Bergische Uni Einen flexiblen Stromtarif nachhaltig nutzen

Wuppertal · Am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik der Bergischen Universität ist der Oberingenieur Dr. Kevin Kotthaus mit der Forschungsgruppe Energiemärkte und Flexibilitätsmanagement federführend an der Entwicklung eines dynamischen Stromtarifs beteiligt.

Verbraucherinnen und Verbraucher würden sich einen dynamischen Stromtarif wünschen.

Foto: UniService Transfer

Wie setzt sich der Strom der Zukunft zusammen? Beziehen wir weiterhin fossile Energie durch Kohle, Gas und Erdöl oder nutzen wir erneuerbare Energien durch Windkraftanlagen oder Photovoltaik? Der Stromdschungel ist für viele Verbraucher kaum durchschaubar, die Preisschwankungen kann der Laie selten erklären und doch ist das Wissen darum für eine nachhaltige Nutzung entscheidend. Kevin Kotthaus, Oberingenieur am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik der Bergischen Universität arbeitet an der Entwicklung eines dynamischen Stromtarifs, den die Nutzer jederzeit nachvollziehen können sollen, um ihren Verbrauch dementsprechend nachhaltig abzurufen.

Der lange Weg zum flexiblen Stromtarif

„Autoflex“ ist die Kurzumschreibung eines Projektes am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik, dass sich mit der automatisierten und standardisierten Einbindung von Flexibilitätsoptionen privater und gewerblicher Verbraucher beschäftigt. „Es geht darum, einen dynamischen Stromtarif zu entwickeln“, erklärt Kotthaus, „der so funktioniert, dass die Strompreisschwankungen, die man am Großhandelsmarkt sieht, auch beim Endkunden ankommen und dieser dann praktisch darauf reagieren kann.“

Wenn der Strompreis also niedrig sei, habe der Energieverbrauch in diesem Zeitfenster natürlich einen wirtschaftlichen Vorteil. Die größte Herausforderung dabei sei es, ein gut funktionierendes System zu entwickeln, dass die technischen Voraussetzungen bietet, die es den Verbrauchern ermöglicht, die Strompreisschwankungen jederzeit nachzuvollziehen. Kotthaus spricht dabei von einer Standardisierung der Systeme. So könnten beispielsweise sogenannte Smart-Home-Systeme zukünftig zum Einsatz kommen.

Über diese können Haus- oder Wohnungsbesitzer ihren Stromverbrauch jederzeit regulieren, wenn zugehörige steuerbare Prozesse untereinander kompatibel wären. „Man muss also einen gewissen technischen Standard entwickeln, die Schnittstellen angleichen, so dass auch für den Endverbraucher das Ganze hürdenfrei umsetzbar ist.“

Dr.-Ing. Kevin Kotthaus ist Oberingenieur am Lehrstuhl für elektrische Energieversorgungstechnik in der Fakultät für Elektrotechnik, Informationstechnik und Medientechnik der Bergischen Universität.

Foto: Berenika Oblonczyk

Ein dynamischer Stromtarif

Autofahrer kennen seit Jahren die gefühlt stündlichen Preisänderungen an den Tankstellen. In ähnlicher Weise verhält es sich auch bei den dynamischen Stromtarifen, die an die Verbraucher weitergegeben werden. Die Anforderung einer Standardisierung liege dabei in der bestmöglichen Aktualität und Transparenz des Systems. „Wenn sie einen klassischen Tarif haben“ sagt Kotthaus, „dann steht erst einmal fest, die Kilowattstunde als Arbeitspreis kostet Summe X. Beim dynamischen Stromtarif sind wir aktueller unterwegs. Da ist es so, der Preis kann sich praktisch von heute auf morgen verändern.“

Damit der Kunde das aber verstehe, also Preissteigerungen und -senkungen nachvollziehen könne, müsse das System eben auch transparent gestaltet sein. „Die aktuelle Darstellung der einzelnen Komponenten eines Strompreises wird dem Endkunden häufig nur sehr intransparent übermittelt und macht das Ganze ein bisschen kundenunfreundlich“, erklärt der Wissenschaftler die Situation. „Ein flexibler Stromtarif hingegen muss dem Nutzer zwingend erklären können, wann er wie welche Bestandteile dieser Stromkosten auch bezahlen muss.“

Kritische Netzsituationen vermeiden – Strom effektiv nutzen

Kritische Netzsituationen verbindet der Laie gerne mit Katastrophenszenarien wie einem Blackout. Doch auch regional oder lokal kann es vor der eigenen Haustüre passieren, dass das Niederspannungsnetz durch Überlastung die richtige Spannung nicht halten kann. Kotthaus nennt ein Beispiel: „Die thermische Überlastung von Betriebsmittelgrenzen: Zehn Einfamilienhäuser haben auf einmal zehn Ladesäulen, alle mit 22 kW, was eine relativ hohe Leistung für das Niederspannungsnetz ist. Und alle schalten gleichzeitig an. Das Kabel in der Straße kann dann diese Summe zeitgleich einfach thermisch nicht vertragen. Im schlechtesten Fall schmort praktisch das Kabel durch und es kommt zu Ausfällen.“

An dieser Stelle sei mit einem dynamischen System dann auch die Flexibilität des Kunden gefragt, der in solchen Fällen seinen Energieverbrauch auch netzdienlich anpassen könnte. Kotthaus untersucht in seinem Projekt mit leistungsintensiven Stromprozessen wie Kühlanwendungen oder Wärmeanwendungen im Kleingewerbe oder stationären Energiespeichern in Privathaushalten nach flexiblen Verbrauchermöglichkeiten, um den vorhandenen Strom effektiv zu nutzen.

