Facetten der Not

Betr.: soziale (Wuppertaler) Wirklichkeit

Vor einer Woche kam ich abends von einer Lesung in Elberfeld. Eine Besucherin begleitete mich einige Minuten. Mitte bis Ende 40, arbeitslos, Hartz IV, viele ergebnislose Bewerbungen — mit der Hand geschrieben, ein PC fehlte. Enttäuschung und Verbitterung brachen aus ihr hervor.

Mein Weg führte mich weiter durch die Herzogstraße. Im Eingang von "Strauss" lag ein Mann in einer Wolldecke, einen Einkaufskarren neben sich. Als er bemerkte, dass ich vorüberging, sprang er erschrocken auf und raffte seine Habseligkeiten an sich.

An der Bushaltestelle Wall saß ein altes Ehepaar, Griechen. Ein junger Mann näherte sich und hielt uns ein Pappschild hin: "Geben Sie mir etwas Geld". Wir schüttelten den Kopf und die alte Frau erzählte in bruchstückhaftem Deutsch, dass sie in Griechenland arm seien, aber hier auch, sie mussten Flaschen sammeln. "Warum sind Sie dann nicht wenigstens in der Heimat?" Der Sohn war in Deutschland geboren und wollte nicht nach Griechenland, so blieben die alten Eltern auch hier.

Schon näherte sich wieder ein junger Mann und bat um Geld. Auf dem halbdunklen Wall die Börse aus der Tasche holen? Besser nicht. Mir fiel die Verhaltensregel für Afrika-Reisen ein: Immer etwas Kleingeld für Bettler in der Jackentasche haben.

Bedrückt fuhr ich nach Hause. In nur 25 Minuten hatte sich die Not in unserer Stadt in ihren verschiedenen Facetten gezeigt. Schade, dass Frau Merkel oder ein Minister nicht anwesend waren...

Heidemarie Koch, Am Eckbusch

(Rundschau Verlagsgesellschaft)