"Viel Schaden angerichtet"

Die "Pegida"-Parolen und die Attentate von Paris sorgten vermehrt für Angst bei den Muslimen, sagt Samir Bouaissa. Der Generalsekretär der Wuppertaler Moscheen sieht viele Erfolge der Integration bröckeln.

Er hofft, dass sich die Gesellschaft weder von "Pegida" noch von islamistischem Terror dividieren lässt: der Wuppertaler Samir Bouaissa.

Foto: Jens Grossmann

Fassungslos und geschockt. Als Samir Bouaissa vergangenen Mittwoch von den Anschlägen auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" erfuhr, war seine Reaktion wie die der meisten Menschen weltweit. "Doch nach dem ersten Schock", sagt der Vorsitzende des Landesverbandes des Zentralrats der Muslime, "schlichen sich schnell die Gedanken ein: Jetzt sind wir wieder an allem schuld."

Wir, das meint die Muslime in Deutschland. Muslime, die seit Wochen als Hassobjekt der rechten Parolen der "Pegida"-Bewegung dienen. Muslime, die selbst immer wieder Opfer von radikal-islamistischem Terror werden. "Als Vertreter einer Organisation wie dem Zentralrat der Muslime ist man da in einer Sandwich-Position", beschreibt Bouaissa seine Rolle. "Zum einen erwarten die Menschen, dass wir uns als Muslime nach außen von solchen terroristischen Aktionen distanzieren. Gleichzeitig müssen wir den Muslimen klar machen, dass solche Morde mit nichts zu rechtfertigen sind, erst recht nicht mit unserer Religion."

Samir Bouaissa ist marokkanischer Abstammung und lebt bereits seit seinem zweiten Lebensjahr in Wuppertal. Als Generalsekretär der Wuppertaler Moscheen steht er in engem Kontakt zu vielen in Wuppertal lebenden Muslimen. Die letzten Wochen, so seine Beobachtung, haben viel Schaden angerichtet. "Ich höre immer öfter, dass etwa Frauen mit Kopftuch mit einem unangenehmen Gefühl in die Schwebebahn einsteigen, weil sie denken, sie würden angestarrt. Die Angst hat einfach zugenommen. Vieles von dem, was wir in Sachen Integration erreicht haben, bröckelt derzeit."

Mut machen ihm — im Gegensatz zu früheren Zeiten — die vielen Mitbürger, die eine klare Position gegen "Pegida" beziehen. Symbole wie in Köln, wo die Kirche entschied, das Licht am Kölner Dom wegen der "Pegida"-Kundgebung zu löschen, seien wichtig. "Das war ein unglaublich starkes Zeichen", betont der 42-Jährige.

Überhaupt, so Bouaissa, teilten "Pegida" und die Salafisten die gleiche Ideologie — nur auf zwei verschiedenen Seiten. "Sie sehen sich als Opfer in der Mehrheitsgesellschaft, die nicht gehört werden. Sie haben das gleiche Ziel: Sie wollen das friedliche Zusammenleben stören."

Dass es in Wuppertal (bislang) keine "Pegida"-Bewegung gibt, führt Samir Bouaissa auf die lange Tradition des Zusammenlebens zurück. Der Dialog zwischen den Kulturen und den Religionen habe hier Geschichte. Vielleicht, so hofft er, schütze das in diesen Zeiten.

Obwohl der engagierte Wuppertaler nicht müde wird klarzustellen, dass islamistischer Terror niemals im Namen des Glaubens geführt werden könne ("Mord gehört nicht zu unserem Glauben, diese Menschen missbrauchen ihn für ihre Zwecke"), habe man sich dagegen ausgesprochen, in Wuppertal eine eigene Aktion zu starten, man beteiligt sich stattdessen lieber an den Zahlreichen überregionalen Aktionen um sich von den Attentaten in Frankreich zu distanzieren. "Es wird in den kommenden Tagen eine Stellungnahme von uns geben und wir werden mit einem Info-Stand in der Stadt präsent sein", erzählt Bouaissa. "Denn die Menschen haben derzeit viele Fragen."

Sehr angespannt, so habe er die ersten Tage des Jahres erlebt, sagt Samir Bouaissa. "Ich hoffe, dass sich unsere Gesellschaft nicht von den Ereignissen dividieren lässt. Sonst haben sie gewonnen." Und das zu verhindern sei ein hartes Stück Arbeit...

(Rundschau Verlagsgesellschaft)