Portrait „Ich bin Baritonsängerin. Punkt.“

Wuppertal · Die Opernsängerin Lucia Lucas war früher ein Mann. Seit zwei Jahren ist sie zwar körperlich eine Frau — ihre Stimme ist jedoch weiterhin die eines Bariton-Sängers. Die 36-Jährige ist Deutschlands einzige transsexuelle Sängerin.

Lucia Lucas.

Foto: Max Höllwarth

Eine Begegnung.

Keine Frage, diese Frau ist eine Erscheinung. Groß, stattlich, die Lippen verführerisch rot. Betritt sie eine Bühne, dann ist ihr die Aufmerksamkeit gewiss. Kaum, dass Lucia Lucas die ersten Töne singt, sorgt das im Publikum für Irritationen. Die tiefe Stimme will irgendwie nicht zu dieser Frau passen — denn diese Frau singt Bariton. Ja, wo gibt's denn sowas? Antwort: in Wuppertal.

Seit Beginn der aktuellen Spielzeit begeistert Lucia Lucas in "Hoffmanns Erzählungen", "Die Liebe zu den drei Orangen" oder "Don Giovanni" die Besucher der Wuppertaler Oper — und darüber hinaus. Sie ist Gast in der WDR-Sendung "Westart live", ziert das Cover des Kulturmagazins "K.West", die "Welt" widmet ihr ebenso eine Geschichte wie Deutschland Radio Kultur. Denn Lucia Lucas ist Deutschlands einzige transsexuelle Sängerin.

Die 36-Jährige spricht offen und gänzlich unaufgeregt über ihre Transformation. Ihre Stimme klingt weich, nichts an ihr wirkt gekünstelt. Geboren als einziges Kind eines Ingenieur-Paares in den USA fühlte sich Lucia, die damals noch Lucas hieß und in einem falschen Körper steckte, immer eher zu den Mädchen hingezogen. "Ich hatte immer mehr Themen mit ihnen als mit Jungs", erinnert sie sich. "Ich wusste mit fünf Jahren, dass ich irgendwie im falschen Körper steckte, spielte mit den Kleidern und dem Make-up meiner Mutter."

Doch woran sollte sie sich orientieren? Mit wem sprechen? Ihr Kopf sprach eine andere Sprache als ihr Körper, der nach und nach alle männlichen Merkmale entwickelte. Bei Mitschülern galt sie als schwul, an transsexuell dachte niemand."Die Pubertät", sagt sie ernst, "war sicher die schwerste Zeit." Für Lucia stand fest, dass ihr Körper irgendwann ihrem Gefühl folgen und der einer Frau werden würde.

Mit 18 begann sie Horn zu studieren. Und langsam reifte in ihr die Idee, Opernsänger zu werden. Also bat sie einen Professor um ein Vorsingen. Der war anfangs skeptisch, doch von ihrer Stimme schließlich so beeindruckt, dass er ihr Unterricht gab. Ihren Abschluss machte sie am Ende in Horn und Operngesang.
Zu dieser Zeit lernte Lucia beziehungsweise Lucas ihre heutige Frau Ariana kennen, ebenfalls eine Opernsängerin. Und für einen kurzen Moment überlegte Lucia, ein Mann zu bleiben, um ein ganz normales Leben führen zu können... Die beiden heirateten 2009 und Lucia kam nach Deutschland, wo sie als Bass-Bariton Lucas Harbour ihre Karriere an der Deutschen Oper Berlin begann. Engagements in Heidelberg und Karlsruhe folgten. Doch als Ariana nach Deutschland kommt, um mit Lucia zusammen zu leben, gibt es kein Zurück mehr. "Ich konnte mir nicht länger vormachen, jemand zu sein, der ich nicht war." Am Ende ist es Ariana, die sie ermutigt, den schweren Weg der Transformation zu gehen.
Der Weg erweist sich als teuer und unsicher, immerhin weiß Lucia nicht, ob sie ihre Opernkarriere als Frau fortführen kann. Denn die Stimme, durch den Stimmbruch einmal tiefer geworden, lässt sich nicht ein zweites Mal verändern. "Meine Stimme ist mein Kapital, daher war es in meinem Beruf ein Risiko", erklärt die Amerikanerin, die sich in Wuppertal mittlerweile sehr wohl fühlt. Jetzt hat Lucia den Körper einer Frau, aber die Stimme eines Mannes. Und doch: Ihre Sorgen erweisen sich als unnötig. Der Bariton wurde nicht Problem, sondern Markenzeichen der Opernsängerin, die meist als Mann besetzt wird. "Zu 90 Prozent singe ich Männerrollen", sagt Lucia, "kein Problem, das habe ich lang genug getan, nur dass es jetzt zum Glück nur eine Bühnenrolle ist." Bei den anderen zehn Prozent, die mit dem Geschlechterbild spielen, wählt sie genau aus, um nicht in die Ecke einer Transe zu geraten. "Ich will kein Klischee erfüllen, sondern als Künstlerin ernst genommen werden."

Die Welt der Oper mag zwar offen für das Spiel mit Rollen und einem Lebensstil jenseits üblicher Normen sein, doch ein Bariton, der Lucia heißt, testosteronpralle Rollen spielt, bei den Männern geführt wird, sich in der Frauengarderobe umzieht und nach Feierabend die Lippen rot malt — das ist auch in dieser Umgebung einzigartig. Lucia zuckt mit den Schultern. "Ich bin Baritonsängerin. Punkt." Der Rest interessiert nicht.