Bergische Uni Über die Mehrsprachigkeit in der Schule
Wuppertal · Seit 2009 sind angehende Lehrkräfte im Rahmen ihrer Lehramtsausbildung dazu verpflichtet, ein Modul mit dem Titel „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“ zu besuchen. So schreibt es die in NRW geltende Lehramtszugangsverordnung nun seit mehr als zehn Jahren vor. Dr. Sara Hägi-Mead, Professorin am Institut für Bildungsforschung in der School of Education der Bergischen Universität, forscht und lehrt zur Mehrsprachigkeit in der Schule.
In den „Bergischen Transfergeschichten“ spricht die Wissenschaftlerin über die Bedeutung von Mehrsprachigkeit, über Umsetzungshürden im Schulalltag und wie wichtig es ist, Studierende für die Vielschichtigkeit dieses Themas zu sensibilisieren.
„Man weiß aus wissenschaftlicher Perspektive, es geht nicht nur um Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweitsprache, sondern es geht um sogenannte bildungssprachliche Kompetenzen, die alle Schülerinnen und Schüler brauchen“, erklärt Prof. Hägi-Mead. Es gebe starke Unterschiede in dem, was Kinder von zu Hause mitbrächten, und die Schule setze manchmal Kenntnisse voraus, die viele Schülerinnen und Schüler nicht hätten und dadurch diskriminiert würden. „Meine Aufgabe ist es, dieser Diskriminierung zu begegnen und (angehende) Lehnerinnen und Lehrer entsprechend zu professionalisieren!“ Das von ihr angebotene Modul umfasst dabei die Veranstaltungen „Deutsch als Zweitsprache, Mehrsprachigkeit und Interkulturalität in der Schule“ sowie „Linguistische und didaktische Vertiefungen des Deutschen als Zweitsprache“.
Sprache hat in Sara Hägi-Meads Leben schon immer eine wichtige Roll gespielt. Sie studierte zunächst Deutsch und Russisch an der Universität zu Köln, wobei sie ehrlich zugibt: „Russisch als Fremdsprache, war für mich schon sehr schwer zu lernen.“ Doch sie zieht es durch und verbringt sogar ein Jahr in St. Petersburg. Nach mehreren Tätigkeiten als Dozentin an verschiedenen bundesdeutschen Hochschulen kann sie 2012 in Wien als wissenschaftliche Mitarbeiterin an einem ganz besonderen, trinationalen Forschungsprojekt teilnehmen, dass es so noch nicht gegeben hat: das Variantenwörterbuch des Deutschen.
„Es gibt nationale Varietäten einer Sprache wie British English, American English oder Australian English“, erklärt sie, „und genau so gibt es standardsprachliche Varietäten des Deutschen: Österreichisches Standarddeutsch, Schweizerisches Standarddeutsch und Deutschländisches Standarddeutsch. Deutsch ist eine plurizentrische Sprache, mit mehreren Zentren. Aber gemeinhin, auch im Duden, wird das, was spezifisch ist für Deutschland, als Gemeindeutsch deklariert.“ Die gebürtige Schweizerin erklärt es beispielhaft so: „Im Duden hat man zum Beispiel so etwas wie Velo, schweizerisch für ‚Fahrrad‘, oder Marille, österreichisch für ‚Aprikose‘. Aber, was nicht drinsteht, ist zum Beispiel beim Eintrag Azubi, dass es sich um einen spezifisch in Deutschland verwendeten Ausdruck für ‚Auszubildender‘ handelt.“ Für Österreich und die Schweiz gebe es seit langem kleinere Dudenbändchen mit dem Titel „Wie sagt man in Österreich?“ bzw. „Wie sagt man in der Schweiz?“ – ein Pendant für Deutschland hingegen, gebe es nicht.
Das Variantenwörterbuch sei das erste seiner Art, es führe ausschließlich standardsprachliche Varianten aller nationalen Zentren des Deutschen auf, also neben Helvetismen und Austriazismen, auch deutschländische Varianten, so genannte Teutonismen oder Deutschlandismen. Damit soll einem Laienverständnis begegnet werden, das alles, was nicht zum Standarddeutsch Deutschlands gehört, mit Dialekten gleichsetzt. Das Standarddeutsch Deutschlands ist vielmehr eine von mehreren Standardvarietäten, wenn auch aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Stärke des Zentrums, zweifellos global gesehen die dominante. „Ich war dann für die Austriazismen verantwortlich. Die konnte ich als Schweizerin, die lange Jahre in Deutschland gelebt hat, gut erkennen.“
Sprache bedient politische Interessen
„Mein Interesse an der Sprachenpolitik ist, dass ich jeweils aufzeigen oder bewusstmachen möchte, welche Interessen dahinter stehen“, führt sie aus, denn das wolle man nicht immer hören. Wenn man an Deutsch als Fremdsprache denke, sich die Goethe-Institute weltweit ansehe und wisse, wieviel Geld für die auswärtige Deutschförderung ausgegeben werde, dann unterliege dieses Engagement immer auch wirtschaftlichen Interessen. „Das ist nicht immer so offensichtlich, aber das müssen Lehrkräfte wissen und mitberücksichtigen, denn sie sind Teil dieses Systems und prägen es mehr mit, als ihnen zum Teil bewusst und lieb ist. Es ist auch kein Zufall, welche Sprachen als Fremdsprachen an Schulen weltweit gelehrt und gelernt werden und welche nicht. Das sind sprachenpolitische Entwicklungen und Entscheidungen. Die sind wichtig, mitgedacht und unter Umständen auch neu überdacht zu werden.“
Dann müsse man auch über Personen nachdenken, die auch andere Erstsprachen als Deutsch mitbrächten, die aber nicht unbedingt in der Schule erwünscht seien. In Fällen eines Deutschgebots für den Unterricht etwa, werte man die anderen Erstsprachen komplett ab. Und das mache natürlich auch etwas mit den Identitäten der Schülerinnen und Schülern.
