Ehemaliges KZ Kemna „Wichtiger Beitrag für die Erinnerungskultur“

Wuppertal · Das öffentliche Interesse an dem ehemaligen Konzentrationslager Kemna ist groß. Das haben die beiden Thementage gezeigt, die die evangelische Kirche am Wochenende (22./23. April 2023) auf dem Gelände an der Beyenburger Straße und in der Sophienkirche veranstaltet hat.

Blick auf das Gebäude an der Beyenburger Straße 164.

Foto: Thorsten Levin, Nikola Dünow

Mehr als 100 Interessierte besuchten das Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers und die Ausstellung vor Ort. Am Samstag gab es in der Sophienkirche Wuppertal Expertenvorträge über das frühe Konzentrationslager Kemna und der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, referierte über „Chancen für Lernprozesse an Orten ehemaliger Konzentrationslager“. Superintendentin Ilka Federschmidt sprach über die Verantwortung der evangelischen Kirche für Kemna. Auf dem Podium diskutierten die Anwesenden anschließend darüber, ob man Demokratie erlernen kann.

Am Sonntag gab es erstmals für die Öffentlichkeit die Gelegenheit, das Gelände an der Beyenburger Straße 164 zu besichtigen. Vor Ort wurde die Ausstellung „Auftakt des Terrors. Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ eröffnet und Dr. David Mintert vom Förderverein der Begegnungsstätte Alte Synagoge stellte seine Neuausgabe des Zeitzeugen-Berichts des ehemaligen Häftlings Fritz Braß vor.

„Das große Interesse an den Thementagen gibt uns für weiteren Aufwind für das Projekt“, sagte Superintendentin Ilka Federschmidt. „Es freut uns sehr, dass es ein so großes Netzwerk von Menschen gibt, die sich für den zukünftigen Gedenkort interessieren und sich bei der Ausgestaltung einbringen wollen.“

In seinem Grußwort betonte Prof. Dr. Uwe Schneidewind am Samstag die Zerbrechlichkeit der Demokratie: Das Beispiel des Konzentrationslagers Kemna zeige, in welcher Geschwindigkeit Demokratie zerstört wurde“, so der Wuppertaler Oberbürgermeister.

Er bedankte sich bei der evangelischen Kirche Wuppertal für das Engagement in Kemna: „Es macht Mut und ist der Kirche hoch anzurechnen, dass sie sich an diesem Ort engagiert. Das ist ein zentraler Beitrag für die Erinnerungskultur in Wuppertal, im Bergischen und in Deutschland insgesamt.“

Superintendentin Ilka Federschmidt.

Foto: Thorsten Levin, Nikola Dünow

Dr. David Mintert vom Förderverein der Begegnungsstätte Alte Synagoge als ausgewiesener Kemna-Experte betonte den besonderen Stellenwert Wuppertals als doppelte Hochburg in den 1930er-Jahren: Die Bergische Region sei einerseits eine Hochburg der Arbeiterbewegung gewesen, zugleich habe es in Wuppertal besonders viele Anhänger der NSDAP gegeben. „Diese Konstellation führte zu teils verbitterten Zusammenstößen und es gab SA-Morde auf offener Straße in Wuppertal.“

Folterkammern der SA

Vor diesem Hintergrund gab der Historiker einen eindrücklichen Bericht über das frühe Konzentrationslager Kemna in Wuppertal: 2500 bis 3000 Häftlinge aus dem Bergischen, aus Duisburg, Essen und Mettmann, überwiegend aus der Arbeiterbewegung und Mitglieder der SPD oder KPD, waren im KZ Kemna inhaftiert. Das Konzentrationslager war ein rechtsfreier Raum, es gab Prügelexesse, die Menschen wurden auf engstem Raum zusammengepfercht und mussten teilweise mit Kot und Staub bedeckte Salzheringe essen. Bis in den Winter hinein wurden sie in die nahegelegene Wupper getrieben, so der Bericht von Mintert weiter.

Die frühen Lager wie Kemna waren Folterkammern der SA, in der die Inhaftierten brutal kleingemacht und unter systematischer Folter zu Aussagen gezwungen wurden. Mit den harten Kemna-Methoden wurde zur Abschreckung öffentlich gedroht.

„Die Menschen in Wuppertal wussten, was in der Kemna passierte“, so Mintert: Die Folter passierte in unmittelbarer Nähe der Siedlungen Kemna und Laaken: „Die Menschen, die gequält wurden, haben laut geschrien, das drang bis zum Restaurant Kemna in 500 Metern Luftlinie. So habe der damalige Wirt des Restaurants Kemna berichtet, dass er die Fenster schließen musste, damit seine Gäste nicht von den Schreien „gestört“ würden.“

OB Schneidewind bei seinem Grußwort in der Sophienkirche.

Foto: Thorsten Levin, Nikola Dünow

Die beschämende Rolle zweier evangelischer Pfarrer

Auch zwei evangelische Pfarrer waren in der Kemna als „Seelsorger der deutschen Christen“ tätig. Pfarrer Martin Altenpohl aus der Gemeinde Langerfeld hab im engen Bündnis mit der folternden SA zusammengearbeitet.

