Interview zum Polizei-Demo-Einsatz am 16. Juni Bialas: "Da werden Menschen kriminalisiert"
Wuppertal · Die Diskussionen über den Aufmarsch der Neonazi-Partei "Die Rechte" und die 400-Menschen-Gegendemonstration in Barmen ebben nicht ab. Zumal die brutale Behandlung von Jobcenter-Chef Thomas Lenz durch die Polizei (sowohl er als auch die Polizei gehen juristisch gegeneinander vor) für bundesweites Aufsehen sorgte.
Eines der ersten Videos des Vorgehens gegen Lenz postete der Wuppertaler SPD-Landtagsabgeordnete (und frühere Polizeibeamte) Andreas Bialas. Dafür gab es harsche Kritik von CDU und FDP. Bialas ist auch Mitglied des Innenausschusses des NRW-Landtages. Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit ihm.
Rundschau: In einer Ihrer ersten Stellungnahmen zur Demonstration am 16. Juni haben Sie vor allem kritisiert, dass schon im Vorfeld eine Stimmung contra Gegendemonstranten entstanden sei. Was meinen Sie damit konkret?
Bialas: In einer Antwort auf die Frage, welche Demo-Route "Die Rechte" nehmen würde, war von Seiten der Polizei die Rede davon, dass man solche Informationen nicht gebe, um das "paramilitärische Vorbereitungshandeln" der Gegendemonstranten nicht zu unterstützen. Diese Reaktion hat der Polizeipräsident später als "Kommunikationsfehler" entschuldigt. Das Denken dahinter spricht aber Bände. Hier werden Menschen, die sich als bürgerliche Gegendemonstranten gegen Nazis positionieren, mit militärischen Kategorien belegt. Das ist unerträglich und diskreditiert alle, die sich für demokratische Werte und Toleranz einsetzen.
Rundschau: Woher kommt Ihrer Meinung nach der Wind, der da weht?
Bialas: Den Menschen wird vermittelt, wir lebten in einem Bürgerkriegsland, in dem nur noch eine knallhart durchgreifende Polizei für Sicherheit sorgen könnte. Das ist doch Quatsch. Man muss sich doch nur einmal umblicken. Die Daten der NRW-Kriminalstatistik zeigen seit Jahren sinkende Verbrechenszahlen in fast allen Bereichen. Eines stimmt: Ja, die Polizei muss weiterhin personell, rechtlich und materiell noch besser ausgestattet werden.
Rundschau: Die Politik, siehe neues Polizeigesetz, hat sich ja aber auch deutlich verändert?
Bialas: Ja. Im Innenausschuss hört man von CDU-Seite mit Blick auf Demonstrationen Sätze wie "Wenn die erste Reihe fällt, dann ist Ruhe!" In welche aufgeheizten Situationen werden Polizisten geschickt, wenn von "oben" solches Denken die Stimmung prägt? Mit Blick auf Wuppertal ist keine Unterscheidung zwischen bürgerlichen und potenziell gewaltbereiten Gegendemonstranten gemacht worden. Und angesichts des Verhältnisses von zwei Polizeibeamten auf einen Gegendemonstranten von einem "schwierigen Einsatz" zu sprechen, ist, höflich ausgedrückt zumindest erstaunlich.
Rundschau: Sie sind kein Freund des Entwurfes für ein neues NRW-Polizeigesetz?
Bialas: Nein. Ein Beispiel: Das Gesetz soll neue Eingriffsmöglichkeiten bei drohender Gefahr eröffnen. Wenn aber schon eine bürgerliche Demonstration gegen Neo-Nazis als "paramilitärische Bedrohung" gewertet wird, muss man sehr aufpassen, dass da nicht Dinge gefährlich ins Rutschen kommen. Die Polizei und die Bürger sind doch nicht im Krieg miteinander! So etwas wie in Wuppertal darf nicht noch einmal passieren. Das Einstehen für Demokratie und Toleranz ist selbstverständlich und muss von der Polizei unterstützt werden. Es darf doch nicht der Eindruck entstehen, dass gerade die Demonstranten für unsere Demokratie stören.
Rundschau: Was lehrt die Erfahrung dieser Demonstration in Barmen?
Bialas: Da werden Menschen kriminalisiert, die sich gegen Nazis positionieren. Das ist hochgradig erschreckend. Die Frage ist, was beim nächsten Nazi-Aufmarsch passiert. Werden sich die bürgerlichen Nazi-Gegner dann noch auf die Straße trauen? Bürger und Polizei sind doch Partner! Das NRW-Konzept der Deeskalation hat bundesweit Vorbildcharakter. Das darf auf keinen Fall geopfert werden. Rechtzeitige Deeskalation ist übrigens auch keine Schwäche, sondern erhält der Polizei möglichst viele Handlungsoptionen.
Rundschau: Für das Posten des Lenz-Verhaftungs-Videos sind Sie heftig kritisiert worden.
Bialas: Darüber, dass ich das Video öffentlich gemacht habe, kann man streiten. Aus dem Bereich der Polizei bin ich aufs Übelste persönlich angegangen und beleidigt worden. Aber die Polizei, und das sage ich bewusst als jemand, der selbst Polizist war, unterliegt einer besonderen Sorgfaltspflicht, weil sie Waffen trägt und Gewalt anwenden darf. Jede Handlung muss rechtlich erlaubt sein.
Rundschau: Was ist jetzt angesagt?
Bialas: Wir müssen zurück zur Normalität. Die martialische Attitüde muss zurückgefahren, der Ton wieder angemessen werden. Wuppertal braucht ein wirklich breites bürgerliches Anti-Nazi-Bündnis der Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereine sowie aus Kultur, Sport, Handel und Wirtschaft.