Erziehungsmythen auf dem Prüfstand – was ist noch zeitgemäß?

Einige Erziehungsmythen halten sich hartnäckig und werden von Generation zu Generation weitergegeben. Und das, obwohl sie nicht mehr zeitgemäß oder sogar grundlegend falsch sind. Dieser Artikel beschäftigt sich mit acht besonders gängigen Erziehungsmythen und testet, ob diese zutreffend und für heutige Eltern aus Wuppertal, Deutschland und der ganzen Welt noch relevant sind.

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Foto: Ilham Fitrotul Hayat - Flaticon

Ein bekannter Erziehungsmythos besagt, dass der Verzehr von Karotten die Sehkraft verbessern würde. Dieses Gerücht hält sich schon seit fast 80 Jahren, trifft aber überhaupt nicht zu. Dieser Mythos stammt noch aus dem Zweiten Weltkrieg. Damals hatten amerikanische Flieger eine Sensortechnik, mit der sie deutsche Städte auch im Dunkeln ausmachen konnten. Damit der Feind von dieser Technik nichts erfuhr, wurde das Gerücht lanciert, dass der Verzehr von Karotten die Sehkraft der Piloten verbessert habe. Eine übermäßige positive Auswirkung von Karotten auf die Sehkraft konnte allerdings nie wissenschaftlich nachgewiesen werden. So wichtig und hilfreich Karotten bei einer gesunden Ernährung sind, für die Augen spielen sie nahezu keine Rolle.

Kinder können nicht mit Geld umgehen

Ein Erziehungsmythos besagt, dass Kinder nicht mit Geld umgehen könnten und deswegen die Eltern alle Finanzentscheidungen treffen sollten. Bei großen Themen wie der Altersvorsorge oder einem Polster für das Studium mag das richtig sein, für den Alltag gilt das aber nicht. Wie bei allen Dingen können Kinder nur das lernen, was sie ausprobieren dürfen. Deswegen ist es wichtig, die Kinder mit dem Thema Geld in Kontakt zu bringen und sie in gewissen Grenzen eigenständige Entscheidungen treffen zu lassen. Das lässt sich über das Taschengeld sehr gut erreichen. Hier haben Kinder ein klar festgelegtes Budget zur Verfügung, mit dem sie nahezu nach Belieben umgehen dürfen. So lernen sie, mit ihren Finanzmitteln verantwortungsvoll umzugehen und sich nur das zu gönnen, was sie sich auch leisten können.

Kinder brauchen eine große Auswahl beim Spielzeug

Nach wie vor hält sich das Gerücht, dass Kinder möglichst viel Spielzeug bräuchten, um sich gesund entwickeln zu können. Das trifft allerdings nicht zu. Das erkennt man schon daran, dass die meisten Kinder gar nicht mit all ihren Spielsachen spielen, sondern Lieblingsspielzeuge haben. Eine zu große Auswahl kann im Gegenteil schädlich für die Entwicklung des Kindes sein. Auf der einen Seite besteht die Gefahr einer Reizüberflutung. Zu viele Farben, Töne oder Spielmöglichkeiten können ein Kind überfordern. Außerdem ist nicht die Menge an Spielzeug entscheidend, sondern das, was die Kinder damit anfangen.

Das hat zum Beispiel die Waldorfpädagogik erkannt und verzichtet auf eine übermäßige Reizzufuhr durch Spielzeug. Ein Schwerpunkt ist, dass die Kinder sich ihr Spielzeug selbst aussuchen und frei entscheiden, was sie damit machen wollen. In Wuppertal gibt es eine große Auswahl an Einrichtungen, die sich dem Waldorf-Prinzip verschrieben haben. Hier haben Kinder die Möglichkeit eigenständig zu lernen, ohne hierbei über oder unterfordert zu werden.

Eine Stunde nach dem Essen darf nicht geschwommen werden

Viele Eltern sagen ihren Kindern, dass sie nach dem Essen eine Stunde warten müssen, bevor sie schwimmen gehen dürfen. Gerade im Urlaub oder bei einem Picknick am Baggersee wird so eine Stunde aber schnell sehr lang. Deswegen ist es eine gute Nachricht für Kinder, dass dieser Erziehungsmythos jeglicher Grundlage entbehrt. Der einzige Punkt, der gegen das Schwimmen nach dem Essen spricht, ist, dass der Körper eventuell etwas träge ist. Das bedeutet, dass die Kinder etwas langsamer reagieren und nicht so energiegeladen sind. In der Regel essen Kinder aber nicht so viel, dass sich das Essen in großem Maße auf den körperlichen Zustand auswirken würde. Deswegen ist es überhaupt gar kein Problem, auch direkt nach dem Essen schwimmen zu gehen und im Wasser eine Menge Spaß zu haben. Viel wichtiger ist es, dass Kinder richtig schwimmen lernen und sich im Wasser sicher und eigenständig bewegen können.

