Wuppertaler Schauspiel zeigt „Ulysses“ Mit Batman und Robin durch Dublin
Wuppertal · 1.000 Seiten in anderthalb Stunden – ohne Pause. In der Wuppertaler Schauspiel-Inszenierung von Nicolas Charaux wird das Mega-Werk „Ulysses“ von James Joyce auf links gedreht, durch den Schleudergang geschickt – und sorgt für einen großartig unterhaltsamen Opernhaus-Abend.
Das Buch von 1922, das Begeisterung und Freude oder Angst und Schrecken auslöst, gilt als Meilenstein der Weltliteratur. Die „reine“ Handlung ist – siehe Programmheft – schnell erzählt: „In ‚Ulysses’ beschreibt James Joyce einen Tag im Leben des Anzeigenverkäufers Leopold Bloom und begleitet ihn bei seinem Streifzug durch Dublin. Neben Bloom wandelt Stephen Dedalus, ein junger Intellektueller, durch die Stadt. Immer wieder kreuzen sich dabei die Wege der beiden, bis sie schließlich in der Nacht aufeinandertreffen.“
Das war’s. Und doch gar nicht. James Joyce hat das nie wieder erreichte Kunststück vollbracht, während eines einzigen Tages die ganze Welt, ja die ganze Menschheit, zu erzählen. Und Regisseur Nicolas Charaux, von dem selbst die Bühnenfassung stammt, gelingt es, diese „Odyssee“ (Ulysses ist das englische Wort für Odysseus) so zu verdichten, dass den Mitreisenden im bei der Premiere annähernd ausverkauften Opernhaus Spaß und Staunen nie vergehen. Und gerne mal die Haare zu Berge stehen.
Gegliedert wird mit eingeblendeten Texten und Zeitangaben: So wird klar, was, wann und mit wem passiert. Apropos was, wann, mit wem: Fünf Menschen sind auf der ebenso sparsam wie intelligent gestalteten Bühne (Albert Frühstück) unterwegs. Thomas Braus, Julia Meier, Silvia Munzón López, Alexander Peiler und Konstantin Rickert agieren, reden, deklamieren, tanzen, fahren Fahrrad, Kanu sowie im Sperrholznachbau des Flügeltür-Autos aus „Zurück in die Zukunft“, rennen aneinander vorbei, begegnen und entfernen sich. Und tragen dabei Kostüme, mit deren phantasievoll-schräger Gestaltung sich Albert Frühstück selbst übertroffen hat. Das gilt nicht nur für Julia Meier im Puschelfell-Einhorn-Gewand oder Thomas Braus als Batman und Konstantin Rickert als Robin. Apropos Batman und Robin: Das kann man als skurrile Transformation antiker Helden-Mythen lesen, um die es in Joyce‘ Buch immer wieder geht.
Dieser Wuppertaler „Ulysses“ ist ein wilder Fluss, ein Wasserfall, (natürlich) ein Textgebirge (aber kein nerviges), ein Strudel. Ein heißer Ritt ist das Stück außerdem – fleischig und fleischlich, voller erstaunlicher Video- und Echtfilm-Einfälle. Eine multimediale Melange, der nie der Atem ausgeht. Vor allem aber: Dieser „Ulysses“ ist unglaublich komisch! Bei der Premiere gab’s Lacher wie Perlen an der Schnur. Wer hätte damit gerechnet?
Das Darsteller-Quintett agiert auf hohem Niveau. Kaum ein Moment, in dem jemand hinter jemand anderen zurückfällt. Stellvertretenden Applaus für alle zum Beispiel für Alexander Peiler als desillusioniertem irischen Seemann. Und für Julia Meier mit Silvia Munzón López: Die beiden Frauen präsentieren den unvergleichlichen Schluss des Joyce-“Ulysses“ gemeinsam. Den von Liebe, Sex & Co. glitzernden Monolog von Leopold Blooms Ehefrau Molly gibt’s sozusagen synchron auf deutsch und spanisch. Inklusive minutenlanger Variationen des Wortes „Ja“, mit dem auch das Buch endet.
Die Wuppertaler Inszenierung, mit der Nicolas Charaux an seine „Romeo und Julia“ und „Faust“ anknüpft, ist ein Feuerwerk. Die Welt, das Leben, der ganze Ärger, das bisschen Glück – alles in 90 Minuten. Und wer das Buch nicht kennt, findet sich trotzdem zurecht.
Für Puristen ist das alles sicher „too much“. Mir egal. Beide Daumen hoch.
Weitere Aufführungen am 1., 2. und 10. März 2024. Dann wieder im Mai und Juni 2024.