Interview mit Prof. Uwe Schneidewind über ein wegweisendes Buch "Hauptstadt der Zukunftskünstler"

Wuppertal · "Wer schon immer wissen wollte, was das Institut so macht, kann es hier auf 500 Seiten nachlesen", erklärt Uwe Schneidewind lapidar über die neue Publikation des Wuppertal Instituts. Dass aber doch etwas mehr dahinter steckt, wird im Gespräch schnell deutlich.

Prof. Uwe Schneidewind sagt über unsere Stadt: "Wuppertal ist Zukunftskünstler-Hauptstadt."

Foto: A. Riesenweber/Wuppertal Institut

Denn mit dem Appell: "Werden Sie Zukunftskünstlerin!" endet nicht nur das Buch, sondern auch das Gespräch mit Volontärin Hannah Florian. Das klingt nach einer großen Aufgabe.

Rundschau: Herr Schneidewind, ein zentraler Begriff in Ihrem Buch, der dem Leser schon beim ersten Blick auf den Klappentext entgegen springt, ist "Zukunftskunst". Was soll das bedeuten?

Schneidewand: Mit "Zukunftskunst" wollten wir bewusst einen neuen Begriff in die Nachhaltigkeits-Diskussion bringen, der für die Haltung steht, nämlich Zukunftsgestaltung auch in schwierigen Zeiten als lustvolle und kreative Aufgabe zu begreifen. Große Teile der ökologischen Debatte befinden sich in einer Sackgasse. Wir erklären seit 30 Jahren, dass die Welt untergeht, dass alles schlimmer wird. Die Menschen sind zunehmend genervt. Sie dürfen kein Fleisch mehr essen, sollen auf Diesel verzichten… Es tritt eine Ermüdung ein. "Zukunftskunst" dreht die Perspektive und betont die faszinierenden Chance, vor der wir als Menschheit stehen. Wir haben zum ersten Mal in der Geschichte die Möglichkeit, dass alle Menschen auf diesem Planeten ein gutes Leben führen können. Wir haben Technologien, politische Instrumente, es ist alles da. Wir stehen vor der Herausforderung, das in ein Zusammenspiel zu bringen. "Zukunftskunst" soll motivieren, auf lustvolle, kreative und gestalterische Art diese Zivilisationsaufgabe zu entdecken.

Rundschau: Wie sieht es mit der "Zukunftskunst" in Wuppertal aus?

Schneidewind: Man kann sagen, Wuppertal ist Zukunftskünstler-Hauptstadt. In Wuppertal lebten schon immer Menschen, die den Mut hatten, das Utopische zu denken. Von Friedrich Bayer über Friedrich Engels, von Else Lasker-Schüler über Pina Bausch zu Tony Cragg. Genauso wie die Mitstreiter der Wuppertal Bewegung, die den Mut hatten, die Nordbahntrasse auf den Weg zu bringen, die Utopiastadt-Initiatoren, oder die Menschen, die im "Aufbruch am Arrenberg" tätig sind. Die Dichte an Zukunftskünstlern in Wuppertal ist sehr hoch.

Rundschau: "Zukunftskunst" zeichnet neue Bilder für die Mobilität, die Ernährung, das Bauen und das Wohnen der Zukunft. Wie könnten diese Bilder aussehen?

Schneidewind: Nehmen wir das Beispiel Ernährung. Zurzeit ist unsere Ernährungsproduktion nicht nachhaltig. Wir produzieren Soja auf Plantagen am anderen Ende der Welt, verfüttern es hier an unsere Rinder und können dadurch billiges Fleisch beim Discounter kaufen. Viele Menschen haben mittlerweile das Gefühl, dass das nicht mehr richtig ist. Hier in Wuppertal entsteht die Vision von einer der größten urbanen Farmen Deutschlands, und zwar am Arrenberg. So eine Farm ist ein bedeutender Baustein einer neuen Nahrungsmittelproduktion. Der größte Teil der Produktion passiert dort, wo auch konsumiert wird. Schwieriger ist die Diskussion um Mobilität. Wir haben vor einem Jahr die Vision einer autofreien Elberfelder Innenstadt vorgelegt. In internationalen Vorreiterstädten wird das längst auf den Weg gebracht. Stellen Sie sich vor, vom Hauptbahnhof Döppersberg bis zum Mirker Bahnhof und vom hoffentlich bald entstehenden Pina-Bausch-Zentrum bis zum Robert-Daum-Platz entsteht eine der spannendsten weitgehend autofreien, urbanen Zonen. Elberfeld würde dadurch zu einer der attraktivsten urbanen Innenstädte werden.

Rundschau: Das klingt aber sehr utopisch, besonders wenn man sich die Reaktionen auf die Diskussion um eine autofreie Luisenstraße ansieht.

Schneidewind: In New York, Barcelona, Kopenhagen oder Madrid wird das längst vorgedacht. Die Vorreiter sind da. Und das ist "Zukunftskunst". Und da so etwas wie die Nordbahntrasse auch mal völlig utopisch war, bin ich guter Dinge. Aber klar, wenn wir heute so etwas vortragen, wirkt es weit weg. Das Wuppertal Institut steht aber schon immer für die Kraft der Utopie. Jede Veränderung, die wir brauchen, muss mit einer kraftvollen Utopie beginnen. Und mit Menschen die bereit sind, sich dafür einzusetzen. Und davon gibt es in Wuppertal sehr viele.

Rundschau: Sie fragen im Vorwort: Wird die Welt im Jahr 2050 eine bessere und nachhaltigere sein? Was denken Sie?

Schneidewind: Das ganze Buch wehrt sich gegen das Verständnis, auf das Wissenschaft üblicherweise reduziert wird: Was glauben Sie, Herr Schneidewind, als Wissenschaftler, wie wird die ganze Sache ausgehen? Dann wird erwartet, dass Wissenschaft als unbeteiligter Beobachter die Situation von außen analysiert. Dieses Buch soll deutlich machen, dass Wissenschaft auch wünschenswerte Zukünfte entwerfen muss und die Grundlage für Hoffnung und Engagement schafft. Václav Havel, ehemaliger tschechischer Präsident, hat gesagt, Hoffnung ist die Sicherheit, dass da etwas ist, für das es sich lohnt, sich einzusetzen und zu kämpfen. Ob das gut ausgeht, hängt von vielen Faktoren ab. Aber klar ist, dass es nicht gut ausgeht, wenn nicht ich und viele andere sich dafür einsetzen. Wir stehen aktuell an einem Punkt in der Klimadebatte, an dem klar ist, dass etwas getan werden muss. Wir stehen kurz vor dem Durchbruch. Das Buch wirbt nicht für Prognosen, sondern für diese Hoffnung.

Rundschau: Was nimmt der Wuppertaler Leser aus der Lektüre mit?

Schneidewind: Er kriegt eine Idee für die faszinierende Vision der nachhaltigen Entwicklung, für die es sich zu kämpfen lohnt. Und er erhält Impulse, an welcher Stelle er etwas verändern kann und wo generell Veränderung geschehen muss. Unser letzter Satz ist ein Appell: Werden Sie Zukunftskünstlerin! Damit möchten wir eine Art Zukunftskunst-Bewegung auslösen.