Interview zur Metoo-Kampagne „Eine neue Form von Sexismus“
Wuppertal · Der Mega-Produzent Harvey Weinstein hat über Jahre Frauen sexuell genötigt. Bis sie sein Vergehen öffentlich machten. Seitdem bewegt ein Hashtag die Gemüter. #meetoo wird gefeiert, geteilt, manche sind nur noch genervt.
Aber was hat #metoo mit unserer Realität zu tun? Redakteurin Nina Bossy trifft die städtische Gleichstellungsbeauftragte Roswitha Bocklage im Café Engel. Und ganz passend, im Sinne des Netzwerks #metoo, gesellt sich mit der Psychologin und Mitarbeiterin der Frauenberatungsstelle Linda Kreimeier eine weitere Expertin hinzu.
Frau Bocklage, könnte Harvey Weinstein Vorstandsvorsitzender eines Wuppertaler Unternehmens sein?
Bocklage: Warum nicht? Die Skandale, dass Aufsichtsräte in Deutschland auf Firmenkosten gemeinsam in Table Dance Bars oder Bordelle gegangen sind, sind nur wenige Jahre her. Und es ist ebenfalls nicht lange her, dass in den Fernsehern der Hotelzimmer der Porno-Kanal voreingestellt war. Weil man davon ausging, dass die Kunden Männer auf Geschäftsreise sind und dass es für diese Zielgruppe ganz normal ist, sich nach dem Termin mit einem Sexfilm zu entspannen.
Wie sieht's mit der Akzeptanz aus? Glauben Sie, dass dieser Machtmissbrauch wie im Fall Weinstein auch in einer Wuppertaler Firma als okay gelten könnte?
Bocklage: Es kommt auf das Unternehmen an. Gehört Macho-Gehabe zum Geschäft dazu? Oder wird es als antiquiert empfunden? Fest steht doch eins: Es gibt verdammt viele pfiffige und gut ausgebildete Frauen. Und die Vorstandsposten bleiben in Männerhand. Das passt für mich nicht zusammen. Wenn Unternehmen Frauen finden möchten, würde es gelingen.
#metoo schlägt in den Medien hohe Wellen. Wie haben Sie die Kampagne erlebt?
Bocklage: Wann ich das erste Mal davon gelesen habe, weiß ich nicht mehr. Aber ich fand #metoo sofort super. Ich habe schon lange das Gefühl, dass sich eine neue Form von Sexismus breit macht. Zum Beispiel im US-Wahlkampf, als Donald Trump Hillary Clinton öffentlich diffamiert hat. Das hierzu so wenig Gegenwehr kam, fand ich schräg.
Es gibt eine Gegenbewegung zu #metoo. Die französische Schauspielerin Catherine Deneuve hat gesagt, es gebe die Freiheit, lästig zu werden.
Bocklage: Keine Ahnung, warum sie das gesagt hat. Aber #metoo verbietet nicht zu flirten, sondern prangert Machtmissbrauch an. Ich denke, auch Männer kennen den Unterschied.
Linda Kreimeier kommt hinzu, hört noch die Antwort und nickt.
Frau Kreimeier, wir sprechen über Sexismus im Beruf. Sie sind Psychologin der Frauenberatungsstelle. Wie oft erzählen Ihnen Frauen von Belästigung am Arbeitsplatz?
Kreimeier: Mir begegnen oft Frauen, die von Männern bedrängt werden, von denen sie sich abhängig fühlen. Das kann ein Mann sein, der eine Rolle im Wohnhaus spielt, ein Bekannter oder auch der Chef. Wenn Männer sich wegen ihrer Position grenzüberschreitend verhalten, wirft das Fragen auf. Wie gehe ich damit um? Was habe ich zu verlieren?
Bei #metoo schildern Frauen ihre Erlebnisse öffentlich. Würden Sie das auch einer betroffenen Wuppertalerin raten?
Bocklage: Ich glaube übrigens, die Frauen von #metoo haben sich vorher solidarisiert, das war keine spontane Aneinanderkettung von Äußerungen. Für eine Frau, die kein Netzwerk hat, könnte das öffentlicher Selbstmord sein. Generell gibt es unterschiedliche Ansätze. Aber es gibt klare Regeln. Jeder Arbeitgeber muss Sexismus verhindern. Wenn ein Kollege oder Chef sich grenzüberschreitend verhält, gibt's Konsequenzen. Die reichen von Gesprächen, der Auflage zum Besuch einer Beratungsstelle bis zur Entlassung.
Es gibt Vorurteile, welcher Art von Frau Sexismus passiert. Frau Kreimeier, kommt zu Ihnen die an sich selbstzweifelnde Frau? Die Sekretärin mit der durchsichtigen Bluse?
Kreimeier: Unsere Klientel ist total heterogen. Zu uns kommen Frauen ab 16 bis über 60, aus jeder sozialen Gruppe. Übrigens ändert kein Alter, kein Bildungsstand etwas an der Situation. Auch eine 60-jährige Doktorin kann einem Mann hilflos ausgeliefert sein. Täter sind übrigens in 89 Prozent der Fälle Bekannte. Das macht die Sache oft so kompliziert und für die Frauen scheinbar so ausweglos.
2013 hat eine Stern-Redakteurin den FDP-Politiker Rainer Brüderle bezichtigt, ihr zu nahe gekommen zu sein. Es folgte der Hashtag #aufschrei. Fünf Jahre später reden wir immer noch über Sexismus. Hat sich die Debatte seitdem verändert?
Bocklage: Ich fand #aufschrei schon gut, aber #metoo geht weiter. Heute sind die Grenzen deutlicher. Es geht darum, Sexismus nicht zu diskutieren, sondern ihn auszumerzen.
Hollywood hat einen neuen Hashtag, #timesup. Zum Auftakt trugen bei den Golden Globes die schönsten Frauen der Welt schwarze Roben. Welchen Nutzen haben diese Inszenierungen? Sind diese Hollywood-Schönheiten nicht zu weit weg, um etwas in der Realität zu bewegen?
Kreimeier: Ich verstehe den Punkt. Es ist einem danach zu rufen, vergesst uns nicht.
Bocklage: Ich stehe auf die großen Kampagnen. Das erzeugt Bilder, die bleiben. Natürlich ist es dann an uns normalen Frauen und auch an den normalen Männern, was wir damit machen.
Brauchen wir den nächsten Hashtag, der das Problem in unsere Welt überträgt?
Bocklage: Vielleicht. Ich glaube, wir brauchen einiges. Viele Aktionen, im Internet, aber auch auf der Straße. Eins haben wir gelernt: Es braucht Ausdauer, damit Sexismus und sexuelle Gewalt wirklich aussterben.