TiC Das Publikum wird zum Richter

Wuppertal · Am Ende steht ein Freispruch. Wieder einmal. Seit der Premiere von Ferdinand von Schirachs Gerichtsdrama "Terror" haben die Zuschauer bei 584 Vorstellungen in Deutschland 537 Mal dafür gestimmt, den Angeklagten freizusprechen.

Überzeugend und treffsicher besetzt: die Schauspieler Michael Baute, Christian Schulz, Lars Grube und Beate Rüter.

Foto: Martin Mazur

So auch im TiC.

Unter der Regie von Ralf Budde brachte das Theater in Cronenberg jetzt das viel gespielte und zugleich umstrittene Werk auf die Bühne, das zuletzt durch seine Fernsehausstrahlung für heftige Diskussionen gesorgt hatte. Die Bühne verwandelte Jan Bauerdick dafür in einen klassischen, Gerichtssaal. Links sitzt die Staatsanwältin (überzeugend engagiert, nur mit kleinen Text-Wacklern: Beate Rüter), rechts der wadenbeißige Verteidiger (erschreckend nah an vielen Anwälten: Christian Schulz) mit dem Angeklagten Lars Koch (betont regungslos und militärisch korrekt bis in die gescheitelten Haarspitzen: Lars Grube), in der Mitte verkörpert Michael Baute den Richter angenehm locker und souverän.
Davor sitzt das Theaterpublikum und wird gleich zu Beginn aufgefordert, aus seiner passiven Rolle herauszutreten und am Ende über diesen Fall zu entscheiden.


Verhandelt wird die Akte Lars Koch. Der Major der Luftwaffe hat entgegen dem ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten eine Passagiermaschine abgeschossen, die von Terroristen entführt und in ein voll besetztes Fußballstadion gesteuert werden sollte. Er hat — wider des Gesetzes — 164 Menschen ermordet, um das Leben von 70.000 zu retten. Die Frage, die nun erst Staatsanwältin und Verteidiger juristisch-philosophisch erörtern und das Publikum entscheiden muss: Ist Koch des Mordes schuldig? Oder ist er freizusprechen, weil das Gesetz, die Verfassung, ihn mit dieser Entscheidung allein gelassen hat.
Das Schirach'sche Gedankenexperiment kommt in nüchtern-analytischem Ton daher, obwohl die Ausgangslage fast an eine antike Tragödie erinnert. Denn dem Autor — selbst Strafverteidiger — geht es um juristische Fragen. Darum, ob man Menschenleben gegeneinander aufwiegen kann, nicht zuletzt auch darum, wie Staat und Gesellschaft sich der akuten Bedrohung durch Selbstmordattentäter stellen müssen. Für ein Theaterstück läuft diese Versuchsanordnung eigentlich zu didaktisch glatt ab. Als Zuschauer spürt man kaum etwas von der existenziellen Bedrohung. Die Figuren scheinen bloß Objekte des Experiments, Hüllen für die gegensätzlichen Positionen — ihr Schicksal, ihre Emotionen spielen dabei kaum eine Rolle. Das — und das sei ausdrücklich betont — ist die künstlerische Schwäche des Textes. Regisseur und Schauspielern bleibt dabei wenig Spielraum.


Was das Stück dennoch so reizvoll macht, ist, dass es die Zuschauer herausfordert und ihnen die einmalige Möglichkeit bietet, selbst zu entscheiden. Und das nehmen sie ernst. Vor dem Urteil — das Publikum muss mit einer Art Hammelsprung entscheiden, ob Lars Koch freigesprochen oder verurteilt werden soll — hört man die TiC-Besucher in der Pause eifrig diskutieren. "Man lässt solche Menschen in so heiklen Momenten doch sehr allein", sagen sie. Oder: "Unser Gesetz lädt Terroristen geradezu ein, hier ihren Terror auszuüben." Das Ergebnis trägt dem Rechnung, wenn auch nur knapp: 32 von 56 Zuschauern sprechen sich für einen Freispruch aus — und damit auch dafür, sich im Ernstfall über das bestehende Recht hinwegzusetzen. Das hinterlässt bei allem Gewinn durch die sachliche Auseinandersetzung einen etwas schalen Beigeschmack. Einen spannenden Abend bietet "Terror" aber allemal.


Weitere Aufführungen gibt es am 20. November, 19 Uhr, 25. und 26. November, 20 Uhr, sowie 3., 9., 10., 18. Dezember im TiC (Borner Straße). Karten gibt es unter Telefon 47 22 11. www.tic-theater.de