Rundschau-Thema "Mehr Wuppertal wagen!" Investition in die Zukunft

Wuppertal · Das Bild des geschlossenes Schauspielhauses bestimmte vor Jahren bundesweit das Image Wuppertals. Es war Symbol für die sterbende Stadt. Das wandelt sich nun. Mit dem Bau des Tanzzentrums entsteht jetzt nach Jahren der Stagnation Neues.

„Traurig, traurig“: 2013 wurde das Schauspielhaus nach fast 50 Jahren Theatertradition geschlossen und verfällt seither zusehends. Mit der Verwirklichung eines Internationalen Tanzzentrums wollen Hans-Uwe Flunkert, Andreas Bialas und Johannes Slawig (von li.) Wuppertal wieder zur Bühne für Modernes Tanztheater machen. Trau dich statt traurig.

Foto: Bettina Osswald

Ein Traum vom Aufbruch und ein Kampf um ein Stück Identität Wuppertals.

Die Geschichte des Internationalen Tanzzentrums beginnt im Speisewagen eines ICE. Dort begegnen sich Wuppertals Stadtdirektor Johannes Slawig (CDU) und der Wuppertaler SPD-Politiker Dietmar Bell. Zufällig. Ihr Gespräch führt sie zum Thema Schauspielhaus sowie zum Tanztheater Pina Bausch. Wie kann man den Graubner-Bau erhalten, in dem das Schauspiel residierte und Pina Bausch so viele umjubelte Aufführungen feierte? Wie kann man dem Wuppertaler Tanztheater eine dauerhafte Heimat geben? Und wie lassen sich diese beiden Dinge zusammen denken? Die beiden spinnen herum, kauen Ideen durch, überlegen, mit wem man reden muss, um etwas bewegen zu können. Und irgendwo zwischen Kaffee und Kuchen, zwischen Berlin und Wuppertal, ist sie da, die Idee eines Internationalen Pina-Bausch-Tanzzentrums. Als Slawig und Bell den Zug verlassen, ist klar: Sie haben ein erstes Packende gefunden — jetzt müssen sie daran ziehen.

Das war 2010. Und gezogen haben sie seither mit aller Kraft. Erfolgreich. Denn aus dieser vagen Idee ist ein konkretes Konzept geworden. Eines, das der Bund gerade erst zugesagt hat, mit 28,2 Millionen Euro fördern zu wollen. Land und Stadt zahlen für den Bau jeweils rund 14,5 Millionen Euro. Für die Beteiligten ein Wunder. "Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass wir Zusagen über solche Summen bekommen", findet Johannes Slawig, "hätte ich das nie für möglich gehalten." Wie also hatten sie das geschafft?

Erstens: Es braucht engagierte Mitstreiter. Bell und Slawig haben sich, angefangen mit Andreas Bialas (SPD), der schnell treibender Dritte in der Kern-Planungszelle wurde, personell breit aufgestellt, um die Idee voranzutreiben. Neben dem eigenen Einsatz auf Landesebene fanden sich mit Peter Hintze (CDU) und Manfred Zöllmer (SPD) auch wichtige Kämpfer im Bund. Eine entscheidende Rolle spielte auch der Kulturexperte Dr. Oliver Scheytt, der das Tanzzentrum in den Koalitionsvertrag des Bundes verhandelte.

Auch mit im Boot: die künftigen Protagonisten und "Bewohner": Bausch-Sohn Salomon — Vorsitzender der Bausch-Foundation — und Dirk Hesse, Geschäftsführer des Tanztheaters. Und auch Kulturdezernent Matthias Nocke sowie Hans-Uwe Flunkert, Chef des Gebäudemanagements, sind mit im Team. Die wichtigste Regel? "Von Anfang an haben alle parteiübergreifend dieses Projekt angetrieben", berichtet Andreas Bialas. "Niemand hat versucht, sich zu profilieren, alle haben lange im Verborgenen daran gefeilt."

