Interview zum „#Wärmewinter“ „Die Menschen geraten unverschuldet in Not“
Wuppertal · Seit Ende 2022 gibt es die Aktion und den Hashtag „#Wärmewinter“ für Menschen, bei denen das Geld knapp ist. Ein Interview mit Eric Stöcker (Leiter des Wuppertaler Stadtteilzentrums WiKi) über die Situation und Hilfsangebote.
Für wen ist der #Wärmewinter gedacht? Wer profitiert von dem zusätzlichen Beratungsangebot von Evangelischer Kirche und Diakonie in Wuppertal?
Stöcker: „Das Spektrum der Hilfesuchenden ist sehr groß – und zieht sich durch alle Gruppen. Zu unserer Sozialberatung kommen oft Alleinerziehende und Familien, aber auch Rentner. Immer häufiger suchen auch Menschen Hilfe, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und die gerade den Mindestlohn von zwölf Euro bekommen.
Wir beraten außerdem auch viele Migranten. Denn ohne Aufenthaltsgenehmigung gibt es für sie keine Leistungen vom Jobcenter. Es dauert manchmal sechs Monate und länger, bis überhaupt Leistungen gezahlt werden. Dadurch geraten auch diese Menschen unverschuldet in echte Not.“
Welche Probleme werden Ihnen dann konkret geschildert?
Stöcker: „Die Stromrechnungen sind plötzlich doppelt so hoch wie in den Jahren zuvor. Das ist natürlich eine heftige Belastung. Das Jobcenter übernimmt die Heizkosten, aber nicht die Stromkosten. Daher können in sechs Monaten bei einer Familie schnell Stromschulden von 2.000 Euro und mehr entstehen.“
Das heißt, dass viele Betroffene erst dann zur Beratung kommen, wenn es quasi schon zu spät ist und schon Schulden entstanden sind?
Stöcker: „Ja genau. Viele von ihnen wissen nicht, dass ihnen aufstockende Leistungen zustehen: Sie können einen Kinderzuschlag- oder einen Wohngeldantrag stellen, damit es erst gar nicht so weit kommt. Vielfach ist das aber nicht bekannt und einigen Menschen trauen sich auch nicht, zur Beratung zu kommen.“
Warum?
Stöcker: „Die Betroffenen sind oft stolz und haben Angst, in ein falsches Licht zu geraten, wenn sie Hilfe annehmen. Darum melden sie sich erst bei uns, wenn sie schon massiv unter Druck stehen und die ersten Mahnungen vorliegen oder wenn bereits eine Stromsperre droht. Da ist zum Beispiel die alleinstehende Rentnerin, die mit ihrer kleinen Rente bisher gerade so über die Runden gekommen ist. Aufgrund der gestiegenen Preise reicht es aber jetzt nicht mehr für die Gas- und Heizkosten.
Oder die alleinerziehende Mutter, die nach der Trennung mit der Ratenzahlung für neue Möbel zu kämpfen hat. Dann kommt es auch mal vor, dass im täglichen Stress oder aus Angst, Briefe ungeöffnet bleiben. Und dann kann es ganz schnell gehen, dass einem die Mahngebühren über den Kopf wachsen und plötzlich hat man eine Inkassoforderung am Hals.“
Wie können Sie dann konkret helfen?
Stöcker: „Erst schauen wir, ob den Menschen Hilfen zustehen, wie beispielsweise Wohngeld oder ein Kinderzuschlag. Im zweiten Schritt können wir über das Sozialamt wirtschaftliche Hilfen beantragen. Darüber hinaus verteilen wir über die Gemeinden Lebensmittelgutscheine, und helfen auch dabei, Kindertal-Anträge für Bekleidung oder Möbel zu stellen.
Wenn es dann noch Probleme gibt, dann schauen wir gemeinsam, ob wir mit Überbrückungszahlungen weitere Mahnungen verhindern oder gar eine Stromsperre. Wir helfen auch dabei, Briefe an die Stadtwerke zu formulieren, damit Rechnungen in Raten bezahlt werden oder damit die Abschlagzahlungen verringert werden. Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, einen Antrag über Kindertal zu stellen. Auch darüber informieren wir.“
Merken Sie denn, dass die Menschen aktuell mehr Hilfe brauchen?
Stöcker: „Ja. So gut wie jeden Tag steht jemand bei uns vor der Tür. Eine Inflation von über zehn Prozent gab es seit Ende der 1940er Jahre nicht mehr. Wir werden auch vermehrt nach Lebensmittelgutscheinen gefragt, weil die Leute mit der Preissteigerung zu kämpfen haben. Einige Menschen haben schon ein Darlehen aufgenommen, um beispielsweise die Kaution für die Miete bezahlen zu können. Wenn dann noch eine Ersatz-Beschaffung ansteht, weil etwa der Kühlschrank kaputtgegangen ist, dann wird es schon eng.
Zum Glück haben wir als Diakonie und mit unserer Sozialberatung noch ein Gewicht in der Stadt und können in der Regel zu den Ämtern durchdringen. Aber ein weiteres Problem ist, dass die Ämter durch das neue Bürgergeld zusätzlich belastet sind. Gleichzeitig nehmen auch die Anträge auf Wohngeld zu. Das Personal ist ohnehin überlastet und für die Ämter ist es dann noch schwerer, hinterher zu kommen. So müssen die Menschen oft lange warten.“