Wohnung von Schwerkranker gekündigt „Das ist einfach unmenschlich“

Wuppertal · Ohne Vorwarnung wurde Claudia H. aus dem Alltag gerissen und lag mehrere Wochen im Koma, schwebte zwischen Leben und Tod. Währenddessen wurde ihr die Wohnung gekündigt. Im Hausflur drückte der Vermieter ihrer 23-jährigen Tochter das Schreiben in die Hand.

Die Hände miteinander verflochten, sitzen Mutter und Tochter am Esstisch. Wie lange sie noch in der gemeinsamen Wohnung bleiben können, wissen sie nicht.

Foto: Wuppertaler Rundschau

Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass Claudia H. heute mit Tochter Luisa am Tisch der gemeinsamen Wohnung sitzt und ihre Geschichte erzählt. Vor anderthalb Jahren hatten die Ärzte der 53-Jährigen eine andere Prognose gestellt. In der Nacht vom 26. Februar 2018 fuhr sie mit Luisa Richtung Notaufnahme. Den ganzen Tag über hatte sie sich nicht gut gefühlt. Noch vor den Türen des Krankenhauses kollabierte sie.

In der Nacht vom 26. Februar 2018 fuhr sie mit Luisa Richtung Notaufnahme. Den ganzen Tag über hatte sie sich nicht gut gefühlt. Noch vor den Türen des Krankenhauses kollabierte sie. Die Ärzte stellten eine Blutvergiftung fest und versetzten Claudia H. in ein künstliches Koma.

Was dann folgte, waren diverse Operationen, Ungewissheit und zwei Monate Bangen, ob die 53-Jährige je wieder aufwachen würde. Den entscheidenden Hinweis auf die Ursache der Erkrankung gab schließlich ihre Tochter. Sie berichtete, dass die Mutter wochenlang über Schmerzen in der Schulter geklagt hätte. Dort fanden die Ärzte schließlich den Herd der Bakterien, die Claudia H.s Blut vergiftet hatten. Was passiert wäre, wenn Luisa nicht auf die Schmerzen hingewiesen hätte, möchten sich die beiden nicht ausmalen. „Im besten Falle hätten sie meinen Arm amputiert, im schlimmsten Falle wäre ich jetzt tot“, so Claudia H.

Die Monate, in denen die 53-Jährige im Koma und schließlich auf der Intensivstation lag, sind vollständig aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Auf den Krankenhausaufenthalt folgte im Juni 2018 die Reha. „Als ich dort ankam, konnte ich nichts mehr. Nicht alleine sitzen, nicht gehen. Ich musste alles neu lernen“, berichtet Claudia H. Schuld daran waren die Bakterien, die sich geteilt und ihr Gehirn angegriffen hatten. Mittlerweile ist die zweifache Mutter wieder zu Hause, bewegt sich zwar noch etwas unsicher durch die eigenen vier Wände, lebt aber ohne Hilfe. Was geblieben ist, ist ein gelähmter Fuß. Sie humpelt, das Treppensteigen fällt ihr schwer.

Das ist der erste Teil der Geschichte. Vom zweiten Teil hat Claudia H. lange Zeit nichts mitbekommen. Ihre Tochter hat ihn vor ihr geheim gehalten, um sie zu schützen und ihre Genesung nicht zu gefährden. Während die Mutter zwischen Leben und Tod schwebte, zog Luisa H. bei ihrer Tante ein. Der große Bruder lebt in Wien, unterstützte aus der Ferne. In die gemeinsame Wohnung auf dem Ölberg fuhr Luisa in der Zeit nur noch, um die Katzen zu füttern. Bei einem ihrer Besuche traf sie im Hausflur den Vermieter. Er erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand der Mutter, dann drückte er der 23-Jährigen ohne Umschweife die Kündigung der Wohnung in die Hand.

20 Jahre lang hatten Luisa H. und ihre Mutter bis dahin in dem Haus gelebt, der Vermieter zwei Etagen über ihnen. Als Luisa noch zur Schule ging, gab er ihr in Mathe-Nachhilfe. „Ich habe das Schreiben entgegengenommen und nichts unternommen. Ich stehe nicht im Mietvertrag und meine Mutter war zu dem Zeitpunkt nicht geschäftsfähig“, berichtet Luisa H. Erst nachdem ihre Mutter aus der Reha entlassen wurde, rückte sie mit der Sprache raus. „Ich war fassungslos“, sagt Claudia H. – und greift dabei nach Luisas Hand. „Eigenbedarf anzumelden ist eine Sache, aber die Kündigung der Tochter im Hausflur in die Hand zu drücken, während die Mutter im Koma liegt, ist einfach unmenschlich.“

Im Oktober 2018, wenige Wochen nach der Reha, setzte sich die Familie mit dem Vermieter zusammen, sprach sich aus und verschob weitere Entscheidungen ins Frühjahr 2019. Claudia H.s Genesung sollte in den nächsten Monaten Priorität haben.

Im Mai 2019 kam es zu einem zweiten Treffen. Einvernehmlich einigten sich die Parteien darauf, Mutter und Tochter ein Jahr Zeit zu gewähren, um eine neue Wohnung zu finden. Trotz der Einigung, endete das Gespräch im Streit. Auf beiden Seiten fielen Worte, die verletzten. „Zwei Wochen später erhielten wir einen Brief vom Anwalt mit der Aufforderung, uns zu entschuldigen, andererseits würde uns das Mietverhältnis unverzüglich gekündigt werden.“ Das Schreiben brachten Mutter und Tochter zum Mieterbund, der seitdem die Kommunikation verwaltet.

Sofort begann Claudia H. mit der Suche nach einer neuen Wohnung. Im Erdgeschoss sollte sie sein (ihr gelähmter Fuß behindert sie beim Treppensteigen) und geeignet für Haustiere (zwei Katzen gehören zur Familie). Etwas zu finden, das beide Kriterien erfüllt, ist schwer. Hinzu kommt das Problem mit dem Arbeitsverhältnis. Seit über einem Jahr ist die 53-Jährige krankgeschrieben und bezieht Krankengeld: „Wann ich wieder als Betreuerin in einer Altenwohngruppe arbeiten kann, steht noch nicht fest.“ Zwar möchte sie so schnell es geht in ihren Beruf zurückkehren – Versprechen zählen bei potenziellen Vermietern aber nicht so viel wie eine feste Anstellung.

Mitte Juni spitzte sich die Situation unerwartet weiter zu. „Der Vermieter klingelte an unserer Wohnungstür, ich öffnete und er drohte aus heiterem Himmel mit der Räumungsklage.“ Claudia H. schießen bei der Erinnerung an den Tag Tränen in die Augen. „Wie kann man so mit Menschen umgehen, die sowieso schon am Boden liegen?“

Ob der Vermieter die Räumungsklage tatsächlich eingereicht hat, wissen Mutter und Tochter nicht. Die Wohnung, in der sie gemeinsam am Esstisch sitzen, die Hände miteinander verflochten, ist schon lange kein Zuhause mehr. Claudia H. hat Angst, belauscht zu werden. Während sie erzählt, bleibt die Terrassentür geschlossen. Im Gemeinschaftsgarten wässert der Vermieter die Blumen.