Im Poträt: Christelle Beti Der Weg von Kinshasa nach Wuppertal
Wuppertal · Sie kam als Kind nach Deutschland. Die Familie musste aus politischer Überzeugung vor der Diktatur von Mobutu Sese Seko im damaligen Zaire fliehen. Heute arbeitet Christelle Beti als Ärztin in der Geburtshilfe.
Christelle Beti hatte Glück. Ihre Familie war privilegiert, konnte mit dem Flieger den Kongo verlassen. Erste Station auf deutschem Boden für die Familie ist Köln, wo sie ihren Asylantrag stellt. Von dort wird sie der Stadt Halle an der Saale zugewiesen.
Das war 1995 und Christelle war sechs Jahre alt. "Ich wusste nicht, dass wir aus dem Kongo geflohen waren, fragte täglich, wann wir wieder zurückgehen würden. Zuerst hieß es: bald. Irgendwann hörte ich auf zu fragen. Einige Monate besuchte ich in Halle den Kindergarten, mit sieben kam ich in die Grundschule. Integrationskurse gab es damals noch nicht", erinnert sich die 28-Jährige an ihre Anfänge im fremden Deutschland, wo sie besonders die zurückgelassenen Familienangehörigen und ihre Freunde vermisste. "Als Kind denkt man nur an das Naheliegende. Erst später habe ich realisiert, was ich alles verloren hatte. Doch wenn ich heute meine Biografie betrachte, war die Flucht eine gute Entscheidung. Ich weiß nicht, wie weit ich im Kongo gekommen wäre. Kontakte zu meiner Heimat habe ich noch. 2010 war ich zuletzt dort", sagt sie.
Als sie in Halle Freunde gefunden hat, werden die Koffer erneut gepackt. Da es im Osten keine Arbeitsmöglichkeiten gibt, zieht man nach Wuppertal. "Bis zuletzt wehrte ich mich verzweifelt, wollte nicht schon wieder meine Freunde verlieren. Es stimmt nicht, dass in Ostdeutschland nur Rassisten leben. Das sind einzelne Menschen — Halle ist eine offene Stadt. Dort wurde ein Freund der Familie, der aus dem Senegal stammende Dr. Karamba Diaby, für die SPD in den Bundestag gewählt. Ab und an musste ich schon eine blöde Bemerkung anhören. Eltern einer Freundin sahen es nicht gern, wenn sie mit mir zusammen war, aber das haben wir als Spiel angesehen", bricht Christelle Beti eine Lanze für Halle.
Auch in Wuppertal gelingt der Neunjährigen die Integration schnell, schulische Probleme gibt es nicht, auf die Grundschule folgen Gymnasium und Abitur. Ärztin ist schon als Kind der Traumberuf der jungen Kongolesin.
Beti schafft den Numerus Clausus für das Medizinstudium. Neben Leistung setzt sie auf gesellschaftliches Engagement und wird zur Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. "Ich wollte in Bochum studieren. Dort gibt es eine Kooperation mit der Uni in Straßburg, wo ich einige Semester verbracht habe. Die Stadt war verlockend, aber der Drang, nach Deutschland zurückzukehren, größer. Ich wollte einen deutschen Abschluss, hier ist heute meine Basis. Seit Januar 2016 arbeite ich auf der geburtshilflichen Station und erlebe täglich, wie Wuppertal bunter wird. Jetzt möchte ich alles daran setzen, mich weiter zu qualifizieren, um als Ärztin auf eigenen Beinen zu stehen, eventuell später in einem Land wie dem Kongo zu arbeiten", denkt die Ärztin über ihre Zukunft nach. "Die Frage, ob ich mich mehr als Deutsche oder als Kongolesin fühle, werde ich nie wirklich beantworten können. Der Kongo ist Teil meiner Kindheit, ich habe eine kongolesische Familie und hier in Wuppertal eine kongolesische Community. Obwohl meine Muttersprache Lingala ist, bin ich mit Französisch, der Sprache der Kolonialherren, aufgewachsen."
Und weiter: "Aber von Deutschland habe ich ebenfalls vieles in mir. Auch wenn der Konflikt im Kongo nicht medienpräsent ist, so herrscht in meiner Heimat immer noch ein verheerender Krieg um seltene Rohstoffe, die für die globale Telekommunikationsindustrie unentbehrlich sind. Täglich verlieren unschuldige Zivilisten ihr Leben. So lang es Terror und Tod gibt, ein Teil der Welt den Rest der Welt ausbeutet, werden Menschen fliehen und ihr Land verlassen. Die Gefahren der Flucht werden sie nicht abhalten, denn sie haben nichts zu verlieren."
Von Flüchtlingen, die heute nach Deutschland kommen, wünscht sich Christelle Beti, dass sie so schnell wie möglich die Sprache lernen und sich mit den kulturellen Werten auseinander setzen. "Arbeit, Bildung und Erziehung sind wichtig, damit eine Generation heranwächst, die Chancen hat und ihre Beitrag für die Gesellschaft leisten kann. Wie wichtig die Sprache ist, erlebe ich im klinischen Alltag. Ich begegne vielen Patientinnen, denen ich durch die sprachliche Barriere nicht ausreichend die Angst nehmen kann."
Doch auch Bund und Land nimmt sie in die Pflicht: "Es wurde viel geleistet, dennoch muss man den Städten Ressourcen zur Verfügung stellen, um eine generationsübergreifende Integration zu ermöglichen und somit negative Langzeitfolgen vorzubeugen."