Rangordnung der Sprachen an bundesdeutschen Schulen
Die Umsetzung von Mehrsprachigkeit an bundesdeutschen Schulen unterliegt einer gewissen Rangfolge. „Man hat ein Fach für Englisch, Spanisch, usw., es wird so sprachenspezifisch gedacht, was in einem mehrsprachigen Kopf ja so gar nicht abläuft“, sagt die Forscherin. „Es wird in Sprachen unterschiedlich unterteilt. Es gibt Sprachen an Schulen, die haben mehr Wert als andere. Wenn eine Fremdsprache an Schulen unterrichtet wird, wenn es dafür Noten gibt, wenn alle an diesem Unterricht teilnehmen können, dann hat das ein hohes Prestige. Daneben gibt es andere Sprachen, die werden zum Teil auch im so genannten herkunftssprachlichen Unterricht unterrichtet. Den können aber nicht alle Schülerinnen und Schüler besuchen. Der ist nicht für die Mehrheitsgesellschaft konzipiert und das bedeutet per se, dass dieser Unterricht weniger Prestige hat.“
An dieser Stelle hapert es noch erheblich in der Umsetzung, wobei Hägi-Mead dafür auch noch keine zufriedenstellende Lösung weiß. Viele Unwägbarkeiten der Mehrsprachigkeit lägen auch an einer Unsichtbarkeit, denn Lehrpersonen wüssten oft nicht, welche Sprachen ihre Schülerinnen und Schüler vielleicht auch sprechen. „Es geht nicht nur darum, die deutsche Sprache zu fördern“, sagt die Bildungsforscherin, „sondern auch darum, durch Mehrsprachigkeit sowohl eine persönliche, als auch gesellschaftliche Entwicklung zu ermöglichen.“
Mehrsprachigkeit und die oft schwierige Umsetzung
Hägi-Mead sieht in der Mehrsprachigkeit eine wichtige Ressource, die sowohl in der Lehre, als auch in der Forschung auf einen sozial gerechten und konstruktiven Umgang mit migrationsbedingter, sprachlicher Heterogenität in Kindergarten und allgemeinbildenden sowie beruflichen Schulen zielt. Dieser sozial gerechte und konstruktive Umgang beginne mit der Reflexion über die eigene Positionierung. Man müsse sich der Involviertheit in Machtverhältnisse bewusst sein und nicht notwendige Bezeichnungen meiden. So sei der Begriff Migrationshintergrund als ein defizitorientiertes Bild zu werten, formuliert die Schweizerin und sagt: „Ich werde nie als Person mit Migrationshintergrund bezeichnet, obwohl ich nach Definition des statistischen Bundesamtes Migrationshintergrund habe.“ Der Ausdruck beschreibe eigentlich immer nur Defizite, sage nichts über Kompetenzen aus, werde aber mit ihnen gleichgesetzt. „Und da fängt es schon an mit der sozialgerechteren Umsetzung. Das ist schon Alltagsrassismus.“
Hägi-Mead arbeitet mit ihrem Team an Konzepten für ein sprachbewusstes Unterrichten in allen Fächern. Dazu kooperiert sie auch mit Fachlehrkräften. Über Mehrsprachigkeitsbiografien von Studierenden, die diese aufschreiben und ihr zur Verfügung stellen, verschafft sie sich zudem ein Bild über das Verständnis von und Einstellungen zur Mehrsprachigkeit sowie über Verbesserungsmöglichkeiten in der Lehre. „Wir sehen dann manchmal, wo es noch Brüche und Inkonsistenzen gibt und merken, wo in der Lehre das eine oder andere noch besser thematisiert werden müsste.“
Die Umsetzung von Forschungsergebnissen in der Praxis sind die gelungenen Ergebnisse jahrelanger Arbeit. In der Zusammenarbeit mit den Schulen erfährt sie viel Unterstützung. Einen Grundgedanken, der die Mehrsprachigkeit in der Schule wesentlich fördern würde, formuliert sie zum Schluss: „Wir alle sind Teil dieser Migrationsgesellschaft, es gibt nicht nur die mit und die ohne Migrationshintergrund. Wir sind eine Gesellschaft. Diesen Gedanken wünsche ich mir.“