Erinnerung an die Verfolgung von Sinti und Roma in Wuppertal 103 Kinder verschleppt

Wuppertal · 2018 ist für Wuppertal ein Jahr bedeutender Erinnerungen. Vor 80 Jahren brannten in der Reichspogromnacht 1938 die Synagogen in Barmen und Elberfeld. Vor 75 Jahren wurden Ronsdorf, Barmen und Elberfeld durch alliierte Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und tausende Menschen starben.

Sinti und Roma hat man früher einfach nur „Zigeuner“ genannt. Auch sie erlitten während der Nazi-Zeit ein grausames Schicksal.

Foto: Bundesarchiv Berlin

Ebenfalls 1943 wurden Sinti und Roma ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert und verloren ihr Leben.

Die Geschichte der Sinti und Roma in Wuppertal ist kaum erforscht. "Diese Minderheit hat nur wenige schriftliche Spuren hinterlassen", so Stephan Stracke vom "Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal". Ein von der Stadtverwaltung geduldetes "Zigeunerlager Werbsiepen" befand sich in einem alten Steinbruch im Blombachtal. Dort waren ab 15. März 1939 die Familien Hoffmann und Reinhardt aus Remscheid mit elf Personen polizeilich gemeldet.

Am 9. Juni 1939 schrieb die Barmer Zeitung über eine Polizeirazzia: "Am Sonntag, 4. Juni, erschien die Kriminal- und Schutzpolizei. Das Unternehmen galt der kriminalpolizeilichen Überprüfung der Zigeuner, deren Anwesenheit bereits mehrfach zu Klagen und Strafanzeigen Anlass gegeben hatte. Sämtliche Wohnwagen, Zelte und die sonstigen, meist äußerst dürftigen Lagerstätten wurden planmäßig geräumt und nach Gegenständen, die aus strafbaren Handlungen herrühren könnten, durchsucht. Drei Zigeuner und zwei Zigeunerinnen nahm die Polizei in Haft."

Die meisten Sinti und Roma wurden ab Dezember 1940 in eine Notsiedlung am Klingholzberg umquartiert. Ein weiteres "Zigeunerlager" gab es möglicherweise am Nöllenhammer 8 in Küllenhahn. Am 27. April 1940 ordnete Heinrich Himmler, der am 17. Oktober 1939 im "Festschreibungserlass” verfügt hatte, dass Sinti und Roma ihren Wohn- oder Aufenthaltsort nicht mehr verlassen durften, die Deportation ganzer Familien an: Im Mai 1940 fuhren die ersten Deportationszüge mit 2.800 deutschen Sinti und Roma.

In der Folge des sogenannten "Auschwitz-Erlasses für Zigeuner" vom 16. Dezember 1942, mit dem Himmler die systematische Verhaftung und Deportation der rund 10.000 noch im Reich verbliebenen Sinti und Roma in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau anordnete, wurden im Frühjahr 1943 von der Kripo auch in Wuppertal Verhaftungen eingeleitet.

Ein Transport am 3. März 1943 umfasste 202 Sinti und Roma aus Wuppertal, Solingen und Remscheid. Unter ihnen befanden sich 103 Kinder im Alter bis 15 Jahren. Die Menschen wurden morgens aus der Notsiedlung Klingholzberg und aus ihren Wohnungen heraus verhaftet und ins Wuppertaler Polizeigefängnis gebracht.

Nach Auskunft von Wilhelm Franz wurde seine achtköpfige Familie nach einer Vernehmung am Güterbahnhof in Unterbarmen verladen und per Zug ins "Arbeitslager" (in Wirklichkeit: Vernichtungslager) nach Auschwitz-Birkenau, wo mindestens 59 Sinti und Roma starben, abtransportiert.
20.000 von ihnen starben in Auschwitz. Etwa 13.600 von ihnen starben an den entsetzlichen Lebensbedingungen, an Krankheiten und Quälereien. Insgesamt 5.600 wurden in den Gaskammern ermordet. Im August 1944 wurde das "Zigeunerlager" aufgelöst, arbeitsfähige Häftlinge kamen zur Zwangsarbeit in andere Lager. Die Übriggebliebenen wurden in der Nacht zum 3. August 1944 vergast.

Erst nach 1950 forderten die Überlebenden eine Wiedergutmachung. Katharina Franz, die vom Klingholzberg mit der gesamten Familie nach Auschwitz, wo drei Kinder und ihr Mann starben, deportiert wurde, kam mit zweien ihrer Kinder in Bergen-Belsen frei. Im Wiedergutmachungsverfahren musste insbesondere der Ablauf der Verfolgung rekonstruiert und die Schäden an Leib und Leben nachgewiesen werden.

Spenden für die Arbeit des "Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal" sind für eine bis 19. März 2018 laufende Verdoppelungsaktion der Bethe-Stiftung willkommen: "Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.", IBAN: DE31 3305 0000 0000 9718 53, Stadtsparkasse Wuppertal, Stichwort: Erinnerungsarbeit.

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Lieselotte Bhatia/Stephan Stracke: "Vergessene Opfer. Die NS-Vergangenheit der Wuppertaler Kriminalpolizei", Bremen/Wuppertal 2018 (= Bildungsmaterial zur Wuppertaler Polizei- und Widerstandsgeschichte, Band 2), (= "Verfolgung und Widerstand in Wuppertal", Band 15), Erscheinungsdatum: März 2018.

Außerdem gibt es einen kurzen Text in der Broschüre "Vergessene Orte": http://soli-komitee-wuppertal. mobi/wp-content/uploads/2014/12/vergessene_orte_trassentour.pdf