Streetworker im Einsatz „Gucci-Gang“: Gewalt und Geborgenheit

Wuppertal · Dienstagabend in Heckinghausen: Eine Gruppe von Jugendlichen lungert im Flur eines Mietshauses herum. Ein 70-jähriger Bewohner tritt aus seiner Wohnung und bittet sie, das Haus zu verlassen. Plötzlich eskaliert die Situation. Zwei 14-jährige Jungen schlagen und treten auf den Mann ein, verletzen ihn lebensgefährlich schwer.

Am Berliner Platz treffen sich auch die Jugendlichen der „Gucci-Gang“. Streetworker versuchen dort, Kontakt zu ihnen aufzubauen.

Foto: Dennis Polz

Ein weiterer Bewohner unterbricht die Prügelattacke, hält einen der 14-Jährigen fest, der andere flüchtet. Einen Tag später fasst ihn die Polizei.

Die Tat zieht die Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Noch brisanter wird es, als bekannt wird, dass die beiden Jugendlichen zur so genannten „Gucci-Gang“ gehören, einer Clique von Kindern, die in Oberbarmen und Heckinghausen durch Delikte wie Diebstahl und Körperverletzung aufgefallen ist und sich selbst nach einem Song des Rappers Lil Pump benannt hat.

Schockierend ist das Alter der Gang-Mitglieder: Die beiden Täter sind 14 Jahre alt, ein Großteil der Jugendlichen wesentlich jünger.

Jugendamtsleiterin Christine Roddewig-Oudnia sind die Gang-Strukturen in Oberbarmen und Wichlinghausen seit einem Jahr ein Begriff.

Foto: privat

Täter oft noch nicht strafmündig

Was treibt Kinder dazu, sich in kriminellen Banden zu organisieren? Wie können Jugendamt und Polizei auf Täter zugehen, die mit 9 oder 10 Jahren noch längst nicht strafmündig sind?

Christine Roddewig-Oudnia, Leiterin des Wuppertaler Jugendamts, ist die „Gucci-Gang“ schon seit gut einem Jahr ein Begriff. Im Sommer 2018 häuften sich die Straftaten in Oberbarmen und Heckinghausen, die zum Großteil von Kindern unter 14 Jahren begangen wurden. Als Gespräche mit den Eltern keinen Erfolg zeigten, schickten Jugendamt und Diakonie Anfang 2019 zwei junge Streetworker in die Stadtteile. „Die ,Gucci-Gang’ ist sehr mobil, mal hier, mal dort. Deshalb sollten auch unsere Maßnahme mobil sein. Die Streetworker sind zu Fuß unterwegs oder mit einem Bulli, in den man sich für Gespräche zurückziehen kann“, erklärt Roddewig-Oudnia.

Gezielt steuern die Pädagogen Orte an, von denen sie wissen, dass die Jugendlichen der Gang sich dort gerne aufhalten: Berliner Platz, Rosenau, Bahnhof und McDonald’s. Auf Augenhöhe und in jugendnaher Sprache nehmen sie Kontakt auf, tasten sich heran, bauen an einem guten Verhältnis.„Wir haben ziemliches Vertrauen von den Kindern, weil wir starke Schweigepflicht haben“, können die Streetworker nach den ersten Monaten verkünden. „Es gibt immer Jugendliche, die offen für Gespräche sind“, weiß Roddewig-Oudnia.

Stärke und Geborgenheit

Und zwar aus ganz unterschiedlicher Motivation. Eine Bande wie die „Gucci-Gang“ transportiert nach außen hin ein Image von Stärke. Nach innen vermittelt sie Geborgenheit und Nähe. Für Kinder, die in der Schule oder im Elternhaus Probleme haben, aus ärmeren Verhältnissen stammen oder von Mitschülern gemobbt werden, ist die Gang-Zugehörigkeit ein Schutz. „Es gibt schließlich nicht nur die Seite der Clique, die Straftaten begeht“, erklärt die Jugendamtsleiterin.

Die Zusammensetzung der „Gucci-Gang“-Mitglieder ist heterogen. Einige von ihnen stammen aus zerrütteten Familien, andere wiederum aus gutbürgerlichem Milieu. Ein Großteil ist unter 14 Jahre alt und somit noch nicht strafmündig. Der Wirkungskreis der Gang, zu der Polizei und Jugendamt mittlerweile fast 40 Kinder zählen, konzentriert sich auf Oberbarmen und Heckinghausen. „In Barmen-City sind ältere Jugendliche unterwegs. Eine kleine Gruppe der ,Gucci-Gang’ ist in Elberfeld gesehen worden, das ist aber eher die Ausnahme.“Der niederschwellige Kontakt der Streetworker hat nach fünf Monaten bereits gefruchtet: Zwei bis drei Kinder konnten bisher aus der Gang gelöst und in Jugendhilfe-Maßnahmen vermittelt werden. Noch testen die Pädagogen aus, ob und wie sie dauerhaft Kontakt zu der Gang aufbauen können.

Auslösung aus Gang-Strukturen

„Kinder, die noch nicht so tief drin stecken in den Strukturen, erzählen relativ schnell von ihren Problemen, erzählen, dass sie Alkohol trinken oder es in der Schule nicht gut läuft“, erklärt die Leiterin des Jugendamts. Für diese Kinder besteht Hoffnung. Sie sind den Worten der Streetworker zugänglicher als Jugendliche, die tief in den Gang-Strukturen stecken und zu schweren Gewalttaten bereit sind, wie die beiden 14-jährigen Täter der Attacke von letzter Woche. Der Vorfall, bei dem ein 70-jähriger Wuppertaler aus heiterem Himmel brutal zusammengeschlagen wurde, ist auch für das Jugendamt und die Streetworker nicht einfach zu verkraften. „Wir hatten gehofft, dass wir so etwas bereits verhindern können“, äußert sich Christine Roddewig-Oudnia dazu.