenen Jahren vermisst haben, steht auf Muckes Agenda. Doch konnte der 49-Jährige in den ersten knapp 100 Tagen seiner Amtszeit schon etwas bewegen?
Ja, sagt er selbst. "Ich diskutiere inhaltlich viel mit, mische mich ein." So erarbeite derzeit eine Arbeitsgruppe der Verwaltung auf seine Initiative ein integriertes Stadtentwicklungskonzept. "Es existieren jede Menge Einzelkonzepte. Zur Kultur, zu Schulen, zum Einzelhandel. Aber wir brauchen endlich ein Stadtentwicklungskonzept, das alle einzelnen Aspekte erfasst, das eine Klammer bildet." Hm... War nicht neulich zu vernehmen, dass SPD-Fraktionschef Klaus Jürgen Reese genau so ein Konzept für überflüssig hält? Andreas Mucke schaut ernst, überlegt einen Moment. Die Antwort kommt knapp und kühl: "Das ist seine Meinung, meine ist eine andere."
Er wechselt das Thema. Schließlich hat er noch mehr getan. Etwa seine Themen mit in den Haushalt eingebracht. Mehr Geld für die Wuppertaler Bühnen, die freie Kultur, Ausbau der U3-Betreuung, die Stellen der Stadtteilmanager erhalten, Klimaschutz, Präventionsprojekte für Kinder und Jugendliche. Bisher ist allerdings nicht klar, ob es eine Verstetigung dieser Mittel, etwa für die Bühnen, geben wird. "Wenn es der Haushalt zulässt, auf jeden Fall", stellt Mucke klar und unterstreicht sein Engagement für die Kultur. Das Thema der Restrukturierung der Bühnen habe er auch zu seinem persönlichen gemacht, sei bei den Treffen der Arbeitsgruppe dabei. "Da verlasse ich mich nicht auf andere."
Energischer, im Ton oft etwas schärfer als vor der Wahl, so wirkt der OB in solchen Momenten. Er gießt sich noch etwas Cola ein. Der Arbeitstag war lang und ist auch nach dem Interview um 19 Uhr für ihn noch nicht beendet. "14 Stunden sind es schon jeden Tag, alles extrem durchgetaktet", erzählt der Vater von drei Söhnen. Daran habe er sich gewöhnen müssen, dass sein Terminkalender so fremdgesteuert sei. "Aber eine Stunde jeden Tag habe ich mir erkämpft, die ich in Ruhe am Schreibtisch sitzen kann. Denn ich will alle Briefe und Dokumente, die ich unterschreibe, auch genau lesen."
Bei allem Respekt und Stress ("Nicht so schlimm wie im Wahlkampf") betont Mucke immer, wie viel Freude ihm die neue Aufgabe mache. Vor allem die Mitarbeiter im Rathaus seien toll. Entlassen oder ausgetauscht hat er niemanden. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Bei allem Verweis auf die Kollegialität: Wenn es um besonders wichtige Dinge geht, dann übernimmt Andreas Mucke sie lieber selbst. So hat er in Sachen Carnaper Platz neulich den Bezirksbürgermeister und die Bürgervereinsvorsitzenden zu sich eingeladen. Um den persönlichen Dialog zu suchen, eine positive Stimmung zu schaffen. Zu retten, was zu retten ist. Und als kürzlich am Steingarten an der Nordbahntrasse die Wogen zwischen Wuppertalbewegung und Stadtverwaltung mal wieder hoch gingen, gab es vom OB klare Anweisungen an seine Leute, eine praktikable Lösung zu finden. Die Verwaltung als Dienstleister und Möglichmacher — da will er hin. "Das ist noch ein langer Weg, das kann Jahre dauern", räumt Mucke ein. "Aber man muss ja mal anfangen. Ich kann nur versuchen, das vorzuleben."
Vorleben will der Diplom-Ingenieur und Hobby-Schauspieler auch eine andere politische Kultur im Rat. Respektvoll, konstruktiv und wertschätzend — so wünscht er sich das. Und hat es vor der Wahl auch angekündigt. Im Umgang des SPD-Fraktionschefs mit den Grünen war davon bislang jedoch noch nichts zu spüren. Marc Schulz (Grünen-Fraktionsvorsitzender) sprach im Dezember von "dicken Brettern", die Mucke da zu bohren habe. Mucke konterte mit einem leistungsstarken Bohrer, den er besitze. Wohl wissend, dass dieser Prozess vielleicht der schwierigste und langwierigste auf seiner Agenda ist. Und doch: Machbar sei es, behauptet er. "Mit Beharrlichkeit und im positiven Zusammenspiel ist das zu schaffen."
Vermutlich braucht es starke Nerven und ein dickes Fell, die lauten Anfeuerungsrufe auf der einen und die demonstrative Nichtbeachtung auf der anderen Seite auszuhalten. Denn während die Grünen unermüdlich nach anderen Mehrheiten im Rat jenseits der Großen Kooperation rufen, mit denen der neue OB seine Pläne umsetzen könne, gibt sich die SPD-Ratsfraktion gegenüber dem SPD-Oberbürgermeister mitunter recht unterkühlt. Eine nicht unbrisante Gemengelage für den Mann an der Stadtspitze, der eher als harmoniebedürftig beschrieben wird.
Dass Andreas Mucke bereit ist, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen, hat er beim Thema Forensik bewiesen, als er dem Land das Gelände an der Kleinen Höhe angeboten hat, um Lichtscheid vor diesen Plänen zu retten. Das sei eine dicke Kröte gewesen, die der ehemalige Umweltaktivist schlucken musste, sagen Genossen. Mucke selbst sagt: "Es ist wichtig, Teil der Lösung zu sein." Und das habe Peter Jung mit seiner passiven Verweigerungshaltung versäumt.
So ganz gewöhnt hat sich Andreas Mucke nach knapp 100 Tagen übrigens noch nicht daran, dass er jetzt OB ist. "Manchmal wache ich morgens auf und wundere mich noch." Man sehe ihn nicht mehr so oft über die Trasse joggen, gibt er zu, die Freiräume haben sich deutlich reduziert. Und noch etwas vermisst der kontaktfreudige Politiker: Gesellschaft. "Man ist schon relativ einsam in der Position. Zum Mittagessen gehe ich oft allein."