Eltern sollten nach der Geburt des Kindes möglichst lange nicht arbeiten gehen

Gerade bei Frauen hält sich leider hartnäckig das Gerücht, dass arbeitende Eltern schlecht für ein Kind wären. Der Mythos behauptet, dass Kinder nur dann gesund aufwachsen können, wenn die Eltern oder zumindest ein Elternteil nahezu rund um die Uhr für sie zur Verfügung stehen. Das ist keineswegs der Fall. Kinder müssen wissen, dass sie sich auf die Eltern beziehungsweise ihre jeweilige Bezugsperson verlassen können. Sie müssen ein Urvertrauen zu ihren Familienangehörigen und den Erzieherinnen und Erziehern aufbauen.

Wenn das gegeben ist und die Kinder sich immer geliebt und aufgenommen fühlen, spricht nichts dagegen, sehr schnell nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen. Für einige Menschen ist das ökonomisch notwendig, für andere ist die Arbeit eine Möglichkeit, sich selbst auszuleben und glücklich zu werden. Es ist im Sinne des Kindes nicht notwendig, hierauf zu verzichten, solange eine geeignete, liebevolle Tagesmutter oder eine geeignete Krippe gefunden wird.

Babys müssen mit sechs Monaten trocken sein

Es gibt nicht den perfekten Zeitpunkt für Kinder, um trocken zu werden. Dieser liegt schon gar nicht bei sechs Monaten. Bis zu diesem Punkt haben Kinder nämlich überhaupt gar keine Chance, irgendeinen aktiven Einfluss auf ihren Schließmuskel oder ihre Darmtätigkeit zu nehmen. Weder können sie Wasser zurückhalten noch können sie verhindern, dass der Stuhlgang einsetzt. Ab dem 6. Monat beginnt sich das langsam zu verändern. Das ist der aller früheste Zeitpunkt, zu dem Kinder erkennen, dass sie Einfluss auf ihre Körpertätigkeiten haben.

Bis sie diese aber tatsächlich kontrollieren und rechtzeitig Bescheid geben können, bevor sie auf die Toilette müssen, vergeht noch sehr viel Zeit. Es ist absolut in Ordnung, wenn der endgültige Zeitpunkt des Trockenwerdens zwischen dem 2. beziehungsweise 4. Geburtstag des Kindes liegt. Es besteht gar kein Grund, dem Kind unnötig Druck zu machen. Wenn Eltern ihren Kindern beim Trockenwerden helfen wollen, sind Geduld und ein individueller Rhythmus.

Linkshänder kann man zu Rechtshändern machen

Es ist weder möglich noch sinnvoll, zu versuchen, aus Linkshändern Rechtshänder zu machen. Die Eigenschaft der Linkshändigkeit ist genauso natürlich wie die Rechtshändigkeit. Im Gegenteil schadet der Versuch, die bevorzugte Hand zu verändern, der Entwicklung eines Kindes. Hierdurch können nämlich die Aufgaben und die Entwicklung der verschiedenen Gehirnhälften durcheinanderkommen. Diese sind für bestimmte Aufgaben zuständig und unter anderem auch dafür, welche Hand bevorzugt verwendet wird.

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Wird hierauf künstlich Einfluss genommen, schadet dies der Entwicklung des Kindes. Zudem wird niemals erreicht, dass die nicht bevorzugte Hand die bevorzugte Hand wird. Die Kinder werden sich angesichts des Drucks antrainieren, so zu tun, als wäre die andere Hand die bevorzugte Hand. In Wirklichkeit ist sie das aber nicht. Das führt zu massiven Problemen und dazu, dass die Kinder ihrem eigenen Urteil und ihrem Gefühl nicht vertrauen.

Schlechte Noten machen Nachhilfe erforderlich

An diesem Erziehungsmythos ist ein wenig Wahrheit dran. Denn für schlechte Noten gibt es häufig eine Ursache. Manchmal kommen die Schülerinnen und Schüler mit dem Lehrpersonal nicht klar. In anderen Fällen fehlt ihnen der Stoff einer früheren Einheit, um mitkommen zu können. In solchen Situationen können eine verständnisvolle Nachhilfelehrerin oder ein Nachhilfelehrer beziehungsweise die Ergänzung des fehlenden Stoffes im Zuge der Nachhilfe zu besseren Noten führen.

Es gibt aber auch viele andere Gründe, für schlechte Noten. Manchmal ist ein Kind gerade in einer Entwicklungsphase, die verhindert, dass es sich auf bestimmte Inhalte konzentrieren kann. Gerade im Rahmen der Pubertät ist das häufig der Fall. Hinzu kommt, dass einige Kinder mit einigen Fächern einfach nicht klarkommen. Auch das ist vollkommen in Ordnung. Solange es sich Mühe gibt und versucht die Noten in einem ausreichenden Bereich zu halten und keine Ausfälle zu bekommen, ist eine Nachhilfe nicht zwingend erforderlich.

Wenn sich ein Kind nicht für Zahlen begeistern kann, der gesamte Alltag jedoch aus Mathematikunterricht, Mathematikhausaufgaben und Mathematiknachhilfe besteht, schadet das der Entwicklung des Kindes. Es sollte sich auf seine Stärken konzentrieren und die Schwachstellen nur soweit ausbessern, dass eine akzeptable Leistung bei einem akzeptablen Arbeitseinsatz erreicht werden kann.