1Live-Chef Jochen Rausch aus Wuppertal im Porträt Keine Zeit für Mätzchen
Grimme-Preis. 20 Jahre 1Live. Das soeben erschienene Buch "Rache". Wer sich in diesen Tagen mit Jochen Rausch trifft, sollte Zeit mitbringen. Denn er hat viel zu erzählen.
Es ist ein Samstagmittag im "Café Mocca". Blaues Hemd, grauer Hoody — der 59-jährige Rausch sitzt vor einem Latte Macchiato und der "Süddeutschen". Ein lieb gewonnenes Ritual.
Entspannt, unaufgeregt und vor allem sehr aufmerksam, so wirkt der Wuppertaler, der so viele verschiedene Felder besetzt. Journalist, Autor, Musiker, Programmchef von 1Live — ganz schön schwer, das alles in diesem Mann zu verorten. Und doch — irgendwie greift bei ihm alles ganz nahtlos ineinander.
Mit 59 noch Chef eines Jugendsenders? Rausch winkt ab. "Der Begriff Jugend", sagt er, "war bei uns immer schon verpönt. Schließlich will man doch ernst genommen werden." Überhaupt sei das mit der Jugend so eine Sache. "Wer mit den Stones sozialisiert ist, wird sie vermutlich mit ins Altenheim nehmen und von den Pflegern ermahnt werden, die Musik leiser zu drehen. Dann ist man wieder da angekommen, wo man mal als junger Mensch gestartet ist", sagt Rausch amüsiert.
Ein gutes Stichwort. Denn irgendwie hat sich Jochen Rausch schon immer damit beschäftigt, wie man eine junge Zielgruppe anspricht. "Als ich 18 war", erzählt er und rührt lächelnd in seinem Latte Macchiato, "habe ich Zeitungen ausgetragen und schon damals bemerkt, wie die Leser einfach wegsterben. Also ging ich in die Redaktion und schlug vor, junge Leute mit Texten über Rockmusik anzusprechen." Davon wollte der Redakteur jedoch nichts hören und schickte den ambitionierten Mitarbeiter wieder Zeitungen austragen. Dem Thema und der Rockmusik ist der Wuppertaler treu geblieben. Bis heute.
Aufgewachsen in einem Reihenhaus am Uellendahl entdeckte Jochen Rausch schon im Alter von zehn Jahren seine Leidenschaft für Medien. So schrieb er Sportartikel, schnitt passende Fotos aus und bastelte seine erste eigene Zeitung, die er dann persönlich im Jugendzentrum am Röttgen auslegte. "Ich war Schreiber, Illustrator, Chefredakteur und Zeitungsausteiler in einem", resümiert er. Und man kann sich das sehr gut vorstellen.
So wie damals tüftelt der Vater von zwei Kindern auch heute noch gerne an neuen Formaten. Für eines — "Mr. Dicks — Das erste wirklich subjektive Gesellschaftsmagazin"— hat er soeben den Grimme-Preis bekommen. "Immerhin als erster Radiomensch", sagt Rausch. Eine Spur von Überheblichkeit sucht man dabei in seinem Gesicht vergebens.
Vielleicht bleibt ihm für solche Mätzchen auch einfach keine Zeit. Denn der vielbeschäftigte Mann, der früher mal Rockstar werden wollte und mit Projekten wie "Die Helden", "Stahlnetz" und "LEBENdIGITAL" auch ziemlich erfolgreich war, schreibt in seiner Freizeit Bücher. Und zwar hochgelobte. Nach dem Kurzgeschichtenband "Trieb" (2011) und dem Roman "Krieg" (2013) ist Ende März "Rache" erschienen. Es trägt den Untertitel "In Zeiten der Gereiztheit" und lotet in elf Storys einmal mehr die menschlichen Abgründe aus.
Das Schreiben, so Rausch, sei ein Reflex auf unsere Zeit: "Ich versuche mir durch das Schreiben selbst die Welt zu erklären." Eine der elf neuen Geschichten führt den Leser übrigens in das Leben eines Lokaljournalisten, der während einer Reportage in der Schwarzbach Zeuge eines Ehrenmordes wird.
Das Gefühl der Rache, da ist Rausch sicher, kann jeden übermannen. "Ich bin davon überzeugt, dass jeder Mensch an einen Siedepunkt gebracht werden kann, an dem jegliche Vernunft aussetzt." Er selbst auch? Er lächelt. "Jeder."