Das (Beinahe-Abschieds-)Interview mit Trassen-Projektleiter Rainer Widman Der Mann mit der Mütze

Er hat "iTALien" mitgegründet, Wuppertals Radwegenetz "erfunden", war Trassen-Projektleiter, ist jetzt in Rente — aber macht noch bis Ende Juni weiter. Mit Rainer Widmann sprach Rundschau-Redakteur Stefan Seitz.

Auf seine typische Kopfbedeckung gekommen ist Rainer Widmann bei einem Besuch im nass-kalten Kopenhagen — einer europaweit vorbildlichen Fahrrad(haupt)stadt.

Foto: Stefan Seitz

Am 25. August 1949 sind Sie im schwäbischen Städtchen Kirchheim unter Teck zur Welt gekommen. Was will man da werden als kleiner Junge?

Es hört sich zwar komisch an, aber ich wollte immer schon Verkehrsplaner sein. Schon ganz früh habe ich Pläne von den Beziehungen zwischen Straßen, Wegen, Brücken, Unterführungen und Flüssen gezeichnet. Aber ein paar Umwege gab es schon, bis ich im Verkehrsressort der Stadt Wuppertal gelandet bin.

Nämlich?

Meine Liebe zur Musik, vor allem zum Jazz, die immer mal wieder bis 1 Uhr nachts dauernde "Arbeit" als Rock-DJ, das Wissen, dass kein großer Pianist und auch kein großer Architekt aus mir werden würde, das alles hat mich zum Ingenieurstudium für Verkehrsplanung an die Fachhochschule Wuppertal geführt.

Wie lang ist das jetzt her?

Am 14. Februar 1970 bin ich mit meinem blauen Renault R4 auf der A 46, die damals nur bis Barmen ging, hier angekommen. Am nächsten Tag startete mein Studium bei Professor Joachim Fiedler. Übrigens: Blaue Autos waren bei mir immer die besten, ob R4, R5, Astra oder A-Klasse.

Man bleibt später nicht automatisch in der Stadt, in der man studiert hat...

Mir als frisch gebackenem Ingenieur stellte sich 1973 die Frage: Stadtverwaltung Wuppertal oder Stadtverwaltung Essen? Und weil's in Essen "nur" um die Ampelsteuerung ging, ist's Wuppertal geworden. Ich dachte nicht, dass ich lang hier bleibe.

Aber?

Wuppertals wahnsinnig lebendige alternative Musik- und Kulturszene hatte starke Ankerwirkung. Ich habe dann zu den Mitgründern des damals noch nicht von der Spaßfraktion geprägten Magazins "iTALien" gehört, das Jazz-Programm der "Börse" verantwortet, und seit 1989 unser Sohn Max geboren wurde, gab es sowieso keine Gedanken mehr ans Weggehen aus Wuppertal.

In der Stadtverwaltung mussten Sie durchaus dicke Bretter bohren, oder?

Den Rad- und Fußgängerverkehr in der Wuppertaler Wirklichkeit zu dem zu machen, was er heute ist, dafür brauchte ich schon langen Atem. Ich bin ja mit dem Rad aufgewachsen, und war auch immer mal wieder der Zeit voraus. Beispielsweise die Radwege auf Autofahrspuren zu legen, was heutiger Neubaustandard ist, war schon in den 80ern meine Idee. Aber nirgendwo durchzusetzen.

Und dann kam eines Tages die Idee der Trasse...

Die Vision, auf der gesamten stillgelegten Rheinischen Eisenbahnstrecke einen Radweg zu realisieren, hatte ich schon um das Jahr 1989 herum. Darüber gibt es auch noch Aufzeichnungen. Viel später, etwa 2000, konnte ich das für den Abschnitt von Wichlinghausen nach Schee konkretisieren. Mit dem Ziel, dieses Projekt zu einem Teil der "Regionale 2006" werden zu lassen. Doch damals waren weder finanzielle Förderungen in Sicht, noch die Bereitschaft der Stadtspitze, diesen Schritt zu wagen, spürbar.

Wie wurde das Projekt dann doch Wirklichkeit?

Alles änderte sich, als die Wuppertalbewegung auf den Plan trat. Da bekam das Ganze den richtigen Drive, dem sich niemand mehr entziehen konnte. Zwar würde ich heute, mit Blick auf viele Jahre Trassen-Arbeit, manches anders machen. Aber die Trasse zu realisieren, war nur gemeinsam mit allen möglich. Und jetzt bin ich einfach nur froh.

Eigentlich sind Sie nun Rentner, aber noch nicht ganz.

Seit dem 1. Dezember 2014 bin ich im Ruhestand, aber auf Bitten der Stadt habe ich noch sieben Monate drangehängt, um die wirklich komplette Fertigstellung der Trasse bis zu den letzten kleinen Details fachlich zu begleiten. Meine Leidenschaft fürs Organisieren von (Jazz-)Kulturveranstaltungen muss also noch ein wenig warten.

Ziehen Sie ein Fazit?

Wenn ich heute sehe, wie weit das Thema Radverkehr, auch ohne die Trasse, nun in Wuppertal ist, bedaure ich fast, dass ich jetzt gehe.

(Rundschau Verlagsgesellschaft)