Reisegruppe "Wupper-Else"

Alle wussten: Nach dem ersten Akt von Else Lasker-Schülers "Die Wupper" würde man das Theater verlassen. Für eine Bus-Tour quer durch die Stadt. Ein sehr besonderes "Bühnen"-Erlebnis.

Thomas Braus, Miko Greza und Stefan Walz (von links) sind die drei „Herumtreiber“, die dem Stück einen gewissen Zusammenhalt geben.

Foto: Christoph Sebastian

An reale Orte im Tal haben Helene Vogel als Produktionsleiterin und Stephan Müller als Regisseur das Stück von Else Lasker-Schüler verlegt, in dem es um zwei Familien im Kontext der Industrialisierung geht. Das Konzept will Schauspiel mit externen Orten zusammen bringen. Das Ganze dauert gut und gerne vier Stunden, denn die Spielstätten liegen weit verstreut — von der Bandweberei Büsgen (Barmen) über den Zoo (Sonnborn) bis hin zur niederländisch-reformierten Gemeinde (Katernberg). Der Lasker-Schüler-Freund erlebt das Stück neu, der Wuppertaler seine Stadt.

Spannend sind manche Wechselwirkungen zwischen Spiel und Umfeld: Lieschen, die Schwester des Färbers (Julia Reznik), klettert hinauf zu den halbblinden Fabrikfenstern, da rattert draußen die Schwebebahn vorbei, und im Spiel schaut sie ihr neugierig hinterher. Oder: Hat man glücklich im Zoo die Konzertmuschel erreicht und folgt von dort Akt drei, entspannt sich eindrucksvoll ein Jahrmarktpanorama mit Kirmeswagen und fast mystischem Fahnenschwenken. Dann große Gesten und Anarchie: Reales Frösteln, reales Entengeschnatter umgeben flammende Worte des Revolutionärs (Konstantin Shklyar). In solchen Momenten mag man finden: Da stimmt auf einmal alles.

Aber: Wie bei Gruppenreisen sind die Ziele nicht alles. Stilecht gibt es im Bus kundige Referenten — sachlich bis gesprächig: Uwe Eckardt referiert über die Stadtgeschichte, Hajo Jahn von der Lasker-Schüler-Gesellschaft über die Dichterin. Dieses Gespann wechselt sich im Lauf der Aufführung ab mit Rainer Rhefus und Andreas Bialas. Freilich — wie oft bei Referaten: Irgendwann dämmert man weg...

Noch undankbarer aber ist oft die Aufgabe der Schauspieler: Nicht nur, dass mancher der Experten ihnen ungewollt ein wenig die Schau zu stehlen droht. Wichtiger noch: Schauspieler sollen und wollen sich einfühlen, ihrer Figur Wahrheit geben. Kann das gelingen und ist es zumutbar, wenn sie die halbe Zeit im Auto sitzen und vermutlich mit hängender Zunge die Bühne erreichen? Obwohl der Regie zu glauben ist, dass sie mit diesem Abend mehr will als bloßen Theater-Tourismus: Die Tour spielt fast zwangsläufig die Hauptrolle.

Dramaturgisch gibt es eine klare Linie: Die drei "Herumtreiber", von der Dichterin begleitend zum Geschehen eingebaut, schließen drei Akte mit ihren Auftritten ab. So geben sie dem Abend einen Bogen und ebenso eine dunkle Grundierung. Nur fragt sich, wie weit Atmosphäre überhaupt wirken kann, wenn Sekunden darauf die "Tourguides" zum Abmarsch bitten. Und für besondere Momente braucht Theater sonst eigentlich keinen Shuttle-Bus. Dennoch: Ein Wagnis, das funktioniert — und im Gedächtnis bleibt. Genau wie eine geglückte Exkursion.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)