Wirtschaft in Wuppertal Messebauer: „Ende 2020 sind 50 bis 75 Prozent der Firmen weg“
Wuppertal · Die Veranstaltungsbranche ist mit 130 Milliarden Euro Umsatz und mehr als einer Million Beschäftigten Deutschlands sechstgrößter Wirtschaftszweig – und wie kaum ein anderer von der Corona-Pandemie betroffen. Am Mittwoch (9. September 2020) haben ihre Vertreter bei einer Demonstration in Berlin symbolisch ihr letztes Hemd vor den Reichstag gelegt und einen Rettungsdialog mit der Regierung gefordert, um ein Massensterben von Unternehmen zu verhindern. Besonders betroffen sind unter anderem Messebauer wie Torsten Schäfer, der sein expandierendes Familienunternehmen SMC mit 50 Angestellten gerade erst von Mettmann nach Wuppertal verlegt hatte. Im Gespräch mit Rundschau-Redaktionsleiter Roderich Trapp schildert er seinen Blick auf die Krise.
Rundschau: Sie haben groß investiert und Ende 2019 den Neubau für Ihr Unternehmen SMC Gruppe im Vohwinkeler Mittelstandspark VohRang bezogen. Wie war da Ihre wirtschaftliche Situation?
Schäfer: „Uns ging es sehr gut. SMC hat vor knapp 40 Jahren in einer Doppelgarage angefangen und ist als Full-Service-Messebauer immer größer geworden. Trotz der großen saisonalen Schwankungen im Messegeschäft sind wir organisch gewachsen, hatten im Jahresmittel über Jahre hinweg immer 10 bis 15 Prozent Umsatzplus, 2019 sogar 30 Prozent. Deshalb auch der Umzug nach Vohwinkel, wo wir jetzt rund 7.500 Quadratmeter Hallenflächen, 1.200 Quadratmeter Büros und auf 30.000 Quadratmetern Grundstück noch viele Erweiterungsmöglichkeiten haben. In der Hochsaison haben wir neben unseren eigenen Fachkräften noch knapp 70 Subunternehmer im Einsatz. Bis März 2020 waren wir wieder auf Wachstumskurs, dann kam Corona ...
Rundschau: Was hat das konkret für Sie bedeutet?
Schäfer: „Durch den Lockdown und die Messe-Absagen haben wir den Betrieb binnen zehn Tagen von gefühlten 140 Prozent und knapp 100 Personen auf null heruntergefahren. Viele Messestände waren da bereits fertig produziert, zusammengestellt, verladen oder befanden sich schon im Aufbau. Innerhalb einer Woche mussten wir dieses Material zurückholen und bei uns einlagern. Das waren mit Sicherheit rund 100 Lkw-Ladungen. Danach musste über die Abrechnung von Teilleistungen verhandelt werden. Unsere Kunden haben dabei bravourös mitgezogen, andernfalls wäre unsere Liquidität schnell am Ende gewesen.“
Rundschau: Und was kam danach?
Schäfer: „Erstmal eine Schockstarre. Anfangs hätte man noch nicht gedacht, dass die Situation, in der eine ganze Branche praktisch Berufsverbot hat, tatsächlich monatelang andauert. Wir haben dann konsequent alle Kosten soweit wie möglich gesenkt, Lkw vorübergehend stillgelegt, Mitarbeiter zunächst in Überstundenabbau und daran anschließend in Kurzarbeit geschickt. Die staatliche Unterstützung hat zwar sehr geholfen, reicht aber für ein Unternehmen unserer Größe bei weitem nicht aus.“
Rundschau: Wie lange können Sie ohne Messegeschäft durchhalten?
Schäfer: „Aus eigener Kraft vielleicht noch bis Anfang oder Mitte nächsten Jahres, dann müssen wir erstmals in der Geschichte von SMC Kredite aufnehmen. Und so lange geht das auch nur deshalb, weil wir uns neu aufgestellt und unser Angebot in die Bereiche Messe + Event, Konzept + Raum, sowie Industriedienstleistungen für alle sichtbar aufgeteilt haben. Wir haben für viele handwerkliche Gewerke eigene Meister und Facharbeiter, die bisher durch die Auftragslage fast ausschließlich mit Messebau beschäftigt waren. Jetzt bieten wir auch Innenausbau, Küchenbau, Ladenbau und mit unserer Logistik Industriedienstleistungen an. Da haben wir auch erste Aufträge von Bestandskunden, aber das sind vielleicht zehn Prozent von dem, was wir sonst haben. Ungefähr 80 Prozent der anderen Messebau-Firmen produzieren aber gar nicht selbst und haben daher auch diese Möglichkeit nicht.“
Rundschau: Was bedeutet das für die Branche?
Schäfer: „Ich rechne damit, dass 50 bis 75 Prozent der Messebau-Firmen bis Jahresende weg sind. Viele große Unternehmen und Solo-Selbständige sind schon vom Markt verschwunden – Caterer, Anbieter für Bühnenbedarf, Mietmöbel-Verleiher, Hostessen-Servicefirmen. Ob die nochmal wiederkommen, ist fraglich. Es gehen gerade Marktvielfalt und über viele Jahre gewachsene Strukturen unwiderruflich verloren. Man muss auch wissen, dass keine andere Branche systematisch so viele Quereinsteiger und Kreative aufgenommen und gefördert hat wie der Messebau.“
Rundschau: Werden Messen nach Corona denn überhaupt noch ein Thema sein?
Schäfer: „Vielleicht werden übertriebene oder zu kurz getaktete Formate verschwinden. Aber dass Messen zu vernünftigen Kosten-Nutzen-Relationen binnen kürzester Zeit wieder ein bedeutender Bestandteil des Marketing-Mixes werden, ist unstrittig. Das zeigen die Erfahrungen aus Asien und die Lehrmeinungen der Marketing-Experten. In Marketing und Vertrieb bleibt der persönliche Kontakt wichtig. Online-Messen als Alternativen haben außerdem große Probleme, da die Einnahmepotenziale die Kosten nicht decken werden. Klar ist aber auch, dass internationale Messen erst wieder stattfinden werden, wenn es einen Impfstoff gibt. Ohne vollständige Reisefreiheit wird es auch keine internationalen Besucher geben. Für uns ist deshalb wichtig, unsere wichtigste Ressource über die Krise zu bringen. Und das ist unser Personal – und da hängen viele Familien dran.“
Rundschau: Wie ließe sich das Branchensterben denn noch verhindern?
Schäfer: „Über Profi-Fußball wird viel geredet. Aber dass Messen und Kongresse gar nicht stattfinden, wird kaum wahrgenommen. Dabei hat hier eine ganze Branche nicht nur Umsatzrückgänge, sondern viel mehr einen Totalverlust zu verkraften. Bei vielen Betroffenen sind die staatlichen Hilfen auch noch gar nicht angekommen oder sie reichen einfach nicht aus. Die Unterstützung muss nicht nur weitergehen, sondern muss noch ausgeweitet werden. Aktuell wurde gerade einmal ein Prozent der Förderungen ausbezahlt – bei fast 100 Prozent Umsatzausfall seit Mitte März. Das übersteht kein Unternehmen. Deutschland ist Messe-Weltmeister und hat die mit Abstand kreativsten und weltweit führenden Firmen in diesem Bereich. Im Übrigen wäre ein Großteil der Veranstaltungen grundsätzlich möglich, perfekte Hygienekonzepte warten auf ihren Einsatz. Ich finde, man darf eine Messe nicht in einen Topf mit einem Oktoberfest werfen, da ist ein differenzierter Blickwinkel nötig.“