Interview: Das Tanzrauschen-Festival in der "börse" "Nirgendwo besseres Publikum"
Wuppertal · Die internationale Szene des Tanzfilms trifft sich Ende Januar beim Tanzrauschen-Festival in der "börse". Über Fred Astaire, tanzende Avatare und Wuppertal als Tanzstadt sprach Rundschau-Redakteurin Nicole Bolz mit Festival-Kurator Sigurd-Christian Evers.
Rundschau: "Dance on Screen", also Videotanz, ist eine bei uns weitgehend unbekannte Kunstform. Was genau kann man sich darunter vorstellen? Doch keine Tanzfilme mit Fred Astaire?
Evers: Der Begriff "Choreografie für die Kamera" trifft es besser, da es um eigens für die Kamera entwickelte Choreografien geht. Tanz und Film sind ja eigentlich Brüder, die sich parallel entwickelt haben. Und die ersten Filme waren oft auch Tanzfilme. Vor allem die Revuefilme der 30er Jahre, wie die mit Fred Astaire, sind ein Riesenthema.
Rundschau: Wie verhält es sich mit den klassischen Musikvideos?
Evers: Durch die erlebte das Genre in den 1980ern ein großes Revival. Als das Musikfernsehen und damit die Videos aufkamen, boomte "Dance on Screen". Die Popkultur hatte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung. Und es gibt oft enge Bezüge. Beyonce etwa bezieht sich im Video zu "Countdown" auf eine Choreografie der belgischen Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker. Umgekehrt haben auch einige Choreografen wie Pina Bausch oder William Forsythe sehr filmisch gearbeitet.
Rundschau: Gibt es einen aktuellen Trend?
Evers: Ja, die realen Körper in den Filmen lösen sich langsam auf. Durch die neue Technik tanzen stattdessen Avatare und animierte Körper. Das entspricht dem Urgedanken des Genres: Den Tanz von der Schwerkraft zu befreien.
Rundschau: Verfolgen denn Filmemacher und Choreografen überhaupt einen gleichen Ansatz?
Evers: Nein, das kann mitunter weit auseinander driften. So kommt es vor, dass ein Filmemacher es vielleicht spannend findet, eine einzige Handbewegung in Szene zu setzen— was ein Tänzer gar nicht so toll findet. Das ist nicht ohne Spannung. Es geht ja darum, eine neue, eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Wo es keine Fusion, sondern nur ein Nebeneinander von Tanz und Film gibt, ist das Projekt missglückt.
Rundschau: Gibt es in Deutschland eigentlich eine eigene Szene?
Evers: Ja, es gibt sie, aber sie hat noch keinen richtigen Ankerpunkt. Daher ist unser Ziel ja, Wuppertal zum Zentrum der Szene zu machen. Daran arbeitet der Verein "Tanzrauschen" seit drei Jahren. Es gibt nirgendwo ein besseres Publikum dafür. Denn in Wuppertal gibt es dank Pina Bausch erfahrene tanzerprobte Zuschauer. Und im Ausland hat Wuppertal in der Tanzszene einen ausgezeichneten Ruf.
Rundschau: Wie schwierig war es denn, die internationale Szene des Videotanzes in unsere Stadt zu locken?
Evers: Gar nicht schwierig. Die Szene ist sehr offen und kommunikativ, man kennt sich und kooperiert miteinander. Wir erwarten bis zu 50 Gäste — Kuratoren, Choreografen und Filmemacher der wichtigsten Tanzfilm-Festivals. Gemeinsam wollen wir in Wuppertal eine gemeinsame Plattform für die europäische Szene etablieren.
Rundschau: Was können die Zuschauer bei dem dreitägigen Festival erleben?
Evers: Wir präsentieren verschiedene Kategorien von "Dance on Screen" — vom Choreografen-Porträt bis zum Musikclip, von filmischen Kurzgeschichten bis zu freien Studien über Raum und Bewegung. Interessante Festivals werden sich vorstellen und es gibt Workshops an der Schnittstelle von Tanz, Film und Multimedia. Im "Looproom" werden nonstop und kostenlos Videoclips gezeigt.
Rundschau: Was sind Highlights?
Evers: Ich freue mich beispielsweise sehr auf die Deutschlandpremiere des Films der renommierten französischen Dokumentarfilm-Regisseurin Marion Stalens, sie ist übrigens die Schwester von Juliette Binoche, über die zeitgenössische afrikanische Tanzkultur.
Rundschau: Schirmherr des Festivals ist Paul White, Tänzer des Wuppertaler Tanztheaters. Wird es weitere Bezüge zu Wuppertal geben?
Evers: Aber ja. Eröffnet wird das Festival mit "Approaching the Puddle" von Sebastian Gimmel, ein Film, der in Wuppertal entstandenen ist. Außerdem zeigen wir den Pina-Bausch-Film "Ahnen ahnen", Videos von Kai Fobbe und Eberhard Kranemann, und Mark Tykwer sorgt für das mobile Kino.