Alte Feuerwache „Da ist eine enorme Verrohung“

Wuppertal · Sie begehen Diebstähle, und das durchaus professionell. Sie urinieren und zündeln in Treppenhäusern von Arztpraxen, beschädigen Autos und bedrohen Frauen, machen ihnen Angst. Und sie sind gerade mal zwischen acht und 13 Jahren alt.

„Das wird ein ganz tolles Projekt!“ Jana-Sophia Ihle und Joachim Heiß von der Alten Feuerwache freuen sich auf den Nutzgarten, der an der Trasse entstehen soll.

Foto: Max Höllwarth

Ein Phänomen, mit dem es die Polizei wie auch die Mitarbeiter der Alten Feuerwache immer öfter zu tun bekommen.

Um diesem Trend entgegenzuwirken und solche Kinder aufzufangen, bevor es zu spät ist, plant die Feuerwache nun einen Nutzgarten.

Da gab es diesen einen Moment. Joachim Heiß, Leiter der Alten Feuerwache an der Gathe, sieht ihn noch vor sich. Ganz genau hat sich diese Szene bei ihm eingeprägt. Und er spürt noch das Unbehagen, die Ohnmacht und die Ratlosigkeit.

Es war später Abend. Vor der Alten Feuerwache an der Gathe sorgten ein paar Kinder beziehungsweise Jugendliche für Ärger. Mal wieder. Wie schon so oft in den vergangenen Wochen. Die Gruppe — keine Kinder aus dem Umfeld der Feuerwache — war dem Pädagogen durchaus bekannt. Diesmal wurden sie gewalttätig gegenüber Passanten. Ein Fall, wo auch der erfahrene Pädagoge an seine Grenzen stößt und die Polizei rufen muss. Die kam, aber tun konnte sie nicht viel. Nachdem einer der Jungs — er war um die zehn Jahre alt — von einem Polizisten ernsthaft zurechtgewiesen und auf seine Taten hingewiesen wurde, lachte ihm der Junge frech ins Gesicht. "Und nun?", rief er dem Polizisten zu. "Was willst du jetzt tun?" Der Polizist biss sich auf die Zunge und sah Heiß resigniert an. Der Junge hatte Recht. Bei seinem Alter sind den Einsatzkräften weitgehend die Hände gebunden. "Und das", sagt Heiß, "wissen die Kids ganz genau."

Teamwork ...

Foto: Max Höllwarth

Es ist ein Phänomen: Die auffälligen Kinder werden immer jünger. Sie begehen Diebstähle, und das durchaus professionell. Sie urinieren und zündeln in Treppenhäusern von Arztpraxen, beschädigen Autos und bedrohen Frauen, machen ihnen Angst. "Wir sprechen hier von einer kleinen Gruppe von circa fünf bis zehn Kindern, die hier in Elberfeld auffällig sind", berichtet Jana-Sophia Ihle, pädagogische Leiterin der Alten Feuerwache. Heiß ergänzt: "Da ist eine enorme Verrohung zu spüren — und das macht uns große Sorgen."

"Dass Jugendliche kleinere Delikte begehen wie Ladendiebstähle, das hat es immer gegeben. Aber die Taten werden immer heftiger", sagt Stefan Weiand, Sprecher der Polizei in Wuppertal. "Wenn man einen Zehnjährigen vor sich hat, der schon diverse Male bei uns aufgefallen ist, dann stimmt da massiv etwas nicht." Zwar nehme die Polizei die Personalien der Kinder auf und stelle auch Anzeige, die an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet werde, aber "strafrechtliche Konsequenzen hat das dann fast nie, weil die Kids einfach noch nicht strafmündig sind", erklärt Weiand.

