Bergische Transfergeschichten Hexen im Wandel der Zeit
Wuppertal · 1486 veröffentlichte der Dominikanermönch Heinrich Kramer das Buch „Malleus maleficarum“, besser bekannt unter dem Titel „Hexenhammer“, das bis zum Ende des 17. Jahrhunderts in einer Auflage von 30.000 Stück erschien.
Er förderte damit die Hexenverfolgung, bei der in Europa nach heutigen Schätzungen bis zu 60.000 Menschen, vorwiegend Frauen, den Tod durch Folter und Scheiterhaufen fanden. Über das Buch und seine Inhalte, was die Hexenverfolgung mit dem Klima zu tun hatte und über die Entwicklung des Hexenbildes in der Literatur spricht Germanistin Prof. Dr. Anne-Rose Meyer von der Bergischen Universität Wuppertal in den Bergischen Transfergeschichten.
Zwischen 1550 und 1650 kann man den Höhepunkt der Hexenverfolgung in Europa ausmachen. In dieser Zeit wurden tausende Frauen brutal ermordet, weil sie sich nicht gegen Beschuldigungen wehren konnten. Die Gründe für diese barbarischen Handlungen lassen sich nach Einschätzung von Meyer nicht so einfach erklären.
„Überraschenderweise hat aber wohl das Wetter, genauer: die ,Kleine Eiszeit‘, damit zu tun“, beginnt sie. „Zwischen dem frühen 14. und dem späten 19. Jahrhundert wurde es an vielen Orten auf der Welt, so auch in Mitteleuropa, ziemlich ungemütlich, vor allem in der Kernphase dieser Kälteperiode zwischen 1560 und 1630. Die Sommer waren kühl und feucht, die Winter hart und lang. Häufig gab es starke Stürme. Man kann sich vorstellen, was das für die damals noch nicht industrialisierte Landwirtschaft bedeutete: bestenfalls geringe Erträge, aber oft auch Ausfälle ganzer Ernten. Dies führte zu enormen Teuerungen, zu Hunger und der wiederum in der geschwächten Bevölkerung zur Ausbreitung von Seuchen.“
Die Menschen suchten nach Schuldigen und viele Betroffene nahmen an, Opfer von Hexerei geworden zu sein. So hätten Hexen das Wetter beeinflusst und gezielt durch Unwetter, Regen und Frost die Ernten vernichtet. „Krisenerfahrungen und der Glaube an Hexerei stehen wohl in unmittelbarem Zusammenhang“, sagt Meyer. „Sicher ist, dass die schwierigen, unsicheren Lebensbedingungen wie Desolidarisierung, Verrohung und Gewalt die Verfolgungen stark begünstigten.“
Dämonisierung von Menschen
Auf die Frage, ob mit der „Hexenjagd“ das Böse schlechthin bekämpft werden sollte, antwortet Meyer: „‚Das Böse schlechthin gibt es nicht. Als böse kann etwas nur innerhalb eines bestimmten kulturell und historisch wandelbaren Bezugssystems bewertet werden. Das kann vieles sein: etwas, das mich in unangenehmer Weise betrifft, wie Leid, Krankheit, Tod, ein Unheil, Krieg. Das Böse kann aber auch etwas sein, das ich durch mein Handeln selbst verantworte, etwa, weil ich willentlich und wissentlich gegen Regeln einer bestimmten Moral verstoßen habe, weil ich ungerecht bin, jemand anderem bewusst schade usw. Unerklärliche Phänomene werden von alters her durch das Wirken guter oder böser Geister erklärt. Unter anderem daraus entwickelten sich bekanntlich Religionen. Im Fall der Hexenjagd können wir sagen, dass die Dämonisierung von Menschen als Hexen eine Form war, schwierige Lebensumstände zu bewältigen und Schuldige dafür zu finden.“
Innerhalb eines christlich orientierten Weltbildes liege darin sogar eine gewisse Logik, denn es würden Zusammenhänge geschaffen, Kausalketten gebildet, und es sei keinesfalls der „liebe Gott“ für Hunger, Not, Krankheit und Tod verantwortlich.
