Ein Gespräch mit Zoo-Biologe Andreas Haeser-Kalthoff Aggressive Affen und entgleiste Debatten
Wuppertal · Im Wuppertaler Zoo geben sich derzeit die Journalisten die Klinke in die Hand. Denn ein Bonobo wird von seiner Gruppe attackiert. Und der Zoo von vermeintlichen Tierschützern. Versuch einer Aufarbeitung.
Treffpunkt Zoo-Eingang, Ziel Menschenaffenhaus. Ich treffe Andreas Haeser-Kalthoff, Diplom-Biologe und Pressesprecher des Zoos, am Montagmorgen. Natürlich geht es um Bili, wieder einmal. Der von seiner Gruppe schikanierte Bonobo war erst am Sonntagabend in den Abendnachrichten bei RTL, gleich kommt das nächste Kamerateam. Der Zoo erlebt außergewöhnliche Tage. Die Aggressionen der Gruppe gegen den Zwergschimpansen-Mann bezeichnen die Experten selbst als völlig normal. Wir sprechen über die Bonobos, die Diskrepanz zwischen ihrem arttypischen Verhalten und der Erwartung der Besucher, über einen Tierpark mit fragwürdigen Haltungs-Methoden in England und über das Pflegerteam — zwischen Demonstranten, Hassmails und ihrer täglichen Arbeit mit den Tieren.
Wie geht es Bili?
Bili fehlt mittlerweile ein Stück Zeh und ein Stück Ohr. Vergangenen Mittwoch kam es wieder zu einer heftigen Attacke. Besonders die beiden Zwillinge und ihre Mutter reagieren immer noch aggressiv auf den Neuen in der Gruppe. Um Bili zu Akzeptanz zu verhelfen, wird er in verschiedenen Konstellationen mit anderen Affen isoliert. Gerade mit dem gruppenältesten Bonobo Nato klappt das so gut, dass es zur Kopulation zwischen den beiden Männchen kommt, was übrigens so arttypisch wie die Aggressionen ist. Die devote Körperhaltung, die die Tierschützer als traumatisiert und verstört deuten, ist laut Haeser-Kalthoff das typische Verhalten rangniedriger Tiere.
Müsste Bili auch in der Natur die Aggressionen aushalten?
Ja, sagt der Biologe. Auch in freier Wildbahn mit weitreichender Fluchtmöglichkeit würde Bili seine Gruppe nicht verlassen. Er würde Abstand suchen, das versucht das Pflegeteam ihm durch die Auszeiten zu ermöglichen. Dann würde er wiederkommen und die Prügel aushalten. Denn Bonobos ohne Gruppe sterben.
Was passiert, wenn die Integration nicht gelingt?
Die Gruppe wird rund um die Uhr per Video überwacht, die Aufnahmen werden ausgewertet und mit Experten aus ganz Europa besprochen. Durch die vielen positiven Momente hofft der Zoo weiter, dass Bili sich in die Gruppe eingliedert. Der Wuppertaler Zoo ist mit allen anderen zehn Zoos, die in Europa Bonobos halten, in Kontakt. Findet Bili keine Akzeptanz, würde das Tier abgegeben. Allerdings: Eine langwierige Integration erwartet Bili überall. Der Zoo würde Bili in keinem Fall einschläfern, wie es Gerüchte im Netz behaupten. Genauso lehnt der Zoo eine Einzelhaltung ab.
Ein englischer Park möchte Bili retten. Warum gibt der Zoo Bili nicht an die so genannte Auffangstation in Wales ab?
Die Demonstranten fordern, Bili in einen englischen Park abzugeben, der ihn tatsächlich auch nehmen würde. Die Wuppertaler Zooverwaltung lehnt das ab. Der englische Park, der sich selbst als Auffangstation und nicht als Zoo versteht, sein Geld aber durch Eintritt generiert, habe keinerlei Erfahrung mit der Haltung von Bonobos. Bili würde alleine gehalten, eine Einzelhaltung ist laut europäischem Säugetiergutachten strikt abzulehnen. Im Internet veröffentlicht der Park Bilder, auf denen die Besucher Affen füttern. Affen-Fans können sich als Pfleger einbuchen und mit den Tieren schmusen. 125 Pfund kostet der Tag mit den Affen, das Geld kann via Paypal direkt überwiesen werden.
Wie erlebt der Zoo die Tierschützer?
Der Zoo ist laut Andreas Haeser-Kalthoff für kritische Debatten stets offen. Er erlebe aber in diesen Tagen eine starke Entfremdung der Menschen mit der Natur. Gerade bei Menschenaffen sei das Bild über ihr Wesen zu rosig. Eine Zoomitarbeiterin erzählt, dass Prügeleien unter den Löwen von den Besuchern oft als spannend empfunden werden, von Menschenaffen erwarte man dagegen ein sehr "schmusiges" Verhalten. Dass gerade Bonobo-Weibchen die Männer drangsalieren, wollen einige Besucher nicht als natürlich wahrhaben, obwohl die Verhaltensforschung das empirisch belegt. In Mails fordern Menschen die Zoo-Mitarbeiter auf, Bili einmal in den Arm zu nehmen und zu trösten.
Wie erleben die Mitarbeiter die Anfeindungen im Netz?
Es geht an die Nieren, sagt Andreas Haeser-Kalthoff. Nicht die Debatte, sondern der Hass, der dem Zoo-Team per Mail und Social Media entgegenschlägt. Verbale Entgleisungen, Aufforderung zu Gewalt, Morddrohungen. Die Polizei ermittelt. Mitarbeiter erzählen im Rundschau-Gespräch, sie haben Angst um ihre Kinder und Angehörige. "Das Netz scheint die Menschen total zu enthemmen", sagt Andreas Haeser-Kalthoff. "Und das ist das, was mich in diesen Tagen am meisten erschreckt."