Erneuerbare Energien besser integrieren

„Die aktuelle Situation in Deutschland ist so, dass wir zeitweise schon mit 100 Prozent erneuerbarem Strom unsere Lasten decken können“, sagt Kotthaus. Die Frage, die sich daraus ergibt ist aber: Wie regional verfügbar sind denn die erneuerbaren Energien? Das sei nicht pauschal überall gleich, sondern regional und lokal davon abhängig, wie viele Erzeugungsanlagen erneuerbarer Energien man im Netz habe. „Das Projekt trägt dazu bei, diese Anlagen besser zu integrieren, das Verbrauchsverhalten dynamisch daran anzupassen, um dann vornehmlich den Strom zu nutzen, wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht.“

Verbrauchererziehung

Eine wichtige Voraussetzung zur Nutzung eines flexiblen Stromtarifs sei vor allem die Kundenakzeptanz. Daher wurde im Zuge des Projektes bereits eine Umfrage durchgeführt, um die Kundenwünsche festzuhalten und gegebenenfalls zu integrieren. „Ein flexibler Stromkunde muss irgendwie angereizt werden, sich auch flexibel zu verhalten“, erklärt der Fachmann und da spiele die finanzielle Entlastung eine wesentliche Rolle. Viele Antworten bezögen sich auch auf eine Minderung des eigenen CO₂-Abdrucks im Zuge der Energiewende, so dass jede Umfrage auch immer eine Art Verbraucheraufklärung und -erziehung bedeute, die langfristig eine Akzeptanz generiere.

Tatsache ist, „es muss alles einfacher werden“, fährt Kotthaus fort. Am Beispiel der Photovoltaikanlagen auf dem eigenen Hausdach könne der Nutzer gut nachvollziehen, wie ein optimaler Stromverbrauch umzusetzen sei. „Ich verbrauche am besten die eigenerzeugte Energie durch die Photovoltaikanlage auf dem Dach erst einmal selber, denn da ist sie am meisten wert für mich. Alles, was man selber verbrauchen kann, sollte man verbrauchen, angepasst auf die Erzeugung dieser Anlagen, vielleicht sogar über ein Smart-Home System gesteuert.“ Grundsätzlich müsse sich das Nutzerverhalten dahingehend verändern, dass man seinen Verbrauch in die Erzeugungsspitzenzeiten verlagere, also die Zeiten, wo wirklich viel erneuerbarer Strom da ist, um das Gesamtsystem zu stabilisieren.“

Wuppertaler Energiewetteruhr

Ein neues Wuppertaler Nutzertool, welches dem Verbraucher kontinuierlich anzeigt, wann ein hoher Anteil erneuerbarer Energien vorhanden ist, haben die Wuppertaler Stadtwerke parallel zum Projekt „Autoflex“ herausgebracht. Die Energiewetteruhr. „Das ist eine Uhr, die aufzeigt zu welcher Stunde und zu welcher Zeit ein möglichst hoher Anteil erneuerbarer Energie im aktuellen regionalen oder lokalen Netz vorhanden ist“, erklärt Kotthaus. „Man sieht alles, vom roten bis zum grünen Lämpchen. Das grüne Lämpchen um zwei Uhr bedeutet zum Beispiel, jetzt ist genug erneuerbarer Strom vorhanden, den man nutzen kann. Diese Uhr kann man mit Anbindung ans Internet auf den Küchenschrank stellen, um so die günstigste Zeit des Stromverbrauchs abzulesen.“

Mehr Energie in Zukunft benötigt

„Wir werden sicher zukünftig mehr elektrische Energie verbrauchen. Viele Prozesse, gerade auch Wärmeprozesse, die jetzt noch auf fossilen Verbrennungen beruhen, sollen elektrifiziert werden“, prophezeit Kotthaus. Auf dem Weg in die Nachhaltigkeit ist der grüne Strom unverzichtbar. „Der zukünftige Mehrwert wird der sein, dass sich das Verbrauchsverhalten an den Zeiten orientiert, wo wirklich viel grüner Strom im Netz ist, der sonst auch gegebenenfalls verloren ginge.“

Man müsse die Erzeugungsspitzen ausnutzen, denn wenn der Verbrauch in diesen Zeiten zu gering sei, erklärt der Ingenieur, werde der Verbrauch gekappt, was bedeute, Windräder stünden still und Photovoltaikanlagen würden abgeregelt, da das Netz die Energie nicht aufnehmen könne. „Wenn viel erneuerbarer Strom da ist, ist auch der Großhandelspreis niedrig. Dieses Verständnis muss sich bei den Kunden verfestigen. Dann wird auch schnell klar, dass die eigentlichen Kosten für den Kunden geringer werden.“

Um das bestehende System umzubauen, stoße man immer wieder an die Grenzen des Machbaren, resümiert Kotthaus, fehlende Fachkräfte in der Wärmewende sowie Materialengpässe seien wesentliche Probleme, doch die Akzeptanz in der Bevölkerung steige enorm. „Die Erfahrungen, die gemacht werden, sind durchweg positiv.“