Bergische Uni „Wir müssen unseren Glauben neu entdecken“
Wuppertal · Mit dem Buch „Wer ist Gott?“ veröffentlichte Prof. Dr. Kurt Erlemann (Lehrstuhlinhaber für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche an der Bergischen Universität) 2008 den ersten Band einer Reihe theologischer Bücher, die den Anspruch haben, von jedermann verstanden zu werden.
Denn: Glaubensfragen in die heutige Sprache zu übersetzen, ist ihm ein wichtiges Anliegen. In den Bergischen Transfergeschichten spricht der Theologe über die mannigfaltigen Möglichkeiten, den Menschen den Glauben näherzubringen.
„In dem Buch ,Wer ist Gott‘ geht es um Gottesbilder des Neuen Testaments, ein Riesenthema, was mich schon zu Zeiten der Dissertation in Heidelberg beschäftigt hat“, erklärt der gebürtige Freiburger. Er verzichtet darin bewusst auf die für die Wissenschaft typischen, den die Leserin und den Leser oft verwirrenden Fußnoten. „Ich wurde zum Teil von Fachkolleginnen und -kollegen heftig angefeindet, die gemeint haben, dass man so ein Riesenthema doch nicht auf ein paar Seiten und in einem solchen Format darstellen könnte. Aber die Resonanz landauf landab hat mich bestätigt, und das war dann der Anfang einer Reihe von insgesamt sieben Einführungen ins Neue Testament.“
1958 in Freiburg im Breisgau geboren, beginnt Erlemann Ende der 70er Jahre das Studium der Evangelischen Theologie in München, Zürich und Heidelberg, promoviert 1986 und arbeitet danach als Vikar der Badischen Landeskirche sowie als Schulpfarrer in Heidelberg. 1994 habilitiert er sich und nach Lehrstuhlvertretungen in Hamburg und Koblenz kommt er 1996 an die Bergische Universität. „Nach mehr als zwanzig Jahren haben sich die Forschungsschwerpunkte von der Tendenz her verändert“, sagt er retrospektiv, „ich achte heute mehr auf eine Vermittelbarkeit für ein Publikum, was nicht akademisch vorgebildet ist. Ich verstehe mich als Brückenbauer, der die theologische Wissenschaft aus der Uni heraus auf den unterschiedlichsten Kanälen zu den Menschen transportieren möchte.“ In der Lehre nutzt er dazu oft Blockseminare, die seiner Vorstellung der Brückenfunktion am nächsten kommen, bei seinen Publikationen wählt er eine allgemein verständliche Sprache, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommt. „Das Bedürfnis nach Theologie in der Öffentlichkeit ist weiterhin sehr groß“, erklärt er, und das zeigen auch seine positiven Erfahrungen, die er bei Vorträgen in der Erwachsenenbildung macht.
Ein weiterer Baustein seiner Tätigkeit ist die Musik. Erlemann nutzt sie als ein Medium, mit dem er theologische Inhalte zu transportieren versucht. „Musik hat ja eine hochemotionale Dimension, die man über Predigten oder Vorträge gar nicht eingefangen bekommt. Es ist ein sehr viel breiterer Zugang zu diesen Inhalten und diesen Erfahrungen möglich, über die man sich austauschen kann. Musik spricht die Seele an, spricht das Herz an. Es geht um Emotionen. Das ist wichtig und unverzichtbar.“ Als Gründer der Heidelberger Rockband „Handmade“ beginnt Erlemann irgendwann eigene Lieder zu schreiben, die er bis heute für Gottesdienste und für das Gemeindeleben komponiert und textet. „Das gemeinsame Singen ist nochmal ein ganz anderes Transportmittel, um theologische Inhalte, Glaubenserfahrungen etc. auszutauschen, sie zu vergewissern und zu vertiefen“, erklärt er. „Ich habe das damals in der praktischen Ausbildung zum Pfarrer der Badischen Landeskirche für mich entwickelt, dann in der Wuppertaler Zeit wieder neu entdeckt und mache das seither systematisch für Kirche und Gottesdienst. Über 150 eigene Lieder umfasst das Repertoire des emsigen Musikers mittlerweile, die er auf seinen eigenen Internetseiten (www.neue-kirchenlieder.com und www.frischezwischentoene.de) zum Anhören bereitstellt.
Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen
In seinen Büchern geht der Theologe neben Fragen zur Christologie, Trinität und zu Wundern auch unangenehmen Wahrheiten nach, wie der bangen Frage der Menschen, ob wir mit dem Bösen leben müssen. „Ja“, antwortet Erlemann kurz und knackig und erklärt: „Im Neuen Testament wird die Frage von den Jüngern an Jesus zum Beispiel häufiger gestellt, und Jesus antwortet wie so oft in Gleichnissen. Ein schönes Beispiel dazu findet sich in Matthäus 13, Vers 24 bis 30, das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. Da geht es genau um die Erfahrungen, dass in den Gemeinden auch Menschen sind, die man nicht unbedingt als die Guten einstuft, die vielleicht zersetzend wirken, Irrlehre verbreiten und Unruhe reinbringen. Wie soll man mit denen umgehen?“ Schon damals bestand die Tendenz darin, solche Mitglieder aus der Gemeinde zu entfernen.
