Wuppertaler im „Bürgerrat“ Prof. Lietzmann: „Unsere Demokratie hat Patina angesetzt“

Wuppertal · Rundschau-Interview mit Interview mit Professor Hans J. Lietzmann von der Bergischen Universität Wuppertal zum „Bürgerrat Demokratie“.

Professor Hans J. Lietzmann.

Foto: Lietzmann

An zwei Wochenenden im September treffen sich 160 zufällig ausgewählte Menschen in Leipzig, um über die Zukunft unserer Demokratie zu diskutieren. Professor Hans J. Lietzmann, Politikwissenschaftler an der Bergischen Universität und Leiter des Instituts für Demokratie- und Partizipationsforschung, hat das Verfahren des „Bürgerrats Demokratie“ mit entwickelt und steht als Experte beratend zur Seite. Rundschau-Redakteurin Hannah Florian erklärte er, warum es notwendig ist, nicht nur Politiker, sondern auch Bürger zum Status unserer Demokratie zu befragen.

Rundschau: Wie sind die 160 ausgewählten Menschen im „Bürgerrat Demokratie“ gelandet und wer sind sie?

Lietzmann: Wichtig ist zu sagen: Keiner der 160 Teilnehmer hat sich von sich aus gemeldet oder beworben, sie wurden alle zufällig angeschrieben und gefragt, ob sie teilnehmen möchten. Sie sind keine Experten und keine Politik-Profis, sondern Menschen, die durchschnittlich alt und durchschnittlich gebildet sind, aus unterschiedlichen Bundesländern kommen und unterschiedlich gut oder schlecht verdienen.

Rundschau: Warum treffen sich diese 160 Menschen für insgesamt vier Tage?

Lietzmann: Sie sollen darüber reden, wie sich unsere Demokratie verbessern lässt. In den letzten Jahren hat sich eine Skepsis gegenüber den Parteien, der Politik und den Gerichten entwickelt. Unsere Demokratie hat Patina angesetzt. Die Teilnehmer sollen deshalb Ideen sammeln, was ihr wieder auf die Füße helfen kann.

Lietzmann: Was erwartet Sie in Leipzig?

Rundschau: Ein ziemlich dichtes Programm. Zuallererst geht es darum, eine Bestandsaufnahme zu machen. Wo funktioniert unsere Demokratie, wo nicht? Vor welchen neuen Herausforderungen steht sie? Es wird diskutiert, ob mehr Beteiligung von den Bürgern gewünscht wird und was für Beteiligungsformen möglich sind. Am Ende werden Empfehlungen formuliert, die am „Tag der Demokratie“ im November dem Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble überreicht werden.

Rundschau: Besteht die Chance, dass die Empfehlungen der Bürger reflektiert und zum Teil umgesetzt werden?

Lietzmann: Das denke ich schon. Die professionelle Politik zeigt sich sehr offen. Das Problem ist einzig, dass Bürgerbeteiligungsverfahren in unserem politischen System noch nicht institutionell formuliert sind. Es müssen Leitlinien dafür entwickelt werden, denn diese Prozesse werden in den nächsten Jahren zunehmen. Das Parteiensystem allein ist nicht mehr richtig entscheidungsfähig. Bürgerbeteiligungsverfahren sind ein wichtiger Baustein, um den Erwartungen der Bevölkerung an die Transparenz politischer Prozesse gerecht zu werden.

Rundschau: Kann der „Bürgerrat“ Ihrer Meinung nach die Distanz zwischen Bevölkerung und Politikprofis verringern?

Lietzmann: Die Distanz ist jedenfalls deutlich. Was sie genau ausmacht, ist schwer zu sagen. Der „Bürgerrat Demokratie“ öffnet aber einen Sprachmodus. Menschen, die sonst vielleicht eher zurückhaltend sind, werden nach ihrer Meinung gefragt und sie werden gehört. Das läuft anders als auf Bürgerversammlungen, wo oft nur die Empörten zu Wort kommen. Durch den „Bürgerrat Demokratie“ kommen alle Positionen, auch die nicht so vorgefassten, miteinander ins Gespräch. Das schafft eine Minderung der Distanz.

Rundschau: Ist der „Bürgerrat Demokratie“ ein Pilot-Projekt?

Lietzmann: Bundesweit findet dieses Verfahren das erste Mal statt, in Bundesländern und Kommunen ist es aber durchaus geläufig. Entwickelt wurde das Verfahren mit Zufallsermittlung der Beteiligten in den 70er Jahren übrigens an unserem Institut in Wuppertal. Und auch das Bürgergutachten zur Seilbahn war ja so etwas: Wuppertaler Bürger haben drei Tage lang mit Experten über die Seilbahn diskutiert und dann eine Empfehlung ausgesprochen.