Interview: Strafvollzug, Rückfallquoten und Resozialisierung Bringt eine Gefängnisstrafe überhaupt etwas?
Wupprtal · Immer wenn besonders schwere Straftaten in den Medien-Fokus gelangen, werden höhere Strafen gefordert. Dahinter steckt der unerschütterliche Glaube an die abschreckende Wirkung von Strafe — besonders durch eine (langjährige) Inhaftierung.
Aber: Führt eine höhere Strafandrohung zu weniger Kriminalität? Oder sind völlig andere Faktoren zu bedenken, die Kriminalität verhindern helfen?
Darüber hat die Evangelische Bergische Gefängnis-Gemeinde gestern bei einem Symposium auch mit Justizminister Peter Biesenbach diskutiert — unter dem provokanten Titel "Macht Gefängnis Sinn". Im Interview nehmen die Gefängnis-Seelsorger dazu Stellung.
Die Gefängnisgemeinde lud zum Symposium "Macht Gefängnis Sinn" ein. Wie kam es dazu?
Hollander: Die Gemeinde hat sich auf ihrer Mitgliederversammlung für das Thema entschieden. Wir möchten damit eine Diskussion über die gesellschaftliche Wirkung des Strafvollzugs und über die Zukunft des Gefängnissystems anstoßen. Es muss in der Öffentlichkeit diskutiert werden, wie wir mit Inhaftierten umgehen. Der Titel ist bewusst provokativ. Und zieht die Leute sofort ins Gespräch. Für uns als Seelsorger im Vollzug schwebt die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Gefängnisstrafe natürlich dauerhaft über unserer Arbeit. Die Arbeit als Seelsorger ist eine harte Herausforderung. Wir werden mit Taten konfrontiert, die uns nicht schlafen lassen. Und den Ehrenamtlichen, die in der JVA arbeiten, geht es genauso.
Schnitzius: Der Ruf nach längeren Strafen wird lauter. Teilweise ist da auch der Wunsch nach Rache. Für manche Menschen gehört es einfach zu den Zumutungen des Christentums, dass auch die "Bösen" eine unverlierbare Würde haben. Und der Staat den Anspruch hat, Täter nicht nur in Gefängnisse zu stecken, sondern sie auch als positiv veränderte Menschen zu entlassen.
Was ist denn Ihre Antwort als Seelsorger in der JVA? Macht Gefängnis Sinn?
Schnitzius: Meine Antwort lautet: Gefängnis ja — aber wie, wie lange und was kommt danach? Das sind die entscheidenden Fragen. Ich habe keine Alternative zur zeitweisen Ausgrenzung. Wichtig ist doch: Wie gestaltet man den Vollzug? Was kommt danach? Wie ist die Lücke zu füllen zwischen dem hohen gesetzlichen Anspruch und dem vollzuglichen Alltag? Wir glauben, für Gott gibt es keine hoffnungslosen Fälle. Und: Jeder ist mehr als das, was er tut oder getan hat. Die Zukunft ist offen. Daher müssen wir notwendigerweise unterscheiden zwischen Tat und Täter. Auch die Gesetzgebung rechnet damit, dass jemand mehr ist als seine Tat. Mit diesem Anspruch können wir als evangelische Menschen gut leben. Als Evangelische Kirche sind wir da im wahrsten Sinne praktizierende Lobbyisten. So wie niemand nur gut ist, ist niemand nur böse. Wer das Böse absolut setzt, verleugnet Gott. In den Augen der Welt war das allerdings offensichtlich schon immer "Torheit", wie Paulus schreibt.
Hollander: Der Auftrag des Strafvollzugs ist es, die Menschen zu einem straffreien Leben in eigener Verantwortung zu befähigen. Im Jugendvollzug sind die Rückfallquoten sehr hoch. Wir müssen uns daher ganz konkret fragen: Wie können Menschen das Leben in der Gesellschaft lernen, wenn sie zeitweise gar nicht in dieser Gesellschaft leben dürfen? Wie können sie beziehungsfähig werden, wenn für die Zeit des Vollzugs alle Beziehungen gekappt werden? Es ist klar, dass Straftaten Konsequenzen haben müssen. Wir müssen uns aber mit einer sinnvolleren Gestaltung des Vollzugs beschäftigen. So wissen wir beispielsweise aus Erfahrung, dass der Ausbau der technischen Kontrolle nicht sicherheitsfördernd ist, der Ausbau der sozialen Kontrolle aber schon.
Was kann denn beispielsweise dazu beitragen, den Vollzug sinnhafter zu machen?
Hollander: Das Thema ist sehr komplex. Das fängt mit der Ausbildung der Bediensteten in der JVA an. Es muss ein größerer Fokus auf deeskalierende Kommunikation gelegt werden. Da hat sich aber schon einiges getan an den Justizvollzugsschulen. Auch die baulichen Bedingungen sind wichtig. Die JVA Ronsdorf ist modern und vorbildlich ausgestattet. In anderen Häusern sieht das ganz anders aus. In Vohwinkel und Köln wird bei laufendem Betrieb umgebaut. Das bedeutet natürlich ganz erhebliche Einschränkungen für Inhaftierte und Bedienstete. Eine wichtige Frage ist auch: Welcher Geist herrscht im Haus? Wie können beispielsweise die Ehrenamtlichen rein, um sich um die Inhaftierten zu kümmern?
Schnitzius: Alles, was Beziehung zu anderen Menschen, sich selbst, Gott und — wenn möglich Opfern — ermöglicht. Das klingt so banal. Ist es aber nicht, in einem System, das auf Absonderung angelegt ist. Vorbereitung der Haftentlassung ist ein wichtiger Punkt. Aber das hat natürlich Konsequenzen: Mit anderen Worten: Wir können Täter nicht nur auf Zeit aus dem Spiel nehmen, sondern wir müssen und können dafür sorgen, dass sie in Zukunft wieder am Spiel teilnehmen können. Das kann und muss man üben.