Bergische Uni Wuppertal Die verschollenen Synagogen von Tiberias

Wuppertal / Jerusalem · Der Wuppertaler Theologe und Archäologe Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger (Direktor des Biblisch-Archäologischen Instituts der Bergischen Universität Wuppertal) sucht nach frühen Synagogen in Tiberias am Westufer des Sees Genezareth.

Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. Dieter Vieweger (Biblisch-Archäologisches Institut Bergische Uni).

Foto: Sebastian Jarych

Seit mehr als zwei Jahrzehnten lebt und arbeitet der deutsche Theologe und Archäologe Dieter Vieweger (Leiter des Biblisch-Archäologischen Instituts der Bergischen Universität) nun schon in Jerusalem. Zwischen Februar und Oktober gräbt der emsige Wissenschaftler in seiner Funktion als Direktor des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft des Heiligen Landes (DEIAHL) auf dem Gelände des Zionsbergs.

Zu den Aufgaben des dortigen Instituts gehören unter anderem wissenschaftliche Untersuchungen zur Archäologe und Kulturgeschichte des Heiligen Landes unter besonderer Berücksichtigung der biblischen Epochen und der Entstehung des Christentums, inclusive eigener Grabungsprojekte.

„Für mich ist das schon eine ganz besondere Auszeichnung, in der Stadt Jerusalem überhaupt ausgraben zu dürfen“, sagt der gebürtige Chemnitzer. Auf dem Zionsberg, dem Südwesthügel Jerusalems, außerhalb der heutigen Altstadtmauer, gräbt das Institut seit 2015 wichtige Bereiche der altisraelitischen Hauptstadt aus. „Im 8. Jahrhundert v. Chr. hat sich Jerusalem bis dahin erstreckt und vergrößert. Wir erforschen die Geschichte bis ins 12. Jahrhundert nach Christus.“ Danach verschiebt sich der Stadtbereich nach Norden in Richtung der heutigen Altstadt. Diese ist vollständig bebaut und kann kaum archäologisch untersucht werden.

Grabungen trotz Coronakrise

Corona habe allen Archäologen zugesetzt. „Zu Beginn der Krise 2020 wurden plötzlich alle Flüge gecancelt“, erzählt er und sein Forscherteam stand allein in Jerusalem, hatte Ausgehverbot und konnte lediglich einmal pro Woche zum Einkaufen das Gelände verlassen. „Aber dann sind wir durch die Corona-Zeit in ein relativ gutes Fahrwasser gekommen, weil alle unsere Ausgrabungen möglich waren, sofern wir unser eigenes Personal einsetzten.“ Selbst die israelischen Grabungen ruhten in dieser Zeit, da diese vorwiegend mit ausländischen Volontären arbeiten, die nicht einreisen konnten.

Der Umstand, dass das Institut in dieser Zeit keine Gäste empfangen konnte, führte dazu, dass seine Mitarbeiter „gezwungen“ waren, intensiver an ihren Promotionen zu arbeiten, berichtet er lachend. „Man kann auch dem Schlechtem etwas Gutes abgewinnen“, ergänzt er und widmete sich selber während der Zeit der Ausgangssperre seiner Buchreihe der „Geschichte der Biblischen Welt“: „Ich habe zwei neue Bände – Band 4: Spätantike (250 – 650 n. Chr.); Band 5: Umayyadische Zeit (638 – 750 n. Chr.) – für die Geschichte der Biblischen Welt geschrieben, die im Oktober ‘22 erschienen sind. Corona hat unser Institutsleben verändert, aber unserer Arbeit hat es keinen Abbruch getan.“

„Ich wüsste keinen schöneren Job …“

Der Job als grabender Archäologe ist mit extrem schweißtreibender, körperlicher Arbeit verbunden. Vieweger hat in seinem Leben schon tonnenweise Schutt transportiert und sagt trotzdem: „Es ist ein aufregender Job, und ich wüsste keinen schöneren“, und das habe vor allem mit der Vielfalt zu tun. „Jetzt im Winter sitze ich an meinem Schreibtisch, halte Vorlesungen, schreibe Emails und beantrage Forschungsprojekte usw. Da lebe ich das übliche Wissenschaftlerdasein eines ‚normalen Professors‘. Aber dann darf ich ja für ein dreiviertel Jahr in das Heilige Land reisen und habe als Archäologe den großen Vorteil, dass ich mich körperlich betätigen kann.“

In vier bis sechs zusammenhängenden Wochen, so lange dauern die normalen Grabungskampagnen, konzentriere man sich ausschließlich auf die Grabungen vor Ort mit all ihren Hoffnungen und Enttäuschungen. „Dazu kommt das Leben im fremden Land, im gleißenden Sonnenlicht und mit der Möglichkeit, geschichtsträchtige Orte zu besuchen“, schwärmt der 64-Jährige und setzt, seine Wohnsituation hoch oberhalb der Altstadt mit Blick über das Tote Meer nach Jordanien beschreibend, schmunzelnd hinzu: „Ich friste mein Leben in einem Haus des deutschen Kaisers.“

