Interview zur Gewalt beim Hamburger G20-Gipfel Bialas: "Dafür habe ich kein Verständnis"

Wuppertal / Düsseldorf · Im Rahmen einer Aktuellen Stunde im Düsseldorfer Landtag bezog der Wuppertaler SPD-Abgeordnete Andreas Bialas Position zu den gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg. Seine Rede sorgte bundesweit für viel Aufsehen.

Andreas Bialas sitzt seit 2010 für die Wuppertaler SPD im Düsseldorfer Landtag.

Foto: Jens Grossmann

Rundschau-Redakteur Stefan Seitz sprach mit Bialas.

Rundschau: Man wirft Ihnen vor, das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit preiszugeben.

Bialas: Wollen und müssen wir Menschen, die Molotow-Cocktails auf Polizisten werfen, mit Pyrotechnik gezielt auf sie schießen, Gehwegplatten und Steine auf Menschen werfen, zu einer Demonstration lassen? Mir geht es nicht um Vermummung oder Sitzblockaden, sondern um reine Gewaltexzesse, die nichts mit einer Demonstration zu tun haben. Ich spreche übrigens auch nicht von der autonomen Szene in Wuppertal, auf deren Rücken man jetzt auch versucht, das Thema zu diskutieren, sondern vom Rausch der Gewalttätigkeit.

Rundschau: Ist aber so etwas wie der G20-Gipfel nicht gerade ein Grund, protestierend auf die Straße zu gehen?

Bialas: Unbedingt! Dieser Gipfel war seitens der Politiker von Zynikern, Egomanen und Schlimmeren geprägt. Keines der Probleme Europas oder der Welt wurden wirklich angegangen. Nicht die Vermeidung von Kriegen, nicht eine gerechte Politik, die Flüchtlinge nicht zu 85 Prozent in arme Länder schickt, gar nichts. Für das, was bei diesem Gipfel herausgekommen ist, hätten die Regierungschefs auch skypen können. Eigentlich hätten fünf Millionen Demonstranten in Hamburg sein müssen. Aber von wichtigen und ernsthaften Protesten spricht niemand. Allen sind nur die Gewaltexzesse vor Augen.

Rundschau: Die ja auch zwei Tage lang alle Medien beherrschten ...

Bialas: Deswegen frage ich ja, wie und warum all diese Gewalttäter Hamburg erreichen konnten. Was haben die Grenz- und anderen Kontrollen bewirkt? Was machte der Bundesinnenminister, was die Länderminister?

Rundschau: Was hätte man Ihrer Meinung nach tun sollen beziehungsweise können?

Bialas: Die meisten der Hamburger Gewalttäter kamen scheinbar aus europäischen Ländern, viele wohl aus NRW. Die muss man nicht ins Land und/oder bis nach Hamburg lassen. Nochmals: Was war mit den Grenzkontrollen? Und zwar sowohl bei der Ein- als auch der Ausreise! Was ist mit der Personalienfeststellung und mit Meldeauflagen? Stadionverbote beispielsweise gibt es längst.

Rundschau: Sich ein Fußballspiel anzusehen ist aber auch kein Grundrecht. Die Demonstrationsfreiheit schon ...

Bialas: Natürlich! Was ich aber nicht begreife: Auf Uniformträger loszuschlagen, sie der Gefahr schwerer und schwerster Verletzungen auszusetzen und danach zu sagen, man habe ein Grundrecht wahrgenommen. Und morgen geht es einfach so weiter? Dafür habe ich kein Verständnis. Das geht nicht. Außerdem gibt es längst Verfahren, um Menschen zu verbieten, an Demonstrationen teilzunehmen. Diese Verfahren müssen neu diskutiert und justiert werden. Die Frage ist: Wie schaffen wir es, dass Gewalttäter den Demo-Ort nicht erreichen?

Rundschau: Wie haben Sie die Reaktionen auf Ihre Rede erlebt?

Bialas: Im persönlichen Gespräch gab es viel Zuspruch. Die Beiträge in den sozialen Medien waren weit über die Hälfte negativ-kritisch, aber durchaus bereit zur Debatte. Und das ist ja auch mein Ziel: Wir müssen miteinander über das Thema diskutieren.

Rundschau: Man hat Sie auch in die AfD-Ecke gestellt.

Bialas: Ich war polemisch — ja. Populistisch auf keinen Fall. Mit Rassisten, Sexisten und Demokratieverächtern habe ich keine Schnittmenge.

Rundschau: Sie sind selbst Polizist. Wie viel hat Ihre Wortwahl damit zu tun?

Bialas: Ja, ich bin Polizist, meine Frau ist Polizistin, Freunde sind Polizisten, wir kennen deren Familien und deren Kinder. Davon kann ich mich nicht freisprechen. Dazu stehe ich auch.

Rundschau: Was lernt man aus Hamburg?

Bialas: Wenn Politiker die wirklichen Probleme nicht angehen, braucht es keine solchen Gipfel-Inszenierungen mit derartigen Mammutsicherheitsaktionen. Man lernt auch, dass wieder neue Massenbewegungen gefragt sind, die Ego-Politikern wie Trump & Co. sagen: Euren Scheiß machen wir nicht mehr mit! Das geht aber nicht mit Molotow-Cocktails, Feuerwerkskörpern, Steinen und Betonplatten. Also: Wie gelingt es, die Wirkungsmacht gerechtfertigter Proteste in die große Öffentlichkeit zu bekommen? Und wie gelingt es, dass bloße Gewalttäter gar nicht bis zu dem Ort einer so wichtigen Kundgebung kommen?

Rundschau: Würden Sie die Rede wieder so halten?

Bialas: Wenn wir damit eine gute Diskussion bekommen — ja.