Aus unserem FUCHS-Magazin Drei Stunden in der Woche hinter Gittern

Wuppertal · Seit 22 Jahren engagiert sich Barbara Hükelheim in der Justizvollzugsanstalt in Vohwinkel. Für das FUCHS-Magazin hat sie mit uns über ihr Ehrenamt gesprochen, über kleine Gesten, die Großes bewirken und Erinnerungen, die Ehrenamtliche mit nach Hause nehmen.

Die Vohwinkelerin Barbara Hückelheim hat zum Gespräch mit der Redaktion den Tisch so gedeckt, wie sie es auch in ihrer Spielgruppe in der JVA Vohwinkel macht: mit Blumen, Kerze und Tischdecke.

Foto: Wuppertaler Rundschau

Im Knast gibt es nicht viele Orte, an denen die Häftlinge einfach so sein können, wie sie sind. Wenn Barbara Hükelheim mit frischen Blumen und Keksen im Rucksack den Tagesraum in der Justizvollzugsanstalt Vohwinkel betritt, eine Tischdecke auf den Tisch legt und eine Kerze anzündet, erschafft sie einen solchen Ort, für die nächsten drei Stunden. In ihre „Spielgruppe“ kommen Häftlinge, die im Gefängnis noch keine Arbeit haben, nicht zur Schule gehen, schlecht Anschluss zu finden. Ihnen möchte die Vohwinkelerin drei Stunden in der Woche eine Art Ersatzfamilie bieten, in der gemeinsam gekocht und gegessen wird, in der Spiele gespielt und Gespräche geführt werden.

Seit 22 Jahren leitet Barbara Hükelheim ehrenamtlich eine Männergruppe. Von ihrem Zuhause in Vohwinkel aus kann sie fast die Dächer der Justizvollzugsanstalt sehen. Was sie vor 22 Jahren noch sehen konnte, waren die Augen der damals nach in Vohwinkel inhaftierten Jugendlichen, wenn sie im Gefangenentransporter durch den Stadtteil zum Knast gefahren wurden. Durch die Sehschlitze des Busses sogen sie alles Leben auf, was sie in der kurzen Zeit erhaschen konnten. Kurz darauf las Hückelheim in der Zeitung von zwei Jugendlichen, die sich in der JVA das Leben genommen hatten, an einem Ort, der ihnen nicht mehr lebenswert erschien. Kurzentschlossen ging sie daraufhin zum Gefängnis, fragte an und erklärte, dass sie einmal wöchentlich eine Spielgruppe für die Inhaftierten organisieren möchte. „Heute ist der Weg nicht mehr so direkt“, erklärt die 62-Jährige Vohwinkelerin.

Ihren Wohnzimmertisch hat sie zum Gespräch mit einem Blumenstrauß und einer Kerze dekoriert – wie im Knast. In den Händen dreht sie die Holzkugel eines Geduldspiels. „Wer sich heute ehrenamtlich engagieren möchte, meldet sich bei der Caritas, wird in Workshops geschult und kann dann erstmal einen anderen Ehrenamtlichen begleiten.“ Zum Beispiel bei Barbara Hükelheim. Seit ein paar Jahren wird sie von Julia Deppe im Knast unterstützt. Nach einem Praktikum in der Gruppe blieb sie einfach dabei. Welche Straftat die Männer der Spielgruppe, maximal zwölf an der Zahl, begangen haben, weiß Barbara Hükelheim nicht – und sie fragt auch nicht. Ab und zu erzählt ihr einer der Männer davon. An ihrer Herzlichkeit ändert das Wissen nichts. „Die besten Gespräche“, sagt die Vohwinkelerin, „entstehen, wenn der Kakao umkippt oder der Kuchen herunterfällt und wir gemeinsam aufwischen müssen. Wie in einer Familie.“

Angst, dass die Vohwinkelerin während ihrer Spielgruppe in eine gefährliche Situation gerät, hat sie nicht. In jedem Raum gibt es einen Knopf für den Hausalarm. Als sie noch Jugendliche statt Männer in ihrer Spielgruppen betreute, kam es hin und wieder zu Prügeleien. „Die 14-Jährigen wussten einfach nicht, wohin mit ihrer Energie.“ Unter Erwachsenen passiert das, zumindest während der Gruppenzeit, nicht. Wie in einer richtigen Familie wird jeden Dienstag zusammen gekocht und gegessen. Zwei bis drei Männer melden sich abwechselnd für die Küche, helfen beim Schnippeln oder Backen. Ab und zu werden Rezepte aus der Vergangenheit vorgeschlagen, von der Mutter, oder etwas aus der Heimat. Die Zutaten besorgt Barbara Hükelheim. Für die Insassen ist die Küche ein besonderer Ort. Im Alltag bekommen sie ihre Mahlzeiten auf Teller aus Aluminium angerichtet in den Zellen serviert. Beim gemeinsamen Kochen legen sie selbst Hand an, schneiden, würzen, riechen und schmecken.

Bis Barbara Hükelheim die drei Stunden mit den Gefangenen so gestalten konnte, wie es ihr vorschwebt, war es ein langer Weg. „In meinen ersten Jahren brachte ich zu Weihnachten Tannenzweige mit“, berichtet sie. „Daraufhin kam der Anstaltsleiter zu mir und sagte: ‚Frau Hükelheim, das ist hier nicht ihr Wohnzimmer.‘“

Kaffee und Kekse hat es damals nicht gegeben, Spiele brachte Hükelheim Woche für Woche in einer Plastiktüte mit. In ihrem Gruppenraum stand eine alte Tischtennisplatte, angeschlagene Stühle und ein vergitterter Fernseher. Heute lagert sie die Spiele in der JVA, ebenso die Tischdecken, die alte Tischtennisplatte ist verschwunden und Hükelheim ist bei weitem nicht mehr die Einzige, die sich im Knast engagiert. „Trotzdem könnten es mehr sein“, merkt sie an. Mit der Flüchtlingswelle wären einige Ehrenamtliche in die Flüchtlingsarbeit gewechselt, zum Leidwesen der Strafgefangenen. Wie wichtig ihre Arbeit ist, merkt die Vohwinkelerin an der Dankbarkeit, die ihr entgegenschlägt, an kleinen Geschenken, die die Männer aus dem basteln, was sie zur Verfügung haben. Ein Armband aus Zahnbürstenstielen, ein Rosenkranz aus getrockneten Brotkugeln, Hükelheim kann eine ganze Kiste damit füllen. „Geschenke mit besonderen Wert, in vielen Nachtstunden gefertigt.“