Bergische Gefängnisgemeinde „Inhaftierte sind Menschen, nicht nur Täter“
Wuppertal · Ehrenamtliche unterstützen die Gefängnisseelsorgerinnen und -seelsorger bei ihrer Arbeit in der JVA Vohwinkel, der JVA Remscheid und im Jugendgefängnis in Ronsdorf. Sie gehen regelmäßig in den Knast und besuchen dort Inhaftierte. Zwei von ihnen sind Günter und Christina.
Günter engagiert sich seit mehr als 40 Jahren für die Bergische Gefängnisgemeinde und hat schon viele Gefangene betreut und sich im Laufe der Jahre bei mehreren öffentlichen Aktionen für die Inhaftierten stark gemacht. Der 83-Jährige geht alle zwei Wochen in die JVA Vohwinkel und besucht dort ehrenamtlich Inhaftierte. Seit einem Jahr kümmert sich der Rentner um einen Mann aus Kasachstan. „Ich habe den Kontakt zu seiner Familie vermittelt“, sagt Günter. „Er schämt sich seinen Eltern gegenüber und wollte nicht von ihnen im Gefängnis besucht werden.“
Geredet wird über alles Mögliche, mal über den Alltag in der JVA, mal über das Zeichentalent des Mannes. Manchmal geht es aber auch ganz praktisch darum, ein Paar Schuhe zu organisieren oder neue Zeichenutensilien. Über die Taten spricht Günter nicht mit seinem Schützling. „Wenn jemand etwas verbrochen hat, soll er seine Strafe dafür absitzen. Aber man muss ihm Hilfestellung geben, wieder auf die Füße zu kommen“, sagt der pensionierte Eisenbahner.
„Ich gehe nicht mit erhobenem Zeigefinger hin, sondern nehme die Menschen so, wie sie sind und verurteile niemanden“. Günter handelt aus einem tiefen christlichen Selbstverständnis heraus: „Gott sieht dich! Die Würde des Menschen ist unantasbar. Das gilt doch auch für Knackis!“
Christina geht seit 2022 in das Jugendgefängnis in Ronsdorf. Vorher hat sie eine Schulung für die ehrenamtliche Begleitung im Vollzug gemacht, die ökumenisch von den zwei Gefängnisvereinen der Evangelischen Bergischen Gefängnisgemeinde (EBGG) und dem Katholischen Gefängnisverein (KGV) durchgeführt wurde. Die 35-Jährige ist examinierte Kinderkrankenschwester und Heilpraktikerin für Psychotherapie.
Gefängnispfarrerin vermittelt den Erstkontakt
Nach einem ersten Kennenlernen, bei dem Gefängnisseelsorgerin Ulrike Hollander dabei war, besucht sie alle zwei Wochen denselben Hafterfahrenen. Vorrangig vermitteln die Seelsorger den Kontakt zu Inhaftierten, die wenig Besuch bekommen oder kaum Kontakt nach draußen haben.
„Ich sehe die Inhaftierten als Menschen, nicht als Täter“, sagt Christina. Sie lässt sich auf die Einzelgespräche mit den Inhaftierten ein, ohne ihre Akte oder ihre Vorgeschichten zu kennen. „Wenn sie über ihre Straftaten sprechen wollen, ist das für sie in Ordnung. Allerdings frage ich nicht danach“, erklärt Christina. Angst in der Begegnung mit den Jugendstraftätern kennt sie dabei nicht, auch wenn ihr zu jederzeit bewusst ist, an welchem Ort sie sich bei den Besuchen aufhält.
Ihr ist es wichtig, den Hafterfahrenen die Möglichkeit zu geben, über die Themen zusprechen, die sie bewegen. „Das Gespräch gehört den Inhaftierten. Es ist ein Angebot zur Selbstreflexion“, sagt sie. Im Gegensatz zu den Behörden und Bediensteten braucht sie nichts dokumentieren, das Gesagte wird nicht bewertet, verurteilt oder an andere Berufsgruppen weitergegeben. „Ich bekomme für das Zuhören noch nicht einmal Geld, das sind günstige Voraussetzungen für einen vertrauensvollen Beziehungsaufbau“, sagt Christina.
Angebot zur Selbstreflexion
Im Kontakt mit dem Jugendlichen, den sie derzeit betreut, geht es zum Beispiel darum, wie es auf der Arbeit läuft. Oder die beiden unterhalten sich über die Pflege seiner Fische, um die er sich in der Gartengruppe kümmert.
Manchmal geht es auch um philosophische Fragen und über Werte wie Schuld, Reue und Empathie, sowie jegliche Gefühle und Emotionen und deren Umgang– aber nur auf Initiative des Inhaftierten hin. „Ich möchte niemanden in eine Abwehrhaltung bringen. Mein Gegenüber soll für eine Stunde urteilsfrei und ohne Konsequenzen zu befürchten, sprechen können“, sagt sie.