Kunststation im Bahnhof Vohwinkel OB Schneidewind: „Es liegt etwas in der Luft“
Wuppertal · Die Kulisse des letzten Sommergesprächs des Oberbürgermeisters ist außergewöhnlich: Zwischen den wachen Blicken Dutzender Engels-Skulpturen geht OB Uwe Schneidewind in der „Kunststation“ im Bahnhof Vohwinkel mit Vertreterinnen und Vertretern der freien Kunst- und Kulturszene Wuppertals ins Gespräch. Schnell wird deutlich: Wuppertal hat mit der freien Szene einen echten Trumpf in der Hand.
Es herrscht Stimmengewirr in der Kunststation. Nur ab und an wird das Gespräch durchschnitten vom Donnern eines vorbeirauschenden Zuges, der nur wenige Meter weiter in den Vohwinkeler Bahnhof ein- und ausfährt. Eine Stunde lang haben sich Vertreterinnen und Vertreter der freien Kunst- und Kulturszene Wuppertals in der vergangenen Woche mit Oberbürgermeister Uwe Schneidewind ausgetauscht – über die Kraft, die von der Wuppertaler Szene ausgeht, und über die daraus resultierenden Chancen für die Stadtentwicklung.
„In Wuppertal erleben wir das gerade: Die Bahnhöfe als Mobilitätsräume erfinden sich komplett neu. Da nimmt die freie Szene großen Einfluss. Künstlerische Impulse haben beim Thema Stadtentwicklung höchste Relevanz“, erklärt OB Schneidewind.
Welches Potenzial in den (Nicht-)Räumen in und um Bahnhöfen steckt, dafür ist die „Kunststation“ das beste Beispiel. Wer den Bahnhof betritt, kommt selbst in größter Hast wohl nicht umhin, einen Blick hinein in die Ausstellungsräume zu werfen. Die hohen, strahlendweißen Räume, eins mit großem Fenster zum grünen Hinterhof-Dschungel, beherbergen derzeit eine ganze Armada von Engels-Skulpturen. Die Skulpturen sind quasi überall – alle Flächen haben sie in Beschlag genommen, stehen hier und dort in Reih und Glied, in großer und kleiner Variante. Es handelt sich um Eckehard Lowischs „Die sonderbare Friedrich Engels Ausstellung“.
Die „Kunststation Wuppertal“ versteht sich als nicht-kommerzieller Projektraum für gegenwärtige und zukünftige künstlerische Positionen mit dem Schwerpunkt Bildende Kunst. „Wir haben noch Großes vor. Sie werden überrascht sein, was noch kommt“, kündigt Tine Lowisch an, die die „Kunststation“ seit 2014 gemeinsam mit ihrem Mann leitet.
Der Bahnhof Vohwinkel birgt noch mehr Unerwartetes: Wo früher Leerstand und Vandalismus an der Tagesordnung waren, ist Leben eingekehrt. Direkt gegenüber der Kunststation liegt der „BürgerBahnhof“, der sich als Ort der Begegnung etabliert hat. Hier hat man sich die Revitalisierung des denkmalgeschützten Bahnhofsensembles auf die Fahnen geschrieben – und gemeinsam schon vieles erreicht. Regelmäßig finden Konzerte und andere Veranstaltungen statt und auch um das Gebäude und den Vorplatz selbst kümmern sich die engagierten Bürgerinnen und Bürger intensiv. Sowohl „BürgerBahnhof“ als auch die Kunststation werden tatkräftig vom Bürgerverein Vohwinkel unterstützt.
Zu Gast beim Termin mit dem OB sind auch diejenigen, die sich weiterer Wuppertaler Bahnhöfe auf kreative Art und Weise angenommen haben. Da wäre zum Beispiel Christian Baierl, Vorstand der „renaissance Immobilien & Beteiligungen AG“. Er entwickelt den Varresbecker Bahnhof weiter und denkt bei der weiteren Nutzung unter anderem an Pop-up-Gastronomie und Künstler-Residenzen auf Zeit. „Wir haben eine riesige Außenfläche und 60, 70 Meter direkten Trassenzugang, derzeit noch total zugewachsen, das bietet viele Möglichkeiten“, so Baierl.