Arbeiten in einem Umfeld, das weit weg vom Frieden ist

Grabungen im Nahen Osten sind schwierig, man muss den Gastgeberländern gerecht werden und als Archäologe vor allem unparteiisch sein. „Das ist manchmal durchaus dramatisch“, erklärt Vieweger die Situation. Wir arbeiten zeitgleich in Jordanien, Israel und in den palästinensischen Gebieten. Wir sind das einzige Institut, das überhaupt in all diesen Regionen arbeiten darf“, und dies, trotz der politischen Spannungen, die nicht geringer würden. „Vielfach sind die politischen Interessen auch mit religiösen Überzeugungen gekoppelt, was die Sachlage nur komplizierter macht. Die Luft ‚riecht derzeit nicht nach Frieden‘.“

Natürlich gibt es immer auch viele tolerante und ausgleichende Menschen, die das DEI unterstützen. „Wir sind aber nun eben auch nicht erst seit gestern da, sondern seit der Einweihung der Erlöserkirche am 31. Oktober 1898 durch den deutschen Kaiser Wilhelm II. Daher feiern wir in diesem Jahr auch das 125. Jubiläum. Jeder in Jerusalem weiß, dass wir für Toleranz eintreten und nicht gegen andere Partei ergreifen.“

Die jüdischen Synagogen in Tiberias

Einer der Arbeitsschwerpunkte der letzten zwei Jahre ist die Ausgrabung in Tiberias, einer Stadt am Westufer des Sees Genezareth, die federführend von Viewegers Frau, Assist. Prof. Dr. Katja Soennecken, in Kooperation mit der Hebräischen Universität Jerusalem, durchgeführt wird. „Da geht es um die jüdische, christliche und muslimische Religionsgeschichte, das heißt um friedliches und auch um kämpferisches Zusammenleben der Religionen in dieser Stadt bis ins 12. Jahrhundert hinein.“

Das Grabungsteam sucht in diesem Jahr nach den jüdischen Synagogen. „Neben einem paganen Tempel, neben den Kirchen und der Hauptmoschee, muss es ja auch in Tiberias Synagogen gegeben haben, wo – wie wir wissen – die Mischna vollendet und der Jerusalemer Talmud geschrieben wurde.“ Hier ereignete sich also eine bedeutende jüdische Religionsgeschichte! „Und sogar das System der im Hebräischen ursprünglich nicht verzeichneten Vokale, die in und um die Konsonanten geschrieben werden, all diese Striche und Punkte, sind in den Synagogen von Tiberias erfunden worden.“

Obwohl man wisse, dass dort diese Lehrhäuser existierten, habe man bisher keine einzige dieser Synagogen entdeckt. „Wo waren sie? Waren das selbstbewusste ‚Leuchttürme‘ oder kleine unscheinbare Gebäude? Wie haben die Gläubigen sich mit den Muslimen und Christen über die Jahrhunderte dort behauptet?“, fragt der Wissenschaftler. „Wir suchen in diesem Jahr westlich des Cardo (Der Cardo in römischer Zeit ist stets die Nord-Süd verlaufende Hauptverkehrsstraße, Anm. d. Red.), wo bisher noch keine Ausgrabungen möglich waren.“ Der Fachmann erhofft sich dadurch auch weitere Erkenntnisse über das Leben und Wirken der Menschen in dieser Zeit.

Die Zukunft des DEIAHL in Jerusalem und Amman

Dieter Vieweger hat in all seinen Jahren vor Ort viele Kontakte geknüpft und weiß, was möglich und machbar ist. 2024 wird er emeritiert. Wie gehen die Arbeiten im Heiligen Land dann weiter, respektive, wer setzt seine Forschungen fort? „Das ist eine ziemlich wichtige Frage, und diese ist inzwischen auch entschieden“, sagt er. „Natürlich möchte ich das Institut in gute Hände geben. In diesem Jahr ist eine neue Professur an der WWU in Münster eingerichtet worden. Das Deutsche Evangelische Institut (DEI) wird dann voraussichtlich von Münster aus weitergeführt werden. Die neue Stelleninhaberin wird bis 2026 mit mir gemeinsam ihre Arbeit an den Grabungsstellen in Israel und Jordanien durchführen und danach hoffentlich die Leitung übernehmen. Dann wäre die Kontinuität gesichert.“

Persönlich zieht es den umtriebigen Wissenschaftler danach vielleicht nach Südamerika, um dort, dann als Emeritus, noch einmal Archäologie zu betreiben. Bis dahin leitet er aber noch einige Grabungskampagnen im Nahen Osten. Über seine „Ausgrabungen im „Heiligen Land“ spricht Vieweger auch am 16. November 2023 im Theater am Engelsgarten in der Hochschulreihe „Stadtgespräch“.