Der Schwebebahn verfallen Herr von Jutrzenka und die alte Dame
Wuppertal · Bis zu seinem 61. Lebensjahr war er für das Schwebebahn-Gerüst verantwortlich. Im Ruhestand kehrte Paul von Jutrzenka als Fotograf zurück.
Ach, Wuppertal. Als Paul von Jutrzenka klein war, hatte seine Mutter oft geschwärmt, von dieser Stadt mit ihren wunderschönen historischen Häusern und den schwebenden Bussen. Die Familie lebte in Castrop-Rauxel und die 53 Kilometer entfernte Hauptstadt des Bergischen Landes erschien unerreichbar fern.
Der Krieg begann und verging, der Junge aus dem Ruhrgebiet wuchs auf, absolvierte eine Schlosserlehre und erwarb auf der Dortmunder Ingenieurschule seinen Abschluss als Techniker. Und eines Tages las er eine Stellenanzeige. Ach, Wuppertal! Genau in dem Sehnsuchtsort seiner Mutter wurde ein Metallbauer gesucht, um an eben jenen schwebenden Bussen tätig zu sein. Der 25-jährige Paul von Jutrzenka bewarb sich und bekam den Job. Endlich Wuppertal.
„So schön war es dann doch nicht“, sagt Paul von Jutrzenka heute. Der 86-Jährige sitzt in einem Sessel im Caritas-Altenzentrum Augustinusstift in der Elberfelder Südstadt, lächelt leise und erinnert sich an eine Stadt, deren alter Hausbestand zu großen Teilen dem Krieg weichen musste und die sich nun mühsam dem Wiederaufbau stellte. Aber das Gerüst, das sich von Osten nach Westen die längste Strecke über den Fluss erstreckte und das er aus den Erzählungen seiner Mutter so gut kannte, war zwar nicht vollkommen verschont geblieben, aber es stand.
Und dafür war er schließlich gekommen. Von 1969 bis 1994 kümmerte er sich als Angestellter der Wuppertaler Stadtwerke um die Bahn und ihre Lebensader, flickte ihre Wunden, hegte und pflegte sie. Er hörte von großen Visionen wie einer Erweiterung nach Osten und erlebte, dass es nie dazu kommen sollte.
Mit 61 Jahren verließ Paul von Jutrzenka die Stadtwerke, die Schwebebahn verließ er nie. Mit Kamera statt Blaumann kehrte er zurück, fotografierte mit seinem technikliebenden Blick das Gerüst, das ihn so viele Jahre lang täglich beschäftigt hatte. Und die Menschen, die sich nun darum kümmerten. Die Reparaturarbeiten 1998 fotografierte Jutrzenka als Mitglied der WSW Foto AG, dokumentierte Zeitgeschichte und schuf faszinierende Kunstwerke.
Jutrzenkas Aufnahmen offenbaren seinen analytischen Blick genau wie seine Liebe zu den dort arbeitenden Menschen, deren Gesichter, mal entspannt in einer kleinen Pause, mal konzentriert bei der Arbeit, seine Fotografien in den Fokus rücken. Besonders die Atmosphäre der Nacht gefiel dem Fotografen. Wenn die Wuppertaler schliefen, rückten die Truppen aus, um am Gerüst zu arbeiten. So heile wirkt der Stahl auf seinen Aufnahmen am Tage, so roh in der Nacht.
Derzeit ruht die Schwebebahn. Dazu möchte Paul von Jutrzenka heute in seinem Sessel nichts sagen. Aber er hat Lust von früher zu sprechen und seinen ganz persönlichen Blick auf das Wahrzeichen zu zeigen. Das Augustinusstift zeigt seine Bilder nun in einer Ausstellung. Der Fotograf betitelte sie liebevoll: „Das Kleid der alten Dame“.
Bis zum 13. Mai werden die Schwarz-Weiß-Fotografien im Caritas-Altenzentrum Augustinusstift, Im Ostersiepen 25-27, auf Ebene 5 ausgestellt. Vernissage: Montag, 15. April, 11 Uhr.