Auch Thusnelda Mercy und Pascal Merighi, die vor noch nicht allzu langer Zeit die „Tanz Station - Barmer Bahnhof“ ins Leben gerufen haben, sind mit von der Partie. „Ich erinnere mich noch, wie überrascht wir waren, was für unglaubliche Räume da oben sind – Räume, die einfach nur „Tanz“ riefen“, erinnert sich Mercy.
Ihre Idee: Tanz spartenübergreifend und menschenübergreifend anzubieten. Das geförderte Projekt bietet seit Ende 2020 verschiedene, teils digitale Formate und Angebote für die freie professionelle Tanz- und Kulturszene an – verliert dabei aber nicht die Wuppertaler Bürgerinnen und Bürger aus dem Blick, die mit Tanz eigentlich nicht viel zu tun haben.
Zuletzt sorgten Mercy und Merighi und weitere Künstlerinnen und Künstler für Aufmerksamkeit, als sie Ende August den Barmer Bahnhof von den Gleisen bis zum Dach mit Tanz, Medienkunst, Sound und performativen Interventionen bespielten. Und auch wenn Corona dem Gesamtprojekt einen nicht allzu leichten Start beschert hat, freut sich Mercy auf alles Weitere: „Es ist toll zu sehen, wir wunderbar kreativ man auch in Zeiten der Einschränkung sein kann.“
Dr. Dr. Bettina Paust, Leiterin des städtischen Kulturbüros, bestätigt diesen Eindruck: „Während der Pandemie hat die freie Szene hier in Wuppertal nicht gejammert, sie war hochaktiv, brachte sich unter anderem über den Kulturrat und das Freie Netz Werk Kultur ein, gründete neue Arbeitsgruppen. Diese Dynamik, die Wuppertal innehat, ist wirklich außergewöhnlich. Das gilt es fördern.“
Was die freie Szene auf die Beine zu stellen vermag, zeigen eindrücklich drei Videos, die in kreativer Kooperation zwischen Kunststation, Tanz Station - Barmer Bahnhof und Foto-Künstler und Videomacher Ralf Silberkuhl entstanden sind.
Bei den Anwesenden herrscht Einigkeit beim Blick nach vorn: Ein gemeinsames Anliegen ist es, Kunst- und Kultur-Angebote breiter zu streuen und mehr Diversität zu erreichen, wie Dr. Uta Atzpodien, freie Dramaturgin, ausführt. Außerdem wird deutlich: Die Künstlerinnen und Künstler wollen rein ins Geschehen, in die Stadt, zu den Menschen – den urbanen Raum mit ihrer Kunst erfassen und erobern. Eine BUGA 2031 würde ihnen dazu beste Möglichkeiten bieten.
„Das Format BUGA muss für Wuppertal neu gedacht werden. Wir wollen keine gewöhnliche BUGA, wir wollen Formate brechen, ein Hybrid entstehen lassen, das zu uns als Stadt und in die heutige Zeit passt, das zeigt, was uns ausmacht. Da spielt die freie Kunst- und Kulturszene eine wichtige Rolle“, so Schneidewind.
Das sorgt für Zustimmung bei den Anwesenden – und für erste Ideen, wie sich Kunst und Kultur mit der BUGA verbinden ließen. „In Wuppertal entwickelt sich gerade ein neues Verständnis von Kunst. Kunst wird hier als Teil der Stadtentwicklung begriffen. Es wäre eine BUGA der Zukunft“, so Eckehard Lowisch.
Am Ende des Sommergesprächs ist zu spüren, dass Verlass ist auf die Wuppertaler freie Kunst- und Kulturszene. Sie will etwas bewegen, Räume für Kunst und Kultur schaffen und so aktiv Einfluss auf die Stadtentwicklung nehmen. „Es liegt etwas in der Luft“, fasst es der Oberbürgermeister zusammen, bevor es für ihn wieder den kurzen Weg hoch zum Gleis geht, um in den nächsten Zug Richtung Rathaus zu steigen.