„Intolleranza 2021“ von Luigi Nono Protest-Oper von kühler Schönheit

Wuppertal · Eine musikalische Großtat – und leider nur im Stream zu sehen: Die Oper zeigt „Intolleranza 2021“ von Luigi Nono am 18. und 26. Juni, am 2. Juli sowie am 13. und 27. August jeweils um 19.30 Uhr.

Leider ist Luigi Nonos „Intolleranza“ immer noch allzu aktuell: Heimat- und rechtelos ist der Gastarbeiter (Markus Sung-Keung Park) Polizeigewalt und Folter ausgeliefert. Informationen und Tickets für den Stream auf oper-wuppertal.de/intolleranza

Foto: Bettina Stöß

Es hätte ein Leuchtturm-Projekt der Wuppertaler Bühnen zu Friedrich Engels’ 200. Geburtstag werden sollen: Luigi Nonos Oper „Intolleranza“, uraufgeführt 1961 als Anklage gegen das Schlechte in der Welt und vor allem im Zentrum Europas. Aus dem Engels-Jahr 2020 ist bekanntermaßen ein Seuchen-Jahr geworden: Die Produktion wurde zunächst verschoben und wird jetzt ausschließlich im Stream gezeigt. Nur so sei die Produktion noch zu retten gewesen, so Opernintendant Bertold Schneider.

Viele Sängerinnen und Sänger, die das hochkomplizierte Stück beherrschen, gibt es eben nicht, Terminkalender sind im Opernmetier gerne einige Jahre im Voraus gefüllt und damit eine abermalige Verschiebung der Produktion unmöglich. Bei der Aufzeichnung der Oper durften immerhin einige Pressevertreter im Parkett sitzen – und so konnte ich unerwartet doch „live“ dabei sein. Ein Glück.

Auch nach mehr als einem Jahr Pandemie mag ich mich an gestreamte Opern und Konzerte nicht gewöhnen. Und „Intolleranza“ ist nicht nur der fehlenden Theateratmosphäre wegen ziemlich ungeeignet für eine Aufzeichnung. Nono hat einen Rundumklang konzipiert, und im Opernhaus sind die Instrumentalgruppen und der Chor an verschiedenen Stellen postiert. Vielleicht lässt sich ja selbst das mit einer guten Stereoanlage noch irgendwie vermitteln. Eine Sache aber sicher nicht: Oft beginnt oder endet diese Musik im leisesten Pianissimo an der Hörgrenze, und eben dieses „ist der Ton noch da?“ macht vieles von der Faszination Nonos aus.

Der Raum wird zum Akteur, und verglichen mit dem Opernhaus samt unsichtbarem (weil abgedecktem) Orchestergraben und Hinterbühne wird auch ein großzügig konzipiertes heimisches Musikzimmer zum Kleindarsteller.

Wo bleibt da Friedrich Engels? Der schwebt samt seiner Empathie für die Entrechteten unsichtbar im Saal, denn Luigi Nono, geboren 1924 und gestorben 1990, prangert die Lebensumstände der Wander- und Gastarbeiter an, die rechtelos Polizeigewalt wie Armut ausgesetzt sind. Ganz lose wird die Geschichte eines namenlosen Emigranten erzählt, der sich aus einem belgischen Bergarbeiterdorf aufmacht Richtung Heimat, in eine Demo gerät und von der Polizei niedergeknüppelt, später gefoltert wird und am Ende miterlebt, wie alles von einem Hochwasser hinweggespült wird.

Nono, prominentes Mitglied der kommunistischen Partei Italiens, galt einige Zeit als Gallionsfigur der Linken, bis auch dort auffiel, dass die Musik keineswegs agitatorisch aufbegehrt, sondern in komplexen Klangflächen von kühler Schönheit den realen Missständen eine utopische Sphäre voller Poesie entgegensetzt. Ziemlich kompliziert für den Klassenkampf.

Regisseur Dietrich W. Hilsdorf, dessen Mozart-Zyklus aus der Zeit der Theaterehe mit Gelsenkirchen sicher zu den Höhepunkten der Wuppertaler Theatergeschichte gehört, erzählt eine Geschichte des langen Wartens. Ein Container ist notdürftig als Wohnraum hergerichtet, anhand der eingeblendeten Kalenderdaten, die in die Zukunft reichen, sieht man die Tage vergehen. Polizeigewalt wird nur angedeutet (die Zeit, in der Hilsdorf gerne drastische Bilder von Gewalt zeigte, sind lange vorbei), Andrey Berezin vom Tanztheater deutet die Folterqualen eher dezent an.

Nicht jedes Detail wird verständlich, aber die Regie macht (ohne dies allzu direkt zu konkretisieren) schon sehr schnell klar, dass wir Wuppertaler Bildungsbürger inzwischen ziemlich gut geübt darin sind, darüber hinwegzuschauen, was an den Außengrenzen der EU jenseits von Rechtsstaatlichkeit und Humanität geschieht, um den Zuzug von Flüchtenden zu begrenzen.

Musikalisch ist die Produktion großartig. Markus Seong-Keun Park, Solen Mainguené, Annette Schönmüller, Simon Stricker und Sebastian Campione singen ganz ausgezeichnet, vom Band wird das Chorwerk Ruhr, einer der besten Chöre weit und breit, eingespielt, und auch der Wuppertaler Opernchor singt seine höllisch schwere Partie live und real ganz exzellent.

Vorzüglich auch das Sinfonieorchester, das gleich zwei Dirigenten hat: Stefan Schreiber (der war mal ein paar Jahre Solorepetitor am Haus) und Johannes Harneit, der als musikalischer Chef der Produktion letztendlich verantwortlich ist für diese musikalische Großtat.

Ja, Streaming ist doof, gerade hier. Weil es aber keine Alternative gibt: Trotzdem anschauen!