Die Arbeiterbewegung sei damals das erklärte Feindbild vieler Protestanten gewesen, so Mintert. Die Situation der Häftlinge sei zur Umerziehung zu brauchbaren Volksgenossen ausgenutzt worden um beispielsweise Taufen durchzuführen. „Auch darum sei es so wichtig, dass sich Kirche dieser Verantwortung stellt.“

Superintendentin Ilka Federschmidt betonte die „extrem beschämende Rolle“, die die evangelische Kirche in Kemna gespielt habe. „Das ist uns bis heute Mahnung und Warnung zugleich“, so die Pfarrerin.

Darum fühle sich der Kirchenkreis verantwortlich für den Ort und plant dort langfristig einen Gedenkort. „Wir knüpfen damit an die wertvolle Arbeit und Recherche an, die andere vor Ort längst betrieben haben“, sagte Federschmidt auch mit Blick auf das Mahnmal des Jugendrings, das 1983 in Kemna eingeweiht wurde.

Die Neuauflage des Brass-Berichtes.

Foto: Thorsten Levin, Nikola Dünow

Authentische Spuren aufdecken

In Zusammenarbeit mit Experten plant der Kirchenkreis vor Ort „Spurensuche“: Authentische Spuren am Gebäude, das im Laufe der Jahre mehrfach überbaut wurde, sollen in Verbindung mit Zeitzeugenberichten und Biographien wieder zum Sprechen gebracht werden, um so der Opfer zu gedenken und zugleich das ehemalige KZ in einen neuen Ort der Demokratie umzuwandeln.

Ilka Federschmidt betonte auch, dass dafür öffentliche Unterstützung für die Investitionskosten und die laufen Kosten nötig sein werde. In den nächsten Jahren soll ein Konzept erstellt werden und bis voraussichtlich Ende der 2020er-Jahre soll dann ein neuer Lernort für Demokratie entstehen.

Prof. Dr. Jens-Christian Wagner von der Gedenkstättenstiftung Buchenwald gab den Zuhörern in seinem Vortrag viele kritische Impulse zu einer Erinnerungskultur voller Pathos mit auf den Weg. „Wir brauchen die Reflexion viel nötiger als das Schwarz-Weiß-Denken“, so sein Plädoyer. „Und wir müssen uns fragen, warum die Nazis so erfolgreich waren. Daraus können wir Aktualitätsbezüge herstellen“, so der renommierte Historiker.

„Geschichte geschieht nicht, sondern beruht auf Entscheidungen von Menschen“, so Wagner weiter. Darum spricht er sich innerhalb der Gedenkstättenarbeit deutlich für diskursive Formate aus, in der bei den Besuchern Platz für eigen Antworten bleibt.

Die Ausstellung „Auftakt des Terrors" ist in in dem Kemna-Gebäude zu sehen.

Foto: Thorsten Levin, Nikola Dünow

Am Sonntag wurde die Ausstellung „Auftakt des Terrors. Frühe Konzentrationslager im Nationalsozialismus“ auf dem ehemaligen Kemna-Gelände eröffnet. Die Ausstellung erzählt die Geschichte der frühen Lager von den Voraussetzungen in der Weimarer Republik bis zur Auflösung der Lager.

In zehn Modulen zeigt sie, wie vielfältig die Lager waren, und illustriert anhand der Biografien von Opfern und Tätern die enge Verbindung der Lager untereinander. Die Ausstellung wurde von der Arbeitsgemeinschaft „Gedenkstätten an Orten früher Konzentrationslager“ entwickelt. Kemna wird in der Ausstellung als geplante Gedenkstätte erwähnt.

Von der Demokratie zur Diktatur

In seinem Vortrag betonte Dr. Sebastian Weitkamp von der Gedenkstätte Esterwegen die Bedeutung der frühen Lager als Orte der Macht-Durchsetzung im Übergang von der Demokratie zur Diktatur. „Die frühen Lager waren im Gegensatz zu den späteren Vernichtungslagern mitten in Deutschland, mitten in den Städten und Gemeinden wie hier in Kemna“, so Weitkamp. „Die Opfer und Täter kannten sich häufig."

Dr. David Mintert vom Förderverein der Begegnungsstätte Alte Synagoge stellte die Neuausgabe des Augenzeugenberichtes von Fritz Braß vor. Braß war Häftling in Kemna. Er starb zehn Jahre nach seiner Niederschrift im Lager Mauthausen. Sein Bericht ist eine der wertvollsten Quellen zur Lagergeschichte. „Sein Bericht gibt uns die Chance, mit seinen Augen auf die Geschehnisse 1934 zu blicken“, sagt Mintert.

Zum Abschluss am Sonntag gab es Führungen über das Gelände und erstmals konnten Interessierte das Gebäude besichtigen. „Die Spuren des ehemaligen Konzentrationslagers sind karg und wurden mühsam freigelegt“, sagt Superintendentin Ilka Federschmidt. „Das gibt uns aber auch die Chance in einem Gedenkort, Zeitzeugenberichte und Biographien in Eigenregie zu entdecken.“