Debatte um Fahreignungsprüfung für Senioren geht in die nächste Runde
Immer wieder kommt es zu schweren Unfällen im Straßenverkehr, weil Senioren die Kontrolle über ihr Fahrzeug verlieren. Jedes Mal flammt in diesem Zuge erneut die Debatte über eine regelmäßige Fahreignungsprüfung für Senioren auf.
Sie verwechseln das Brems- und das Gaspedal oder die Sehkraft lässt nach: Solche Schlagzeilen über Senioren hinter dem Steuer machen in wiederkehrenden Abständen Schlagzeilen. Dies führt zu einer Hinterfragung der Fahreignung älterer Menschen. Bei der Fahreignung handelt es sich genau genommen aber um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Auslegung stets vom Einzelfall abhängt. Um zum Steuern eines PKW in der Lage zu sein, müssen die Verkehrsteilnehmer dem Straßenverkehr gewachsen sein. Körperliche sowie geistige Gesundheit und ausreichend gutes Sehen mit oder ohne Sehhilfe, sind wichtige Faktoren, welche gegeben sein sollten. Bei Krankheiten wie zum Beispiel Epilepsie ist das Führen von Fahrzeugen teils gänzlich oder für einen bestimmten Zeitraum verboten. Ebenso können akute Zustände wie Müdigkeit, bestimmte Medikamente oder Alkoholgenuss die Fahreignung eines Menschen einschränken. Zuletzt sind sämtliche Ablenkungen während des Fahrens zu verhindern, beispielsweise durch das Smartphone oder ein ungesichertes Haustier im Fahrzeug. Angesichts dieser Definition wird nun also regelmäßig diskutiert, ob Senioren sich ab einem gewissen Lebensalter regelmäßig auf ihre Fahreignung überprüfen lassen sollten. Wer den Test nicht besteht, muss seinen Führerschein abgeben und demnach große Einschränkungen in seinem Alltag in Kauf nehmen — vor allem in ländlichen Gebieten. Doch dieser ist nicht der einzige Grund, weshalb der Aufschrei bei der betroffenen Altersgruppe groß ist.
Pro: Nicht alle Senioren sind (noch) fahrtauglich
Keine Frage: Viele Menschen in Deutschland sitzen hinter dem Steuer, obwohl sie durch eine Krankheit oder andere die Fahreignung einschränkende Faktoren eigentlich nicht mehr dazu in der Lage sind. Werden diese Einschränkungen nicht bemerkt, beispielsweise durch einen Arzt, wird den Betroffenen nicht rechtzeitig der Führerschein entzogen, sodass sie zu einer Gefahr für sich selbst sowie die anderen Verkehrsteilnehmer werden können. Solche Erkrankungen treten nicht nur, jedoch aufgrund des Alters gehäuft, bei Senioren auf. Die Frage nach der generellen Fahreignung von Menschen im gehobenen Lebensalter hat also durchaus ihre Daseinsberechtigung. Laut Statistischem Bundesamt waren allein im Jahr 2015 73.338 ältere Menschen an Verkehrsunfällen mit Personenschaden in Deutschland beteiligt. Das macht 12,9 Prozent aller Unfallbeteiligten aus. Tatsächlich steigt mit dem Alter die Gefahr, einen Unfall zu verursachen. Die Studie kommt nämlich weiterhin zu dem Ergebnis, dass Autofahrer ab 75 Jahren in drei Vierteln der Fälle die Hauptschuld tragen, wenn ein Unfall passiert. Der Grund: Ältere Verkehrsteilnehmer sind schneller mit dem komplexen Geschehen im Straßenverkehr überfordert und weisen ein langsameres Reaktionsvermögen auf. Viele Betroffene schätzen ihre Fahrtüchtigkeit schlichtweg falsch ein und geraten dadurch in gefährliche Situationen. Brisant ist zudem die Beobachtung, dass die durch Senioren verursachten Unfälle in den vergangenen Jahren stetig steigen.
Kontra: Senioren sind die statistisch sichersten Autofahrer
Auf den ersten Blick erscheinen diese Argumente durchschlagend. Wer jedoch die Vergleichswerte betrachtet, erhält auf den zweiten Blick einen gänzlich anderen Eindruck. 12,9 Prozent klingt zwar viel, jedoch sind Senioren damit unterproportional an Unfällen beteiligt. Das bedeutet: Menschen jüngeren Alters verursachen mehr Unfälle mit Personenschaden als dies bei Fahrern über 60 oder gar 70 Jahren der Fall ist. Letztere verfügen über eine Menge Erfahrung und sind oft schlichtweg vorsichtiger als jüngere Verkehrsteilnehmer. Vor allem Jugendliche in der Probezeit sowie den 20ern oder 30ern neigen nämlich dazu, sich selbst zu überschätzen. Sie möchten vielleicht ihr neues, PS-starkes Auto ausprobieren, ihre Freunde beeindrucken oder das Geld für ein Taxi sparen, indem sie betrunken hinter dem Steuer sitzen. Zudem fehlt jüngeren Autofahrern schlichtweg die Erfahrung, um in Gefahrensituationen schnell sowie angemessen zu reagieren. Tatsächlich tragen 18- bis 24-Jährige in zwei Dritteln aller Unfälle auf deutschen Straßen die Hauptschuld — davon 80 Prozent Männer.
