Die Weihnachtsbotschaft der Kirchen Eine heilsame Störung

Wuppertal · Am Heiligen Abend ist es wieder soweit. In unseren christlichen Kirchen werden wir sie hören, die Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas- und dem Matthäus-Evangelium der Bibel: von Maria und Josef, von der Geburt des Gotteskindes Jesus in einem armen Stall, von den Hirten auf dem Felde und den himmlischen Heerscharen von Engeln. Eine Geschichte fast wie aus einer anderen Welt.

Ilka Federschmidt und Dr. Bruno Kurth.

Foto: Tim Polick

Aber wir werden wohl auch seltsam berührt sein, wenn darin von denselben Orten die Rede ist wie in unseren heutigen Nachrichten: von Syrien, wo ein gewisser Quirinius römischer Gouverneur war, von Ägypten, wohin die heilige Familie später flieht, von Jerusalem, von Bethlehem – ja, vor allem von Bethlehem. Bethlehem, der Ort, wo Jesus geboren wurde. Bethlehem heute: seit 1995 eine Stadt auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland. Ein Ort, der heute bitter mit hineingezogen ist in den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern.

Man kann von dem Bethlehem in der Weihnachtsgeschichte kaum hören, ohne dass die Nachrichten vom Bethlehem heute hineinschallen wie eine Störung. Drängen wir sie weg? Lassen wir es lieber bei einer Geschichte wie aus einer anderen Welt?

Hoffentlich tun wir das nicht! Das Bethlehem damals war so wenig heil wie das Bethlehem heute. Auch damals lagen Hass und Gewalt in der Luft unter römischer Zwangsherrschaft über das jüdische Land. Die Existenz der berühmten Hirten auf dem Felde glich eher der von abgebrannten Tagelöhnern. Maria und Josef gingen nicht freiwillig dorthin, sondern aufgrund einer erzwungenen Steuerschätzung des römischen Kaisers Augustus.

Die Geburt von Jesus, dem Gotteskind, in einem Viehstall war harte Realität in einer zerrissenen, überfüllten Stadt. Es braucht schon in der Weihnachtsgeschichte selbst enorme göttliche Hilfe, damit Menschen auf die Idee kommen, dort könne der von Gott gesandte Retter geboren sein. Die Störung ersehnter Harmonie liegt schon in der biblischen Weihnachtsgeschichte selbst.

Dennoch, oder gerade deswegen, darf einem das Herz aufgehen beim Hören der alten biblischen Erzählung. Es darf uns aufgehen genau darüber: dass Gott an einem solchen Ort sein wollte. Genau da begegnet er uns als das allerschwächste Glied in jedem Elend – als Kind. Die Weihnachtsgeschichte lässt uns Gott in dem Säugling Jesus finden, dem Inbegriff der Schutzlosigkeit. Er ist diesem Kind so innig verbunden, dass der große Gott ganz eins mit ihm ist, ganz Mensch, ein kleiner Mensch. Darum gehören die schutzlosen Kinder aller Orte in die Weihnachtsgeschichte.

Es ist die Weihnachtsgeschichte selbst, die heilsam stört: den Weg der Gewalt, die Willkür der Mächtigen, die Logik von Terror und Krieg, die Missachtung der Kleinen. „Frieden auf Erden“ singen die Engel vor Bethlehem. Er kommt, weil Gott mit Hass und Rache bricht und den schweren Weg seiner Liebe geht. Das stört, schon damals, so wie der erwachsene Jesus störte und für seinen Weg der Liebe Gottes sein Leben gab. Nein, die Weihnachtsgeschichte ist nicht aus einer anderen Welt. Aber sie will eine andere Welt.

Und das bleibt ein Stachel – und macht zugleich Mut, den Frieden nicht aufzugeben, auch da, wo wir keinen anderen Weg sehen als die Gewalt: Israels unbedingtes Recht und die Notwendigkeit, sich selbst zu schützen und zu verteidigen. Der Kampf der Ukraine um ihre Freiheit. Im Stall von Bethlehem bekommen die Menschen Recht und Kraft, die scheinbar ohnmächtig für eine andere, menschliche Welt eintreten, oft chancenlos – und doch auf eigene Weise so mächtig. Die Frauen von „Frauen. Leben. Freiheit“ im Iran. Die mutigen Schriftsteller, die mit dem gewaltlosen Wort kämpfen. Die Verzweifelten zwischen allen Stühlen, die als Israelis und Araber versuchen, versöhnt miteinander zu leben. Verfolgte Christenmenschen. Ja, und auch die Eltern, die den ersten Schritt tun, auch wenn er schwer ist, um wieder in Kontakt mit ihren Kindern zu kommen, die sich abgewendet haben.

Bethlehem.

Bethlehem steht dafür, dass wir eine andere Welt nicht aufgeben müssen (und dürfen), weil Gott sie nicht aufgibt. Weil Jesus da zu finden ist, wo es dunkel ist, wo die Wunden sind. Weil seine Liebe am Ende mächtiger sein wird, auch wenn das jetzt so verborgen scheint. Im friedlosen Bethlehem kommt Gottes Segen zur Welt gegen die Fluch-Geschichten dieser Welt. Unter seinem Segen steht, wer nicht aufhört, den Frieden auf Erden zu suchen, in unserer großen Welt wie in der kleinen persönlichen.

Gottes Segen wünschen wir Ihnen von Herzen an den kommenden Weihnachtstagen und im neuen Jahr!