Was folgt, sind die bekannten Stationen. "Wir sprechen mit den Eltern, schalten gegebenenfalls das Jugendamt oder andere Einrichtungen ein, um das Problem möglichst früh in den Griff zu bekommen." Oft jedoch führt das Gespräch mit den Eltern nicht weiter. "Diese Kinder kommen aus schwierigen Elternhäusern, die von Armut und mangelnder Bildung geprägt sind. Übrigens handelt es sich dabei nicht um Geflüchtete, sondern um deutsche Familien", stellt Jana Ihle klar. Manche der Eltern seien komplett überfordert, hätten selbst keine Ressourcen, seien aber grundsätzlich kooperativ. Andere entzögen sich ganz. "Da wird in den kommenden Jahren einiges auf uns zu kommen, das wird eine große gesellschaftliche Herausforderung", glaubt Heiß.

Diese Kinder und Jugendlichen nicht ihrem Schicksal zu überlassen, sei das klassische Arbeitsfeld für Streetworker. Die gibt es jedoch in Wuppertal im Bereich der Jugendarbeit gar nicht, wie Sozialdezernent Stefan Kühn bestätigt. "Diese Kinder versuchen wir über die Hilfen zu Erziehung aufzufangen. Ein Bereich, den wir jedes Jahr mit rund 80 Millionen Euro finanzieren", so Kühn. Ein gemeinsames Projekt mit der Polizei sei aktuell in der Planung, mit dem man genau solche Familien erreichen will.

Auch in der Alten Feuerwache will man nicht tatenlos zusehen und diese Kinder ihrem Schicksal überlassen. "Die Frage war, was können wir tun, um langfristig auf diese Probleme zu reagieren", so Ihle. Die Antwort: eine erlebnisorientierte Betreuung, die das Selbstwertgefühl der Kinder stärkt. "Viele dieser Kinder sehen sich immer nur mit den Gedanken konfrontiert ,Ich kann nichts. Aus mir wird nichts'", gibt Heiß zu bedenken. "Und das schon mit zehn Jahren. Deren Gefühl ist, dass sie bereits in dem Alter nichts mehr zu verlieren haben. Das darf man so nicht zulassen."

Daher arbeitet das Team an der Gathe daran, eine fast lückenlose Begleitung anzubieten. "Von der Hebamme und dem Café Kinderwagen über die Achtsamkeitsgruppen bis zum Offenen Bereich reicht unser Angebot bereits", fasst Heiß zusammen.

Ab August soll der Kulturkindergarten an den Start gehen, der 2019 rund 100 Kinder aufnehmen soll. "Und daneben, direkt an der Nordbahntrasse entsteht bald ein Nutzgarten", sagt Ihle. "Alles zusammen soll dann dafür sorgen, dass Kinder von Anfang an die Erfahrung machen, dass es verlässliche Kontakte und Hilfe für sie gibt — und auch sie Zugang zur Bildung haben."

Dank Spenden der Winzig-Stiftung und von Illustrator Wolf Erlbruch (er spendete einen Großteil seines hoch dotierten Astrid-Lindgren-Preises) konnte die Alte Feuerwache ein 2.000 Quadratmeter großes Areal kaufen, auf dem bald Obst und Gemüse angepflanzt werden soll. Kinder der Feuerwache und deren Eltern sollen eingebunden werden. "Das ist Bildung mit allen Sinnen", so Heiß.

Umringt von Obstbäumen und Hügeln soll hier ein geschützter Raum entstehen, wo Kinder Natur erleben und zur Ruhe kommen können. Später soll auch dort gekocht werden, es soll eine Liegewiese geben und ein Gewächshaus. "Ein richtiges kleines Paradies soll dort entstehen, wo die Kinder auch mal übernachten können, wo es Lesungen geben kann und auch Musik gemacht wird", schwärmen die Pädagogen. Und ganz nebenbei lernen die Kinder so auch etwas über gesunde Ernährung. "Es soll ein Ort der Kreativität und der Ruhe werden. Und hoffentlich minimieren wir mit den Erfahrungen, die die Kinder dort machen, das Risiko, dass Biografien von Geburt an zum Scheitern verurteilt sind."

(nib)