Zweitens: Das Konzept muss alle überzeugen. Stefan Hilterhaus (Pact Zollverein, Essen) hat im Auftrag der Stadt ein solches Konzept entwickelt, das auf vier Säulen fußt: die Pina- Bausch-Stiftung mit dem Pina-Bausch-Archiv, das Tanztheater Wuppertal, ein Produktionszentrum, das internationale, spartenübergreifende Aufführungen einlädt und koproduziert, sowie das Bürger-Forum "Wupperbogen" als Podium für Kongresse und Versammlungen. "Dieses Konzept ist europaweit einzigartig für den Bereich des Tanztheaters", sagt Bialas. Das nationale Kulturerbe der Wuppertaler Tanz-Ikone wird bewahrt — aber nicht nur museal verwaltet, sondern — verbunden mit der Werkstattarbeit — weiterentwickelt. Wuppertal soll somit auch in Zukunft die Hauptstadt für modernes Tanztheater bleiben. Das hat Türen geöffnet.

Drittens: Man braucht viel Leidenschaft. "Mit dem Tanzzentrum geben wir der Stadt ein wichtiges Stück Identität zurück", sagt Johannes Slawig und gerät regelrecht ins Schwärmen. Er erzählt von einem Taxifahrer, der noch nie ein Pina-Bausch-Stück gesehen hatte, aber dennoch von "unserem Tanztheater" sprach. Von Menschen, die zwar selbst nichts mit dieser Kunst anfangen könnten, aber um ihre Bedeutung wissen. Ausgerechnet, möchte man sagen. War es doch der Kämmerer, der 2009 im Zuge des Haushaltssicherungskonzepts statt einer Sanierung des Hauses seine Schließung plante. Auch sonst hat sich Slawig bislang nicht gerade als Fürsprecher der Wuppertaler Kultur hervor getan. Geht es jedoch um das Tanzzentrum, ist er kaum wiederzuerkennen. Dieses Tanzzentrum werde nationale, sogar internationale Strahlkraft entfalten, sagt er. "Es ist eine Investition in die Zukunft."

So enthusiastisch wie Slawig ist auch Hans-Uwe Flunkert bei der Sache. Er hat ein eigenes Team von acht Leuten für das Projekt abgezogen. Leute, die sich auskennen. "Immerhin haben sie schon die Sanierung der Oper geplant und durchgeführt", betont Flunkert. Und das im Zeit- wie Kostenrahmen. Damit dies auch beim Prestigeobjekt Tanzzentrum gelingt, hat er besonders viel Zeit für die Planung erbeten — drei Jahre. "Das klingt viel, ist es aber nicht", stellt er klar.

Je sorgfältiger man am Anfang arbeite, desto weniger Fehler gebe es während des Um- und Neubaus. Denn an das bestehende und unter Denkmalschutz stehende Gebäude soll sich eine Erweiterung anschließen. Auch die Anbindung an die Wupper sowie an den (Rad)-Verkehr muss einbezogen werden. In einem Jahr sei man einen großen Schritt weiter, sagt Flunkert. Der Durchführungsbeschluss könnte erfolgt und Einzelheiten wie die Trägerschaft geklärt sein. 2017 will man mit den baulichen Planungen, Ende 2019 mit dem eigentlichen Bau beginnen. Die große Eröffnung ist für 2021/22 anvisiert.

Viertens: Es braucht Beharrlichkeit. Während die Finanzierung des Baus nun gesichert ist, gibt es für die noch nicht bezifferten Betriebskosten keinerlei Zusagen. Seit Jahren fördert das Land das Tanztheater mit einer Million Euro pro Jahr, die Stadt mit 2,5 Millionen Euro pro Jahr. Doch das wird nicht genügen. Was die Stadt braucht, sind verlässliche Partner. Also muss wieder Überzeugungsarbeit geleistet werden. "Ich werde zur Not wie Pater Brown mit dem Koffer losziehen und für die Idee trommeln", verspricht Bialas. Neben Bund und Land sollen auch Stiftungen und Unternehmen ins Boot geholt werden. Dass auch dies klappen wird, daran hat er keine Zweifel. "Alle Erfahrungen in Sachen Tanzzentrum stimmen mich da sehr optimistisch. Wuppertal wird wieder Innovationstreiber!"