Rundschau-Autorin Sabine Maguire „Innerhalb von 15 Minuten alle Dämme gebrochen“
Wuppertal · Viele Menschen sind sprachlos nach dem, was diese Woche (nicht nur) über Wuppertal hereingebrochen ist (Bilanz auf Seite 6). Rundschau-Autorin Sabine Maguire, die in Hahnenfurth lebt, versucht als Betroffene trotzdem in Worte zu fassen, wie es sich anfühlt, wenn das eigene Zuhause überflutet wird.
Seit beinahe 30 Jahren wohnen wir nun schon hier. Idyllisch, die Düssel fließt durch den Garten. Nahegekommen ist sie uns immer wieder einmal. Das Haus ist so gebaut, dass zuerst die Keller volllaufen. Das kennen wir schon, da werden wir nicht mehr unruhig. Am Mittwochabend jedoch wurde das von uns innig geliebte Flüsschen zum reißenden Strom, das Wasser kam von allen Seiten.
Dabei dachten wir, die Sache sei schon ausgestanden: Gerade hatte er aufgehört, der Starkregen. Endlich mit dem Hund raus, das Chow-Chow-Mädchen ist stur, was Spaziergänge im Regen angeht. Es war so gegen acht Uhr am Abend, wir hatten vorher ein paar Gartenstühle beiseitegestellt. Nur für den Fall, dass die Düssel ihr Bett verlassen würde. Beim Gang durchs Dorf war noch alles entspannt. Hier und da stand das Wasser auf den Wiesen. Nichts deutete auf die Katastrophe hin, die eine Viertelstunde später ihren Lauf nehmen sollte. Binnen dieser 15 Minuten waren alle Dämme gebrochen. Das Dorf lief voll Wasser. Von den Wiesen, die B7 herunter, aus dem reißenden Düssel-Strom: Die braune Brühe schoss von allen Seiten auf uns zu. Schon das letzte Stück der Hunderunde wurde kompliziert, der Hund stand bis zum Bauch im Wasser. Wer einen Chow Chow kennt, der weiß: Da hört der Spaß auf.
Zu Hause angekommen, waren alle schon in heller Aufruhr. Hektisch wurden die Autos weggeparkt – das Prozedere sollte sich bis in die Nacht noch mehrmals wiederholen. Diese eine Minute genügte, um vom Haus vollends abgeschnitten zu sein. Gemeinsam mit der Nachbarin und deren Verwandtschaft aus Süddeutschland, die gerade angekommen war und am nächsten Morgen ins Norddeutsche weiterreisen wollte.
Da standen wir nun also gegenüber des Hauses auf der anderen Straßenseite. Drei Leute waren noch drinnen, fünf draußen. Der Wasserpegel stieg unaufhörlich, die Fluten wurden zum reißenden Strom. Es waren nur ein paar Meter bis zur Treppe, an ein Durchkommen war nicht mehr zu denken. Bis Mitternacht werden wir das noch mehrfach versuchen – erfolglos. Die Nachbarn von nebenan sind da schon ins Hotel abgereist, sie standen mit den Füßen im Wasser. Später wird ihre untere Etage volllaufen und einem Trümmerfeld gleichen.
Ein anderer Nachbar in Sichtweite ist in seinem umspülten Haus eingesperrt. Die Türen gehen nicht mehr auf, die Feuerwehr wird alarmiert. Dort weiß man nicht mehr, wo man zuerst helfen soll. So lange Leib und Leben nicht in Gefahr sind, müsse man ausharren.
Inzwischen läuft auch das alte Gerichtshaus in der Dorfmitte voll. Die Bewohner stapeln Sandsäcke, nebenan ein reißender Wasserstrom. Die Nachbarin von oben hat inzwischen Zuflucht auf dem Wanderparkplatz in Schöller gesucht – in sicherer Höhe, im Auto. Ein weiterer Versuch, ins Haus zu gelangen, war gescheitert. Durch den Nachbargarten, das Wasser in Brusthöhe. Ringsum Treibholz und Müll – erst später kam die Einsicht, wie gefährlich das war. Autos schwammen die Straße entlang, manövrierunfähig. Drinnen die verzweifelten Fahrer.
Um 3 Uhr nachts war die Strömung weg – endlich. Die Polizei klingelte an der Haustür, um zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Bestandsaufnahme am nächsten Morgen: Im Keller steht das Wasser einen Meter hoch. Auf dem Parkplatz vor dem Haus ein riesiges Loch. Der Garten voller Schotter. Überall Treibgut und Müll. Die Nachbarn von nebenan kommen aus dem Hotel zurück, das Entsetzen steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Bis zum Abend werden sie ihre Möbel in zwei Container geworfen haben.
Aber auch das: Der Vermieter stellt sofort einen Container auf, in dem das von überall Angespülte landet. Der Mann vom Baumaschinenhandel kommt mit der Tauchpumpe, um das Wasser aus dem Keller zu holen. Man hilft sich, wo man nur kann: Und das ist ein wunderbares Gefühl, das einem hinweghelfen kann über eine solche Katastrophe. Wir leben, die Häuser stehen noch. Das sieht andernorts ganz anders aus.