Helge Lindh (SPD) zum Thema Corona „Nicht noch mehr Unsicherheiten produzieren“

Wuppertal / Berlin · Lockdown, Notbremse und immer mehr Restriktionen bestimmen die Corona-Debatte. Der Wuppertaler SPD-Bundestagsabgeordnete Helge Lindh blickt zurück und in die Zukunft.

Helge Lindh.

Foto: Christoph Petersen

„Nicht mehr nur lamentieren“ – das fordert der Politiker. Und er fragt (sich), was man hätte machen können und noch kann. Dass Impfen, Testen und Maskentragen grundlegend sind, steht für Lindh fest. Aber: „Deutschland hat nicht früh genug eine generalstabsmäßig durchstrukturierte Infrastruktur aufgebaut. Es ist zu viel überlegt und ausprobiert worden.“ 

Was schon vor Monaten gebraucht worden sei, und auch jetzt immer noch gebraucht werde, sei ein schneller Start für Strukturen, die wirklich funktionieren. Ganz wichtig aber wäre es nach Meinung des Sozialdemokraten gewesen, und sei es noch, „nicht alles von oben verordnet durchzuziehen, sondern Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Handel und beispielsweise auch die Kultur auf dem Weg durch die Pandemie gleichberechtigt mitzunehmen und an Entscheidungen zu beteiligen. Das Motto müsste lauten: Wenn wir schließen, machen wir das zusammen mit euch!“ Vorhandene Kompetenzen hätte man schon viel früher nutzen müssen: Ideen beispielsweise aus der Event-Branche in großen Hallen ein gutes Test-Management aufzubauen und das Know-how der Branche klug einzubinden, habe es frühzeitig gegeben. Lindh: „Aber man ist zu behäbig gewesen, hat diese Ideen nicht genutzt, sondern die Unternehmer zur Tatenlosigkeit verdammt.“

Mit konsequenten Maßnahmen hat Helge Lindh kein Problem. Jedoch dürfe die Politik die Gesellschaft nicht immer mit Entscheidungen konfrontieren, ohne die Menschen einzubeziehen. „Da muss sich der vom Begriff ‚alternativlos’ geprägte Politikstil ändern. Diese Krise ist meiner Meinung nach eben nicht die Zeit der Exekutive, sondern die des Parlamentes und zahlreicher anderer Sektoren, die gemeinsam mit der Bürgerschaft in die Verantwortung gehen müssen.“

Wenn Helge Lindh auf die jüngste Vergangenheit schaut, fällt sein Fazit so aus: „Fachleute wissen es besser als die Politik, die Politik aber will es immer besser machen. Ihre Aufgabe wäre aber, vorhandene Ideen und Lösungen zu koordinieren und zu regeln.“ Beispielsweise vom Einzelhandel oder aus dem Gesundheitssektor habe es frühzeitig eigene Konzepte gegeben, die Lindh selbst bei mehreren Ministerien vorgestellt hat. Der Abgeordnete: „Hätte man auf diese Konzepte gehört, wäre nicht dieses lähmende Gefühl der Ohnmacht entstanden.“

Corona, so sieht es der Bundestagsabgeordnete, sei nicht nur eine Gesundheitskrise, „sondern eine große Gesellschaftskrise“. Wenn man den Mut gehabt hätte, neue Wege der Verlässlichkeit und Planbarkeit zu gehen, anstatt immer neue Lockdown-Modelle auszuprobieren, „hätten die Menschen gewusst, woran sie sich orientieren können. Jetzt aber hat sich das Ärgern über verordnete Entscheidungen zu einer unguten Normalität entwickelt.“ Dass fehlende Verlässlichkeit „fatal“ ist, steht für Lindh außer Frage: „Deswegen darf man jetzt nicht noch mehr Unsicherheiten produzieren. Im Bereich der Schulen hätten wir die Einbeziehung der Schüler, Lehrer und Eltern gebraucht. Lösungen aus der Praxis sind oft näher dran. Da geht es doch um Städte und Stadtteile, nicht um Bundesländergrenzen.“

Auf die Frage, wie denn die Beteiligung der Bürgerschaft schnell und effektiv genug realisiert werden könnte, zögert Lindh nicht lang: „Ich bin ein großer Verfechter von Bürgerräten. Die können gemeinsam sehr professionell beraten und Vorschläge entwickeln. Man braucht nicht unbedingt große Gipfeltreffen bis in die Nacht, die ja eher theatralische Veranstaltungen sind.“

Und er sieht eine große Aufgabe, die es schnell anzugehen gelte: „Wir müssen alle zusammen das Problem lösen, dass sich jetzt viele, viele Menschen nur noch darüber beschweren, dass ihnen all die Maßnahmen einfach vorgesetzt worden sind.“