Dieses Gleichnis zeige aber ganz deutlich auf, dass wir das aus mehreren Gründen überhaupt nicht tun sollten. „Denn“, sagt Erlemann, „wir Menschen sind überhaupt nicht kompetent zu unterscheiden, wer ist gut und wer ist schlecht, und wir müssen uns auch immer an die eigene Nase fassen, denn jeder hat beides in sich. Und wenn man versucht, die Bösen auszumerzen, wird man aufgrund sozialer Verflechtungen wahrscheinlich auch die Guten zum Teil aus der Gemeinde treiben.“ Am Ende müsse sich jeder selber im Gericht Gottes verantworten, daher solle man hier nicht richten, rät er, sondern eher versuchen, „das gute Potenzial in den sogenannten, angeblich Bösen zu wecken und sie umzudrehen, zu den Guten zu bringen und sie zu integrieren. Das ist die viel größere und wichtigere Aufgabe.“
Durch Sprache unseren Glauben neu entdecken
Die Zahl der Kirchenaustritte im vergangenen Jahr stieg auf mehr als eine halbe Million. Das gaben die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Juni bekannt. In seinem Buch „Wozu noch glauben?“ (2019) übersetzt Erlemann die grundlegenden christlichen Glaubensinhalte in die Alltagssprache des 21. Jahrhunderts und sagt: „Wir müssen unseren Glauben neu entdecken. Wir müssen vor allen Dingen als Theologinnen und Theologen, Pfarrerinnen und Pfarrer und Religionslehrerinnen und -lehrer etc. dafür Sorge tragen, dass das, was unseren Glauben ausmacht, dass das, was wir als frohe Botschaft verstehen, auch bei den Menschen wieder ankommt. Die Gesellschaft muss entdecken: Kirche ist nicht nur ein verstaubter Laden, dem die Leute davonlaufen, sondern Kirche ist etwas, was Werte, eine Vision, eine Hoffnung transportiert, die für unser Zusammenleben ganz wichtig sind. Die Menschen müssen wiedererkennen, dass der Glaube Relevanz für ihren Alltag hat.“
Darin sieht er auch das Hauptanliegen seines Buches, in dem er ganz persönliche, zentrale Glaubensfragen in die heutige Sprache übersetzt hat und Pädagoginnen und Päadagogen, Theologinnen und Theologen und Lehrerinnen und Lehrer als Handreichung bietet. „Sie können dann als Transporteurinnen und Transporteure der frohen Botschaft in der Gemeinde, vor den Schulklassen stehen, um diese Inhalte weiterzureichen. Sie sollen theologisch sprachfähig werden. Ich glaube, daran krankt die Kirche in ihrer Verkündigung, dass es nicht mehr gelingen mag, die gute Theologie im Sinne einer frohen Botschaft als gegenwärtig noch relevante Botschaft in die Gesellschaft zu bringen.“
Sein Grundanliegen teilt er inzwischen mit vielen Kolleginnen und Kollegender Bergischen Uni im von ihm initiierten Projekt „Angewandte Hermeneutik“. Hier geht es darum, fächerübergreifend die zum großen Teil fremd und unverständlich gewordenen Themen, Begriffe und Traditionen der abendländischen Kultur für die nächste Generation und insbesondere für die künftigen Lehrerinnen und Lehrer verständlich zu machen und zu vermitteln.
Wer ist Gott?
Der Theologe, Brückenbauer, Autor und Musiker Erlemann erreicht sein Gegenüber immer wieder mit einer zielgruppenorientierten Sprache, die er verständlich formuliert und geht dabei keinem Thema aus dem Weg. Und so beantwortet er auch die Titelfrage seines eingangs erwähnten Buches „Wer ist Gott?“ sehr persönlich. „Das ist im Prinzip der Ursprung meines Lebens, der Begleiter meines Lebens und das Ziel meines Lebens. Das ist der, dem ich mein Leben verdanke, der meinem Leben Sinn gibt und der es in eine gute Richtung bringt; dem ich mich jederzeit anvertrauen kann, der mir ständig hinterherläuft, wenn ich wieder auf irgendwelchen Holzwegen wandele und aus meinen krummen Wegen wieder gerade Wege macht. Der, der mich in die Richtung bringt, in der er mich gerne haben möchte, sein Ebenbild zu sein und am Ende dann auch sagen zu können: Ja, mein Leben, so wie es war, war gut so.“