Wer (Politik-)Beruf und Familie unter einen Hut bekommen will, hat kein leichtes Spiel. Wie erleben Sie das?
Interview mit Dilek Engin (SPD) „Ich brenne für das Thema Schule“
Wuppertal · Vor fast genau einem Jahr wurde die 41-jährige Lehrerin Dilek Engin für die Wuppertaler SPD in den Düsseldorfer Landtag und dort zur schulpolitischen Sprecherin ihrer Fraktion gewählt. Mitglied des Stadtrates ist sie außerdem. Wie schafft man das als junge Mutter? Im Gespräch mit den Rundschau-Redakteuren Stefan Seitz und Roderich Trapp gibt sie die Antwort - und blickt auf die Politik in NRW und lokale Facetten.
Engin: „Ich frage mich selbst manchmal, wie das überhaupt klappt. Meine beiden Kinder sind einmal fünf Jahre und einmal acht Monate alt. Dreistündige Sitzungen im NRW-Schulaussausschuss sind eine enorme Aufgabe. Mein Mann hält mir oft den Rücken frei. Die Verbindung von Familie und Beruf müsste aber auch ohne Familienhilfe möglich sein. Zum Hintergrund muss man wissen, dass es im Landtag keine Kinderbetreuung gibt.“
Apropos Schulaussausschuss: Sie waren Lehrerin an der Else-Gesamtschule, kennen das echte Schulleben. Wie sehen Sie die Lage in NRW?
Engin: „Schule ist zurzeit ein wildes Thema. 7.000 Mails dazu habe ich in meinem Posteingang. Leider hat sich die Besetzung des Schulministeriums nach FDP-Ministerin Gebauer jetzt mit CDU-Ministerin Dorothee Feller nicht wirklich verbessert. Frau Gebauer hatte eine 6 verdient, Frau Feller gebe ich eine 5 minus. Sie hat zwar viele Gespräche geführt, aber danach keine klugen Entscheidungen getroffen. 800 Lehrerinnen und Lehrer, darunter sogar verbeamtete, haben zuletzt gekündigt. Auch angesichts dessen, dass Teilzeitarbeit jetzt quasi verboten werden soll. Es wird auch noch weitere Kündigungswellen geben. Das alles hat tiefgreifende Folgen für unser Bildungssystem.“
Was ist Ihrer Meinung nach notwendig, um dem entgegenzusteuern?
Engin: „Der Lehrerberuf muss unbedingt attraktiver gemacht werden, denn wir stehen vor einer Bildungskatastrophe. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung, vor allem die finanzielle Kluft zwischen angestellten und verbeamteten Lehrern, die beide exakt die selbe Arbeit leisten, müssen deutlich verbessert werden. Die Schulen haben riesige Probleme, ihre Leitungspositionen zu besetzen. Genauso aber auch Schwierigkeiten, Hausmeister zu finden.“
Über Lehrer und deren Arbeitswirklichkeit gibt es unendliche viele Vorurteile ...
Engin: „Allerdings! Deswegen ist es auch unbedingt notwendig, dass der Lehrerberuf gesamtgesellschaftlich mehr wertgeschätzt wird. Wer diesen Beruf ernst nimmt, und das tun unzählige Kollegin und Kollegen, ist beinahe ständig in Sachen Schule aktiv. Das hat nichts mit dem völlig falschen Lehrerbild, das es überall gibt, zu tun. Wo ich nur kann, setze ich mich dafür ein, dieses verzerrte Bild zu korrigieren.“
Die Corona-Schulschließungen während werden jetzt kritisch gesehen. Was sagen Sie dazu?
Engin: „Ja, das war ein Riesenfehler. Dessen Folgen aufzuholen, wird sehr lange dauern. Die Missstände im Schulsystem sind jetzt ganz deutlich sichtbar. Überall fehlen Lehrer. Wenn wir beispielsweise realistisch rechnen, fallen nicht etwa 8.000 Unterrichtsstunden im Jahr aus, sondern mindestens das Doppelte. Quereinsteigenden Lehrkräften werden in NRW unnötige Bürokratiehürden in den Weg gelegt. Da läuft so vieles schief, und Ministerin Feller sieht das alles nicht. Oder will es nicht sehen.“
Ihre Schulpolitik-Vision?
Engin: „Einmal ,tabula rasa‘ machen. Den Übergang von der Kita zur Schule prüfen. Ist die Selektion in der vierten Klasse der richtige Weg? Diese Selektion zu diesem Zeitpunkt gibt es in vielen anderen europäischen Ländern längst nicht mehr. Wichtig dabei ist, dass dann aber auch wirklich genügend Gesamtschulplätze, auf die sich der Elternwille hauptsächlich konzentriert, vorhanden sein müssen.“
Bei Fans des Gymnasiums gehen da immer die Alarmlampen an ...
Engin: „Zu unrecht! Die einzelnen Schulformen dürfen sich nicht untereinander bekriegen. Ich plädiere keinesfalls für die Abschaffung des Gymnasiums! Aber unsere Lehrpläne gehören unbedingt auf den Prüfstand. Beispielfrage in diesem Zusammenhang: Ist eine Klassenarbeit oder aber Projektarbeit der gute Weg zur absolut notwendigen Leistungsüberprüfung? Darüber muss offen diskutiert werden. Ebenso wie über eine Ausweitung von Familiengrundschulzentren, kostenlosen Kita-Plätzen, kostenlosem Schul-Mittagessen. Leider gibt es da überall kaum eine Entwicklung nach vorn.“
Sie sind Mitglied im Landtag und im Stadtrat. Kommt der Altschuldenfonds?
Engin: „Wenn’s um Geld geht, sagt Ministerpräsident Wüst, der dann stets nach Berlin zeigt, immer ,nein‘. Mit den Kräften, die diese Landesregierung führen, sehe ich nichts für Wuppertal.“
Auf die Frage, wen Wuppertals SPD in zweieinhalb Jahren ins OB-Rennen schickt, hört man immer wieder Ihren Namen ...
Engin: „Dadurch fühle mich zwar geehrt, aber ich wurde ja gerade erst in den Landtag gewählt. Ich brenne für das Thema Schule, bin leidenschaftliche Lehrerin und leidenschaftliche schulpolitische Sprecherin. Das OB-Thema kommt im Moment für mich nicht in Frage.“