Genau genommen sind Senioren also keine Gefahr für die Straßenteilnehmer, sondern die sicherste Gruppe an Verkehrsteilnehmern in Deutschland. Besser wäre es also, eine Fahreignungsprüfung bei den 18- bis 24-Jährigen einzuführen. Ganz so weit hergeholt ist der Vorschlag dennoch nicht. Ärzte raten trotzdem dazu, dass ältere Autofahrer sich einmal jährlich durchchecken lassen — ihrer eigenen Sicherheit zuliebe. Entscheidend sei dabei nicht das Alter der betreffenden Person, sondern ihr Gesundheitszustand im Allgemeinen. Auch für jüngere Autofahrer, die unter chronischen Krankheiten leiden, eine Verschlechterung der Sehkraft oder andere Veränderungen an sich bemerken, welche beim Steuern eines Fahrzeugs zum Sicherheitsrisiko werden könnten, gilt daher die Empfehlung eines ärztlichen Gesundheitstests. Einen generellen Test über die Fahreignung von Senioren sehen hingegen auch die Mediziner nicht als notwendig an.
Senioren befürchten Einschränkungen im Alltag
Viele Betroffene aus den älteren Generationen wehren sich vehement gegen den Vorschlag eines generellen Tests ab 75 Jahren oder sogar früher. Denn wer diesen nicht bestünde, müsste unmittelbar den Führerschein abgeben. Das empfinden die Personen nicht nur als Altersdiskriminierung, sondern auch als herbe Einschränkung im Alltag. Vor allem in ländlichen Gebieten, wo das öffentliche Verkehrsnetz nur gering bis überhaupt nicht ausgebaut ist, sind viele ältere Menschen auf das Auto und damit auf ihren Führerschein angewiesen. Ansonsten wäre es nicht mehr möglich, sich selbst zu versorgen. Der Wocheneinkauf, Arzttermine oder auch ein Besuch bei den Enkelkindern wären dann nur noch mit Hilfe einer teuren Pflegekraft möglich. Alternativ wäre ein Umzug unumgänglich, was zahlreiche Menschen als einschneidende Veränderung erleben. Weg aus dem gewohnten Umfeld, von den Freunden und Erinnerungen im eigenen Haus: Viele der Personen, welche heute noch für die Einführung eines solchen Fahreignungstests plädieren, würden sich dagegen mit zunehmendem Lebensalter gewiss selbst zu wehren beginnen. Solange die Statistiken belegen, dass Senioren nach wie vor die sichersten Autofahrer sind, dürfte die Debatte also überfällig sein.
Demografischer Wandel verfälscht Studienergebnisse
Wenn die Zahlen der durch Senioren verursachten Unfälle — wie bereits erwähnt — nun aber Jahr für Jahr steigen, ist eine regelmäßige Fahreignungsprüfung dann nicht doch sinnvoll, fragen sich angesichts der Studienergebnisse des Statistischen Bundesamtes aber gewiss einige Leute. Die Antwort ist einfach: Nein. Hierbei handelt es sich nämlich nicht um einen prozentualen Anstieg, sondern es gibt aufgrund des demografischen Wandels schlichtweg mehr Senioren in Deutschland als noch vor wenigen Jahren; und es wird in Zukunft noch zu einer weiteren Verschiebung der Altersgruppen in der Gesellschaft kommen. Dieser demografische Wandel erwirkt einen Mangel an altersgerechtem Wohnraum sowie an jungen Fachkräften für deutsche Unternehmen. Er macht eine Sanierung des Rentensystems notwendig und sorgt für die Schließung von Schulen und Kindergärten. Eine Entwicklung also, die quasi alle Lebensbereiche betrifft und somit auch die zitierten Statistiken. Diese sagen demnach keinesfalls aus, dass mehr und mehr Senioren Unfälle verursachen. Stattdessen gibt es schlichtweg mehr Senioren, welche aber nach wie vor die sicherste Gruppe an Autofahrern in Deutschland darstellen. Ob eine Person fahrtüchtig ist oder nicht, hängt dabei stets vom Einzelfall ab.
Fahreignungstests im europäischen Ausland
Dass die Frage nach einem generellen Fahreignungstest ab 75 Jahren immer wieder aufkommt, hat aber noch einen weiteren Grund: In einigen europäischen Ländern gibt es solche Prüfungen bereits und im Zuge des neuen EU-Führerscheins wird nun eine Vereinheitlichung der Regelungen diskutiert. Beispiele für solche Länder mit regelmäßiger Fahreignungsprüfung sind Italien, Spanien oder Großbritannien. Auch die deutschen Führerscheine haben mittlerweile ein Verfallsdatum. Laut einer Neuerung im Verkehrsrecht sind demnach alle EU-Führerscheine, welche nach dem 19. Januar 2013 ausgegeben wurden, nur noch 15 Jahre gültig. Anschließend müssen sie neu beantragt werden. Eine medizinische Untersuchung oder Angaben zum Gesundheitszustand sind dabei — im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern — bislang allerdings nicht notwendig. Sinnvoll wäre an dieser Stelle aber eine Diskussion, ob solche generellen Regelungen eingeführt werden sollen. Diese würde dann nämlich alle Führerscheinbesitzer betreffen, unabhängig von ihrem Alter. Eine Diskriminierung fände somit nicht statt und der eine oder andere Unfall könnte vielleicht doch verhindert werden. Ob eine solche Regelung kommt und wann, ist bislang aber fraglich. Noch lehnen die Politiker einen entpsrechenden Gesetzesentwurf jedenfalls kategorisch ab.