1486 erschien ein Buch, dass zigtausenden Menschen den Tod brachte: der „Hexenhammer“. „In seinem ,Malleus maleficarum‘ – so der lateinische Originaltitel – legitimierte Kramer die Hexenverfolgung und förderte diese dadurch“, erklärt Meyer und fährt fort: „Das Buch lieferte die Definition, was eine Hexe sei. Zunächst einmal eine Frau. Das Hexenwesen sei weiblich. Von männlichen Zauberern ist nur am Rande die Rede. In dem Buch dominiert ein misogyner (frauenfeindlicher) Diskurs: Frauen seien sexuell unersättlich und für alle Formen von ‚schwarzer Magie‘ deutlich anfälliger als Männer. Deswegen stünden sie nicht selten mit Dämonen im Bunde. Von Geburt an defizitär, seien Frauen im Glauben weniger fest und darauf aus, sich Männer zu Willen zu machen, notfalls mit Hilfe des Teufels. Während Männern die Welt der Wissenschaft offenstünde, müssten Frauen sich mit Magie behelfen und richteten Schaden an. Kramer definiert die magischen Praktiken von Hexen, die meist mit Sexualität zu tun hätten, und erläutert und beschreibt das Vorgehen bei Hexenprozessen.“
Hexen in der Literatur
Auch die Literatur hat sich weltweit dem Phänomen der Hexen angenommen. Meyer bot dazu bereits ein Seminar unter dem Titel „Das Böse ist weiblich“ an, untersuchte Texte von Goethe bis Updike und sagt: „Schriftstellerinnen und Schriftsteller waren und sind von Hexen fasziniert. Wir finden sie in unterschiedlicher Gestalt rund um den Globus: in der russischen ebenso wie in der französischen, in der anglophonen wie in asiatischen und afrikanischen Literaturen und an vielen anderen Orten.“
In der deutschsprachigen Literatur kenne man etwa die verführerische, unheilbringende Frau, eine Spielart der femme fatale, die mit Hilfe von Magie Männer manipuliere. Ludwig Tieck beschreibe einen solchen Typus 1808 in seiner blutig endenden Novelle Liebeszauber. „Dann gibt es die dämonische, hässliche, angsteinflößende Alte, wie sie Jacob und Wilhelm Grimm in Hänsel und Gretel unsterblich gemacht haben. Leider“, bedauert Meyer, „muss man sagen, denn sie haben dadurch ein sehr stabiles, diskriminierendes Frauenbild implementiert. Das ist auch noch in der Literatur späterer Jahrhunderte präsent, nicht nur in der deutschen, wie z. B. bei Roald Dahl in The Witches (deutsch: Hexen hexen, 1983) und in Märchen anderer Sprachen.“
Goethe wiederum beschreibe in Faust I Hexen als durchaus vitale, sinnenfreudige Teufelsbegleiterinnen, deren Sphäre von der der meisten Menschen deutlich getrennt sei, während Theodor Fontane 1880 sie in seiner berühmten Ballade Die Brücke am Tay als zerstörerische Kräfte darstelle. Sie verdürben und töteten freudig Menschen und würden zur Allegorie unbezwingbarer Schicksalsmächte.
Auch im Bergischen Land gibt es Spuren von Hexen. In Solingen gab es einen Hexentanzplatz, die Hexe von Eulswag soll den Schleifern im Kirschberger Kotten das Öl ausgetrunken haben und bezahlte mit ihrem Leben und der Hexenbrunnen in Odenthal erinnert an die dort verbrannten Hexen. Sie werden quasi Sündenböcke für alles, was der Mensch nicht erklären konnte.
„Frauen bzw. Mädchen waren und sind vielerorts noch immer die vulnerabelste gesellschaftliche Gruppe“, erklärt Meyer. „In unserer Kultur waren vor allem ältere Frauen, die nicht unter männlicher Schutzherrschaft standen, wie etwa Witwen oder auch jüngere alleinstehende Frauen über Jahrhunderte vielerorts quasi Freiwild. Es ist also kein Wunder, dass bei der Suche nach einem Schuldigen für diverse Missstände die Wahl vornehmlich auf Frauen fiel. Zumal diese durch das unselige Wirken der Kirchen sowieso kein gutes Image hatten.“
Im 20. Jahrhundert hat sich der Hexenbegriff gewandelt. Es geht nicht mehr um das verfolgte Opfer, sondern um erstarkte Frauen, die ihre Rechte einfordern. Während der Frauenbewegung in den 1960er und 1970er Jahren schlüpften Frauen in Frankreich und Italien z. B. in die Rolle der Hexen. In den USA formierte sich im Januar 1968 der „Witch Block“ gegen die Wahl von US-Präsident Richard Nixon. Ihnen wurden Mut, Aggressivität, Intelligenz, Unabhängigkeit und sexuelle Freiheit attestiert.
„Hexen waren und sind ein Faszinosum, mit deren angeblich realer Existenz auch in der Populärkultur immer noch gespielt wird“. Wir finden Hexen heute für jede Altersgruppe in unterschiedlichen Bereichen. „Sie können gut und niedlich sein und machen sich gut als Hauptfiguren in Kinderliteratur. Serien wie Charmed und vergleichbare Buchpublikationen sprechen mit psychologisch komplexen, mit magischen Fähigkeiten ausgestatteten und mächtigen weiblichen Figuren Jugendliche an. Ein literarisches Beispiel für eine gute Hexe ist Hermine Granger aus den Harry Potter-Romanen. Hexen treten aber immer noch als nur schwer zu besiegende Gruselgestalten auf, etwa in TV-Serien wie Grimm oder The Witch Hunter oder in Romanen wie Wolfgang Hohlbeins Die Moorhexe.“
Sie förderten zudem den Fremdenverkehr, was man gut im Harz beobachten könne, wo die Walpurgisnacht nach wie vor ein großes Event sei. „In Süddeutschland werden zur Fasnacht traditionell Hexenmasken getragen. Auch deswegen werden Sagen und Märchen, in denen Hexen auftreten, heute noch gedruckt und gelesen.“
Neue Bedeutungen vor real-historischem Hintergrund
„Die moderne Hexe gibt es nicht“, sagt Meyer, denn Hexen seien Fantasmen und Mythen, die keine reale Entsprechung hätten. „Sie tragen immer die Last von Jahrhunderte alten Zuschreibungen mit sich, ihnen werden aber immer auch neue Bedeutungen verliehen. Diese Veränderungen sind es, die mich als Literatur- und Kulturwissenschaftlerin interessieren. Dabei ist es wichtig, nicht den real-historischen Hintergrund zu vergessen: Zehntausende Frauen wurden in ganz Europa vom Mittelalter bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert Opfer der Inquisition und anderer Formen der Hexenverfolgung. Sie waren schutz- und machtlos, wurden brutal gefoltert, um ihren Besitz gebracht und häufig auch ermordet. Rebellinnen waren diese Frauen ganz sicher nicht.“